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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: XI R 59/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 1
EStG § 3 Nr. 62
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2
EStG § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2
EStG § 19
EStG § 19 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), Diplom-Ingenieure, sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Sie sind als Gesellschafter-Geschäftsführer der I-GmbH nichtselbständig tätig. In diesem Zusammenhang bestand weder eine vertragliche Anwartschaft der Kläger auf eine Altersversorgung noch wurden von der I-GmbH für die Kläger Zuschüsse zur Alters-, Kranken-, Pflege- oder Arbeitslosenversicherung gezahlt. Der Bruttoarbeitslohn der Klägerin im Streitjahr 2000 betrug 60 000 DM. Darüber hinaus erzielte sie vom 1. Januar bis zum 12. Juni 2000 aus einer Beschäftigung bei der K-GmbH & Co. KG (KG) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 2 815 DM. Die KG hatte für die Klägerin 271,74 DM an Sozialversicherungsbeiträgen erbracht.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000 machten die Kläger Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von insgesamt 44 141,82 DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ hiervon lediglich 9 780 DM zum Sonderausgabenabzug zu, weil das FA den Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung um 16 % der Einnahmen der Klägerin aus den beiden oben genannten Beschäftigungsverhältnissen, mithin um abgerundet 10 050 DM gekürzt hatte. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Kläger begehrten, den Vorwegabzug nur um 16 % aus 2 815 DM zu kürzen, statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 102).

Mit seiner Revision macht das FA Verletzung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG geltend. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet; sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der den Klägern zustehende Vorwegabzug von 12 000 DM lediglich um 16 % des Arbeitslohns der Klägerin in Höhe von 2 815 DM aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der KG zu kürzen ist. Die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, die die Kläger aus dem Beschäftigungsverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer der I-GmbH bezogen haben, sind nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen. Für den Kläger ergibt sich dies ohne weiteres aus der Regelung des Vorwegabzugs.

1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG beträgt der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten 12 000 DM. Dieser Betrag ist gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 % der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Die in dieser Bestimmung enthaltene Kürzungsregelung ist dahin gehend auszulegen, dass in die Bemessungsgrundlage "Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit" nur die Einnahmen aus solchen Beschäftigungsverhältnissen einzubeziehen sind, in deren Zusammenhang

- entweder der Arbeitgeber Aufwendungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringt (sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse),

oder

- der Arbeitnehmer zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG zu zählen ist (nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit Anspruch auf Altersversorgung ohne eigene Beitragsleistung).

Das gilt auch für die Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger aus mehr als einem Beschäftigungsverhältnis Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Es bilden dann nur die Einnahmen die für die Kürzung des Vorwegabzugs maßgebliche Bemessungsgrundlage, die die oben genannten Voraussetzungen erfüllen.

2. Diese Auslegung, die sich insbesondere an der historischen Entwicklung der gesetzlichen Kürzungsnorm orientiert, liegt bereits dem Urteil des Senats vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03 (BFHE 204, 461) zu Grunde. Wie der Senat dort ausgeführt hat, sollte die Kürzung nicht Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit schlechthin erfassen. Vielmehr richtete sich nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1992 geltenden Fassung die Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Arbeitslohn aus der Beschäftigung, "mit der die Alters- oder Krankenversorgung zusammenhängt". Diesen Zusammenhang zwischen den Einnahmen und den Zukunftssicherungsleistungen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis hat der Gesetzgeber durch die Neufassung der Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der ab 1993 geltenden Fassung nicht aufgehoben. Hätte der Gesetzgeber damals eine grundlegende Änderung der bisherigen Rechtslage beabsichtigt, wäre dies in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommen. Tatsächlich ist der Gesetzesbegründung aber lediglich zu entnehmen, dass die Vereinfachungsregelung (einheitlicher prozentualer Kürzungssatz; Verzicht auf zeitanteilige Berechnung) eingeführt wurde, weil wegen der Anwendung verschiedener Kürzungssätze auf Bemessungsgrundlagen, die auf Grund von Höchstgrenzen und zeitanteiligen Berechnungen wiederum unterschiedlich hoch sein konnten, die erforderliche Datenerfassung für die Finanzverwaltung zu umfangreich und zu kompliziert geworden war (vgl. BTDrucks 12/5764).

