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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.12.2002
Aktenzeichen: XI R 41/01
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammen veranlagte Eheleute, waren zu 52 v.H. bzw. 48 v.H. Gesellschafter einer GmbH. Der im Jahr 1934 geborene Kläger war alleiniger Geschäftsführer, die im Jahr 1941 geborene Klägerin kaufmännische Angestellte der GmbH.

Am 23. September 1980 schloss die GmbH mit den Klägern Pensionsverträge. Sie bildete Pensionsrückstellungen, die sich am 31. Dezember 1995 auf ... DM beliefen und die durch Barmittel gedeckt waren.

Im Streitjahr 1996 entschlossen sich die Kläger, ihre Anteile an der GmbH zu verkaufen, da der Kläger schwer erkrankt war und sich die Wettbewerbssituation für die GmbH verschärft hatte. Am 22. Juli 1996 schlossen sie mit dem späteren Käufer der Anteile (K) einen "Geheimhaltungsvertrag für Kaufverhandlungen". Danach erklärte K, dass er nicht bereit sei, Rückstellungen zu übernehmen. Es wurde in das Ermessen der Kläger gestellt, ob sie in Erwartung des Zustandekommens des Kaufvertrages die Rückstellungen (insbesondere Pensionsrückstellungen) auflösen wollten. Sollten die Rückstellungen aufgelöst werden und der Kaufvertrag nicht zustande kommen, so sollten K hieraus keinerlei Verpflichtungen entstehen.

Am 18. November 1996 vereinbarte die GmbH mit den Klägern, die Pensionszusagen gegen Zahlung von versicherungsmathematisch ermittelten Kapitalabfindungen in Höhe von ... DM bzw. ... DM aufzuheben. Die Abfindungen wurden im Streitjahr ausbezahlt.

Mit Vertrag vom 3. Februar 1997 verkauften die Kläger ihre Gesellschaftsanteile an K. Nach Übertragung der Anteile am 1. Juli 1997 wurde die GmbH mit dem Unternehmen des K verschmolzen.

Die Kläger beantragten in ihrer Einkommensteuererklärung 1996, für die ihnen zugeflossenen Pensionsabfindungen den ermäßigten Steuersatz nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzuwenden. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ab.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Kläger hätten sich bei Verzicht auf die Pensionsanwartschaften in keiner Zwangslage befunden.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 1999 die Abfindungszahlungen an den Kläger in Höhe von ... DM und an die Klägerin in Höhe von ... DM jeweils gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a und § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 EStG dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen und die Einkommensteuer 1996 auf ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Kläger ist begründet. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist aufzuheben. Der Klage ist stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Kläger sich bei Verzicht auf ihre Pensionsanwartschaften in keiner Zwangslage befunden hätten.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst, oder, wenn der Steuerpflichtige an dem zur Entschädigung führenden Ereignis mitgewirkt hat, er unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 1993 IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308); der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. BFH-Urteile vom 24. Oktober 1990 X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337; vom 9. Juli 1992 XI R 5/91, BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27; vom 28. Juli 1993 XI R 4/93, BFH/NV 1994, 165, und vom 7. März 1995 XI R 54/94, BFH/NV 1995, 961). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen.

Mit Urteil vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00 (BFH/NV 2002, 638) hat der Senat entschieden, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich aus Altersgründen zur Veräußerung seiner GmbH-Anteile entschließt, nicht damit rechnen muss, dass dies nur bei gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche möglich ist. Denn die Gesellschaft wird in ihrer Liquidität durch laufende Pensionszahlungen weit weniger beeinträchtigt als durch eine einmalige Abfindung. Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung war allerdings, dass die Pensionszusage auf Druck des Käufers abgelöst wurde, dem sich der Steuerpflichtige unter den gegebenen Umständen nicht entziehen konnte. Insoweit unterschied sich der Sachverhalt dieser Entscheidung von dem, der dem Urteil des Senats in BFH/NV 1995, 961 zugrunde lag.

2. Werden Gesellschaftsanteile aus Krankheitsgründen veräußert, kann nichts anderes gelten. Dabei kann offen bleiben, ob es in einem solchen Fall bereits an dem freiwilligen Ingangsetzen der Ursachenkette fehlt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFH/NV 2003, 242). Jedenfalls durften die Kläger, als sie sich zur Veräußerung ihrer Gesellschaftsanteile entschlossen, erwarten, dass die GmbH auch mit einem neuen Gesellschafter ihre Pensionsverbindlichkeiten ihnen gegenüber vertragsgemäß erfüllen werde.

Im Streitfall bestehen keine Zweifel, dass die Pensionszusagen auf Druck des K durch eine Kapitalabfindung abgelöst wurden. Den Vereinbarungen des "Geheimhaltungsvertrages für Kaufverhandlungen" ist eindeutig zu entnehmen, dass K nicht bereit war, die Pensionsrückstellungen und damit die Verpflichtung zu laufenden Pensionszahlungen an die Kläger zu übernehmen.

Ende der Entscheidung

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