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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.05.2009
Aktenzeichen: XI R 63/07
Rechtsgebiete: AO, InsO, FGO


Vorschriften:

AO § 162
AO § 251 Abs. 2
InsO § 89 Abs. 1
FGO § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a
Das FA ist berechtigt, in einem laufenden Insolvenzverfahren einen Umsatzsteuerbescheid zu erlassen, in dem eine negative Umsatzsteuer für einen Besteuerungszeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgesetzt wird, wenn sich daraus keine Zahllast ergibt.
Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Bescheid mit der Festsetzung einer negativen Umsatzsteuer für den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen durfte.

Die T GmbH (Gemeinschuldnerin) war als Generalauftragnehmerin für Neubau und Sanierung von Gebäuden tätig. Aus ihren für 2005 eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen ergab sich eine als Vorsteuer abziehbare Umsatzsteuer von 1 052,61 EUR. Mit Beschluss vom 29. Juni 2006 eröffnete das Amtsgericht D --Insolvenzgericht-- das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zur Insolvenzverwalterin.

Mit Bescheid vom 26. Juli 2006 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuer 2005 gegen die Klägerin als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Gemeinschuldnerin auf ./. 1 052,61 EUR fest. Das FA schätzte die steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und unentgeltlichen Wertabgaben auf 0 EUR und die Vorsteuern auf 1 052,61 EUR. In der Erläuterung führte es aus, die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 2006 als unbegründet zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, dass nach § 251 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) der Erlass von Steuerbescheiden, mit denen Insolvenzforderungen festgesetzt würden, unzulässig sei. Dies gelte gleichermaßen für die Festsetzung einer negativen Umsatzsteuer. Mit Insolvenzeröffnung werde das Festsetzungsverfahren analog § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen. Es sei daher auch der Erlass eines Steuerbescheids unzulässig, wenn darin ein Erstattungsbetrag festgesetzt werde. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 99.

Das FA führt zur Begründung seiner Revision im Wesentlichen aus, gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 89 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) trete mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Vollstreckungsverbot ein. Nur aus diesem Grund sei der Erlass von Steuerverwaltungsakten, die Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner festsetzten oder Besteuerungsgrundlagen feststellten, welche die festzusetzenden Steuerforderungen beeinflussen könnten, nicht mehr zulässig.

Aus dem im Streitfall angefochtenen Bescheid ergebe sich jedoch keine Zahllast mit daraus folgendem Leistungsgebot, sondern eine Zahllast in Höhe von 0 EUR. Somit könnte das FA aus diesem Bescheid auch keinen Steueranspruch gegen die Gemeinschuldnerin ableiten und sich keinen vollstreckbaren Titel schaffen, der dem Vollstreckungsverbot unterläge und demzufolge zur Tabelle anzumelden wäre.

Die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Dezember 2002 I R 33/01 (BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630) und vom 24. August 2004 VIII R 14/02 (BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246) seien auf den Streitfall nicht anwendbar. Das FA habe lediglich einen Umsatzsteuerbescheid erlassen, der keinen Grundlagenbescheid darstelle und somit auch nicht abstrakt dazu geeignet sei, die Höhe von Steuerforderungen zu beeinflussen, die nicht durch ihn selbst festgesetzt würden. Hierzu könne das FG auch nicht ins Feld führen, dass die Klägerin eine zur Tabelle angemeldete Steuerforderung mit Steuererstattungsansprüchen aufrechnen könne.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Klägerin meint, die Revision sei unzulässig, weil die Revisionsbegründung die Voraussetzungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfülle.

II.

Die zulässige Revision ist begründet.

1.

Die Revision ist zulässig.

Die Revisionsbegründung muss u.a. die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO). Hierzu wird von der Rechtsprechung des BFH gefordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lässt, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält, und dass der Revisionskläger ferner die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angibt, die seiner Auffassung nach das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 2005 X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, m.w.N.).

Das FA hat in seiner Revisionsbegründungsschrift zum Ausdruck gebracht, dass es entgegen der Beurteilung des FG berechtigt war, einen Steuerbescheid zu erlassen, und dass es die von ihm auf Seite 2 seiner Revisionsbegründungsschrift genannten § 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 89 InsO für verletzt hält. Die Revisionsbegründungsschrift genügt damit oben genannten Anforderungen.

