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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 20.01.1999
Aktenzeichen: XI R 31/96
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, FGO, GKG


Vorschriften:

AO 1977 § 175 Abs.1 Nr. 1
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2
AO 1977 § 351
AO 1977 § 177
AO 1977 § 165
AO 1977 § 365 Abs. 3
EStG § 17
EStG § 10d
EStG § 10d Satz 3
EStG § 26
EStG § 26a
EStG § 26b
EStG § 10d Satz 4
EStG § 26 Abs. 1 Satz 1
FGO § 126 Abs. 2
GKG § 13 Abs. 1
GKG § 14 Abs. 1 und 2
GKG § 25 Abs. 2
GKG § 14 Abs. 1 Satz 1
GKG § 13 Abs. 1 Satz 1
GKG § 14 Abs. 2 Satz 1
GKG § 13 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war in den Streitjahren 1982 und 1983 mit ihrem damaligen Ehemann, dem Beigeladenen und Revisionskläger zu 2. (Beigeladener), von dem sie seit 1986 geschieden ist, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Der Beklagte und Revisionskläger zu 1. (das Finanzamt --FA--) hatte die Einkommensteuer zunächst antragsgemäß festgesetzt, erhöhte jedoch mit nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheiden vom 30. Mai 1988 die Einkommensteuer 1982 auf 69 786 DM und die Einkommensteuer 1983 auf 114 994 DM. Gegen diese Bescheide legten die Klägerin und der Beigeladene ... Einspruch ein.

Mit Bescheid vom 10. August 1989 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1984 nach §§ 173 Abs. 1 Nr. 1, 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 und berücksichtigte einen Verlust der Klägerin nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von ca. 1 Mio. DM; dabei führte es antragsgemäß eine getrennte Veranlagung durch. Gleichzeitig mit der Änderung der Einkommensteuerveranlagung 1984 nahm das FA den Verlustrücktrag nach § 10d EStG in 1982 und 1983 vor. Das führte zu einer Einkommensteuer für 1982 und 1983 von jeweils 0 DM.

Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 vom 10. August 1989 legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. August 1989 erneut Einspruch ein und beantragte, auch für diese Jahre eine getrennte Veranlagung durchzuführen. Mit Einspruchsentscheidung vom 5. April 1990 lehnte das FA die Durchführung einer getrennten Veranlagung ab. Dabei sah es in dem Schreiben der Klägerin vom 21. August 1989 die Erweiterung des Rechtsbehelfs vom 23. Juni 1988. Dementsprechend wies das FA "die Einsprüche vom 23.06.1988 ... gegen die Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 vom 30.05.1988 in der geänderten Form vom 10.08.1989" als unbegründet zurück. Der Beigeladene hatte in diesem Verfahren beantragt, an der Zusammenveranlagung für 1982 und 1983 festzuhalten.

Im Klageverfahren trug die Klägerin vor, zum Verlustabzug sei allein sie berechtigt, da ihr der Verlust im Entstehungsjahr zuzurechnen sei. Eine Einschränkung ihres Wahlrechts zur getrennten Veranlagung auf einen Änderungsrahmen (Korrekturspielraum) sei der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht zu entnehmen. Ihr Antrag sei auch nicht willkürlich. Denn durch den Abzug des Verlustes von den Einkünften des Beigeladenen in den Streitjahren werde ihr ein erheblicher Schaden zugefügt. Sie sei aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen worden, die sie zugunsten des auf den Beigeladenen übertragenen Unternehmens geleistet habe. Die Ansprüche gegen den Beigeladenen gingen wegen dessen Insolvenz ins Leere. Nunmehr setze der Beigeladene, der die Verluste verursacht aber nicht bezahlt habe, diese zu ihren Lasten von der Steuer ab und begleiche mit den entstehenden Erstattungsansprüchen seine Verbindlichkeiten beim FA. Das könne nicht Rechtens sein.