3. Die Klägerin hat im Streitjahr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen bezogen. Aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der KG bezog sie Arbeitslohn in Höhe von 2 815 DM. Allein diese Einnahmen bilden die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs, weil die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit diesen Einnahmen Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht hat. Die Einnahmen der Klägerin aus dem nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Geschäftsführerin der I-GmbH sind in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung nicht einzubeziehen. Im Zusammenhang mit diesen Einnahmen hat die Klägerin keine vertraglichen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben. Bezogen auf dieses Arbeitsverhältnis gehörte die Klägerin damit auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG.

4. Entgegen der Auffassung des FA kann aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Kürzung des Vorwegabzugs nicht abgeleitet werden, es sei für eine Einbeziehung sämtlicher Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ausreichend, dass überhaupt Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, wenn auch nur aus einem von mehreren Arbeitsverhältnissen.

Der BFH hatte bislang noch keinen Fall zu entscheiden, in dem ein Steuerpflichtiger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei --im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs unterschiedlich zu beurteilenden-- Beschäftigungsverhältnissen bezogen hat. Auch in den Fällen, die den Urteilen vom 16. Oktober 2002 XI R 71/00 (BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343) und XI R 61/00 (BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183) zu Grunde liegen, bezogen die Kläger nur aus einem Beschäftigungsverhältnis Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Die in den jeweiligen Urteilsgründen getroffene Aussage des erkennenden Senats, der Gesetzgeber habe bei der Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG abgestellt, sondern "auf den Umstand, dass überhaupt solche Leistungen erbracht worden sind", bezieht sich deshalb auf das einzelne zu beurteilende Beschäftigungsverhältnis. Diese Aussage kann deshalb nur dahin gehend verstanden werden, dass es im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für eine Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum vom Arbeitgeber erbrachten Zukunftssicherungsleistungen ankommt. Gleiches gilt für die Aussage des Senats im Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 23/00 (BFH/NV 2003, 463), das Gesetz umschreibe mit der Bezugnahme auf Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG "den Personenkreis, der von der Kürzung des Vorwegabzugs betroffen ist, nicht die Bemessungsgrundlage für die Kürzungsregelung". Auch in diesem Fall, in dem eine sozialversicherungsfreie Entlassungsentschädigung als Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen wurde, ging es um Einnahmen aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.

Bezieht ein Steuerpflichtiger --wie die Klägerin im Streitfall-- aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ist für jedes Beschäftigungsverhältnis gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt sind. Trifft das für ein Beschäftigungsverhältnis zu, sind sämtliche Einnahmen aus diesem Beschäftigungsverhältnis in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen, ohne dass es auf die Höhe der erbrachten Zukunftssicherungsleistungen ankommt. Der Umstand, dass ein Beschäftigungsverhältnis eines Steuerpflichtigen die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt, kann aber nicht dazu führen, dass auch die Einnahmen aus einem anderen Beschäftigungsverhältnis desselben Steuerpflichtigen, das für sich gesehen diese Voraussetzungen nicht erfüllt, in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden.

5. Die gegenteilige Auslegung der Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG würde dem in Art. 3 des Grundgesetzes normierten Gleichbehandlungsgebot zuwiderlaufen. Sie würde nämlich dazu führen, dass die Klägerin als Bezieherin von sozialversicherungspflichtigem Arbeitslohn im Rahmen des Sonderausgabenabzugs nur deshalb schlechter gestellt würde, weil sie statt weiterer Einkünfte aus einer anderen Einkunftsart weitere nicht sozialversicherungspflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat. Die systematische Unterscheidung der Einkunftsarten in § 2 Abs. 1 EStG allein kann jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (vgl. dazu bereits BFH-Urteil vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03, BFHE 204, 461, m.w.N.).

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