2.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass das FA den Umsatzsteuerbescheid 2005 gemäß § 251 Abs. 2 AO, § 240 ZPO analog nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr erlassen durfte.

a)

Das FA war nicht aufgrund von § 251 Abs. 2 AO i.V.m. § 87 InsO gehindert, den Umsatzsteuerbescheid zu erlassen.

aa)

Nach § 87 InsO, der über die Verweisung in § 251 Abs. 2 AO auch im Steuerrecht zu beachten ist, können die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Daraus hat der BFH in ständiger Rechtsprechung abgeleitet, dass Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen dürfen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246, zur Rechtslage nach der Konkursordnung; vom 10. Dezember 2008 I R 41/07, BFH/NV 2009, 719, m.w.N.). Ebenso dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juli 1997 I R 11/97, BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428).

bb)

Mit dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid hat das FA eine negative Umsatzsteuer festgesetzt. Diesem Bescheid fehlt die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit hat das FA keine Insolvenzforderung, die nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag festgesetzt, der nicht zur Tabelle anzumelden war. Da sich auch nach Abrechnung mit den bereits ausgezahlten 1 052,61 EUR keine Zahllast ergibt, kann sich aus dem Bescheid unter keinen Umständen eine zur Tabelle anzumeldende Forderung ergeben. Auch hat der Umsatzsteuerbescheid --anders als ein Grundlagenbescheid-- keine Auswirkungen auf Folgebescheide. Die angesetzten Besteuerungsgrundlagen (Umsätze, Vorsteuern) sind vielmehr unselbständige Teile nur dieses Bescheids (§ 157 Abs. 2 AO).

cc)

Soweit das FG meint, ein Steuererstattungsanspruch könnte sich deshalb auf die Insolvenzmasse auswirken, weil ein Insolvenzverwalter damit gegen Steuerforderungen aufrechnen könnte, trifft dies zwar grundsätzlich zu. Die Aufrechnung würde in diesem Fall jedoch auf einer freiwillig abgegebenen Willenserklärung des Insolvenzverwalters beruhen. Es ist nicht erkennbar, wieso die Insolvenzmasse insofern schutzbedürftig sein sollte.

b)

Das Festsetzungsverfahren wurde nicht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen.

Nach § 240 Satz 1 ZPO wird im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird.

Soweit der BFH diese Norm analog auf das Steuerfestsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren angewandt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428; in BFH/NV 2009, 719; zum Gesamtvollstreckungsverfahren vgl. BFH-Beschluss vom 21. November 2001 VII B 108/01, BFH/NV 2002, 315), betraf dies entweder Steuerbescheide oder Grundlagenbescheide, die abstrakt dazu geeignet waren, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Dies ist hier --wie oben ausgeführt-- jedoch nicht der Fall.

Die vom Senat vertretene Auffassung entspricht der in der Literatur ganz herrschenden Meinung, nach der nach Insolvenzeröffnung Erstattungsbescheide für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung ergehen dürfen (vgl. Heißenberg, Kölner Steuerdialog 1999, 12128, 12129; Welzel, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 559, 560; Hagen, Die steuerliche Betriebsprüfung 2004, 217, 219; Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 3. Aufl., Rz 78; Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, Rz 128; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 7. Aufl., Rz 367; a.A. Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 80 Rz 20).

c)

Der Umsatzsteuerbescheid 2005 ist nicht deshalb aufzuheben, weil er auf einer Schätzung nach § 162 AO beruht. Soweit die Klägerin sinngemäß meint, der Bescheid sei rechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorgelegen hätten, führt dies nicht zum Erfolg der Klage. Die Frist zur Abgabe der Steuererklärung war am 31. Mai 2006 abgelaufen (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO, § 18 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 --UStG--). Die Voraussetzungen für eine allgemeine Fristverlängerung gemäß § 109 AO i.V.m. den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 23. Februar 2006 über Steuererklärungsfristen (BStBl I 2006, 234) lagen nicht vor. Denn die Klägerin war nicht steuerlich vertreten, da durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Beratungsvertrag mit dem Steuerberater der Gemeinschuldnerin beendet war (vgl. §§ 115, 116, 117 InsO; siehe auch Uhlenbruck, a.a.O., §§ 115, 116 Rz 8, 11).

3.

Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das FG hat --ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht-- noch nicht geprüft, ob die Schätzung im Hinblick auf eine von der Klägerin in der Klagebegründung begehrte Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG der Höhe nach rechtmäßig war.

Ende der Entscheidung

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