Das Finanzgericht (FG) hat die geänderten Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben und das FA verpflichtet, Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1982 und 1983 im Wege der getrennten Veranlagung für die Klägerin durchzuführen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus:

Die Klage sei zulässig, obwohl die Einkommensteuer in den Zusammenveranlagungsbescheiden auf 0 DM laute und für die Klägerin auch bei getrennter Veranlagung 0 DM betragen würde. Denn im Falle der beantragten getrennten Veranlagung stünde der Klägerin für den Verlustvortrag in späteren Veranlagungszeiträumen ein höheres Verlustabzugsvolumen zur Verfügung. Die Klage sei auch begründet, da die Klägerin befugt sei, im Rahmen des Verlustrücktrags nach § 10d EStG das Wahlrecht der Veranlagungsart erneut auszuüben. Einer Änderung des Veranlagungswahlrechts im Sinne der Klägerin stehe eine "Überschreitung des durch § 10d EStG eröffneten Korrekturspielraums" nicht entgegen. Eine solche Beschränkung ergebe sich weder aus § 351 AO 1977 noch aus § 177 AO 1977. Dementsprechend gewährte der BFH in seinem Urteil vom 25. Juni 1993 III R 32/91 (BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824, 825) generell dem Veranlagungswahlrecht Vorrang vor den eher "Ordnungsfunktionen" erfüllenden Anfechtungsbeschränkungen der §§ 351, 177 AO 1977 bei bestandskräftigen Steuerbescheiden. Dieses Ergebnis rechtfertige sich aus der Zielsetzung des § 10d EStG, der dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zur vollständigen Ausschöpfung des personenbezogenen Verlustes geben will. Schließlich stehe der Durchführung der getrennten Veranlagungen für 1982 und 1983 auch nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen. Die vierjährige Frist für die Festsetzung der Einkommensteuer 1984 (= Verlustentstehungsjahr für die Klägerin) wäre am 31. Dezember 1989 abgelaufen. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 seien am 10. August 1989 ergangen, demnach innerhalb der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr 1984 (Hinweis auf § 10d Satz 3 EStG 1981 bis 1987).

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügen sowohl das FA als auch der Beigeladene Verletzung der §§ 10d, 26, 26a und 26b EStG. Beide machen im wesentlichen geltend, die Entscheidung des III. Senats des BFH in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824 sei zu § 165 AO 1977 ergangen und nicht auf Änderungen nach § 10d EStG anwendbar. Die erneute Ausübung des Wahlrechts sei bei einer Änderung nach § 10d EStG an einen Änderungsrahmen gebunden.

Das FA und der Beigeladene beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

A. Das FG hat zu Recht die Zulässigkeit der Klage bejaht. Da bei einer getrennten Veranlagung in den Streitjahren der der Klägerin im Jahr 1984 entstandene Verlust nicht mit positiven Einkünften des Beigeladenen zu saldieren wäre, stünde der Klägerin in den Veranlagungszeiträumen 1985 bis 1989 (Zeitraum des Verlustvortrags nach § 10d Satz 4 EStG 1983) ein entsprechend höheres Verlustabzugsvolumen zur Verfügung. Durch die Versagung des erneuten Veranlagungswahlrechts war die Klägerin somit beschwert (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225).

B. Das FG hat auch im Ergebnis zu Recht das FA verpflichtet, die Klägerin für die Streitjahre getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen.

1. Im Streitjahr kommt es --entgegen der Auffassung des FG-- nicht darauf an, ob der Klägerin das Recht, die Veranlagungsart erneut zu wählen, lediglich im Rahmen eines durch den Verlustabzug nach § 10d EStG eröffneten Korrekturspielraums zusteht (vgl. dazu BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 98/87, BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229; Anfragebeschluß des Senats vom 27. August 1997 XI R 97/94, BFH/NV 1998, 309) oder ob die Klägerin --wie das FG meint-- auch im Falle eines Änderungsbescheids zur Berücksichtigung des Verlustrücktrags jederzeit zum Widerruf der früher getroffenen Wahl der Veranlagungsart befugt ist. Denn hier ist der Klägerin die Änderungsmöglichkeit nicht erst durch die eigenständige Änderungsvorschrift des § 10d Satz 2 EStG eröffnet worden, sondern bereits vorher durch die Anfechtung von nach den Vorschriften der AO 1977 geänderten Bescheiden.

2. Die Klägerin hatte gegen die nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 vom 30. Mai 1988 mit Schreiben vom 23. Juni 1988 Einspruch eingelegt. Nachdem das FA während des Einspruchsverfahrens die angefochtenen Bescheide durch die Berücksichtigung der Verlustrückträge aus dem Jahr 1984 am 10. August 1989 erneut geändert hat, richtete sich der Einspruch nunmehr gegen diese Bescheide (vgl. § 365 Abs. 3 AO 1977). Hätte die Klägerin vor dem Ergehen der Änderungsbescheide nach § 10d Satz 2 EStG im Einspruchsverfahren die getrennte Veranlagung für die Streitjahre beantragt, so hätte das FA dem folgen müssen (siehe unten unter a). Nichts anderes darf aber gelten, wenn --wie hier-- die Klägerin den Antrag auf getrennte Veranlagung erst stellt, nachdem das FA die angefochtenen Bescheide erneut geändert hat, ohne damit dem Einspruchsbegehren in vollem Umfang stattzugeben (siehe unten unter b).

a) In den Streitjahren haben für die Klägerin und den Beigeladenen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG, nach dem Ehegatten zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen können, unstreitig vorgelegen. Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann, der Beigeladene, waren in den Jahren 1982 und 1983 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und lebten nicht dauernd getrennt. Da das Gesetz für die Ausübung des Wahlrechts keine Frist vorsieht und es grundsätzlich auch keine Bindung an die einmal getroffene Wahl gibt, geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Ehegatten ihr Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit sogar eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides ausüben und bis zu diesem Zeitpunkt die einmal getroffene Wahl --vorbehaltlich eines rechtsmißbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens-- frei widerrufen können (vgl. BFH-Urteile vom 28. August 1981 VI R 139/78, BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156; vom 27. Juli 1988 VI R 43/85, BFH/NV 1989, 156; in BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229; vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BFHE 165, 345, BStBl II 1992, 123; in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824). An der uneingeschränkten erneuten Ausübung des Veranlagungswahlrechts haben der VIII. Senat des BFH und der erkennende Senat lediglich für den Fall Zweifel geäußert, daß die angefochtenen Änderungsbescheide nicht auf Änderungsvorschriften der AO 1977 beruhten, sondern zur Berücksichtigung eines Verlustrücktrags nach § 10d EStG ergangen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229; BFH-Beschluß in BFH/NV 1998, 309). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Da die hier ursprünglich angefochtenen Änderungsbescheide vom 30. Mai 1988 vielmehr nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergangen waren, konnte die Klägerin bis zur Unanfechtbarkeit dieser Bescheide ihr Veranlagungswahlrecht ohne Beschränkung durch den Änderungsrahmen erneut ausüben. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des III. Senats im Urteil in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824 an.

b) Diese Rechtsposition hat die Klägerin durch die erneute Änderung der Änderungsbescheide während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens, die das FA jeweils zur Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 1984 mit den Bescheiden vom 10. August 1989 vorgenommen hat, nicht verloren. Nach § 365 Abs. 3 AO 1977 sind die geänderten Bescheide vom 10. August 1989 zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden. Das ursprüngliche Einspruchsbegehren der Klägerin ist weiterhin offen geblieben. Da der Gesetzgeber durch § 365 Abs. 3 AO 1977 gerade verhindern wollte, daß "der Einspruchsführer aus dem Einspruchsverfahren hinausgedrängt wird, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt geändert oder durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird" (vgl. BTDrucks 10/1636, 51), müssen dem Einspruchsführer auch alle Rechtspositionen, die er in dem ursprünglichen Einspruchsverfahren inne hatte, erhalten bleiben. Dazu gehört auch das Recht auf erneute Ausübung des Veranlagungswahlrechts. Die Klägerin konnte somit die früher getroffene Wahl der Zusammenveranlagung frei widerrufen und die getrennte Veranlagung für die Streitjahre beantragen. Ein Rechtsmißbrauch ist nicht gegeben.

3. Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren folgt aus §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2, 25 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Der für das Revisionsverfahren maßgebende Streitwert richtet sich zwar grundsätzlich nach dem finanziellen Interesse, das dem Antrag des Revisionsklägers zugrunde liegt (§ 14 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG). Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 GKG ist der Streitwert im Rechtsmittelverfahren aber durch den Wert des Streitgegenstandes der ersten Instanz begrenzt.

Die Erhöhung gegenüber dem Klageverfahren von 12 000 DM auf 16 000 DM hat unbeschadet der Begrenzung durch § 14 Abs. 2 Satz 1 GKG zu erfolgen, weil sich durch die ab 1. Juli 1994 wirksame Änderung des Auffangwertes des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG von 6 000 DM auf 8 000 DM der Wert des Streitgegenstandes des Klageverfahrens tatsächlich erhöht hat.

Ende der Entscheidung

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