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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.09.1999
Aktenzeichen: XI R 63/98
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, EStR


Vorschriften:

EStG § 10b Abs. 4
AO 1977 § 52 Abs. 2 Nr. 1
AO 1977 § 52 Abs. 2 Nr. 3
EStR Abschn. 111 Abs. 1 und Anlage 7 Nr. 5
BUNDESFINANZHOF

1. Für eine Übergangszeit (bis zum regulären Ende der laufenden Legislaturperiode) ist von der Weitergeltung des § 48 Abs. 2 EStDV i.V.m. Abschn. 111 und Anlage 7 EStR auszugehen (Anschluß an BFH-Urteil vom 24. November 1993 X R 5/91, BFHE 173, 519, BStBl II 1994, 683).

2. Der Begriff "Volksbildung" in Anlage 7 Nr. 5 zu Abschn. 111 Abs. 1 EStR umfaßt auch die politische Bildung.

EStG § 10b Abs. 4 AO 1977 § 52 Abs. 2 Nr. 1 und 3 EStR Abschn. 111 Abs. 1 und Anlage 7 Nr. 5

Urteil vom 23. September 1999 - XI R 63/98 -

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1996, 1091)


Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Nach § 4 seiner Satzung ist der "Verein ein Zusammenschluß von Menschen, die sich für die staatsbürgerliche Bildung in der Gesellschaft, insbesondere zum Thema der demokratischen Grundordnung einsetzen wollen. Dieser Zweck soll verfolgt werden durch:

1. Eine intensive Aufklärungs- und Bildungsarbeit.

2. Die gedankliche Weiterentwicklung der Staats- und Gesellschaftsform unter dem Gesichtspunkt des zunehmenden Bedürfnisses der Menschen nach Selbstbestimmung und nach Möglichkeiten der direkten politischen Einflußnahme, z.B. durch Volksbegehren und Volksentscheidung.

3. Der Verein ist parteipolitisch neutral. Er verfolgt keine politischen Zwecke im Sinne der einseitigen Beeinflussung der politischen Meinungsbildung oder der Förderung politischer Parteien."

Für das Jahr 1990 wurde der Kläger mit Freistellungsbescheid vom 9. April 1992 als gemeinnützig anerkannt.

Der Kläger führte im Jahr 1991 eine Anzeigenkampagne unter dem Titel "Du sollst nicht lügen" durch. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 1990 hatten die Regierungsparteien eine Steuererhöhung ausgeschlossen, nach der Wahl aber doch durchgeführt. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Anzeigenkampagne mit dem Untertitel "Steuer ja, Wahlbetrug nein. Wir verlangen Neuwahlen!". Die Anzeige erschien in zehn zumeist überregionalen Zeitungen ganzseitig mit dem Hinweis, daß die Anzeigen aus Spendengeldern finanziert worden seien. Nach den Angaben des Klägers hat die Kampagne ... DM gekostet.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah in den Anzeigen eine massive Beeinflussung der politischen Willensbildung und erließ unter dem 30. Juni 1993 einen Haftungsbescheid nach § 10b Abs. 4 Satz 2 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen den Kläger über ... DM wegen zweckwidriger Verwendung von Spendengeldern.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 1091 veröffentlicht. Der Kläger habe sich parteipolitisch neutral verhalten. Die durch die Satzung gezogenen Grenzen habe der Kläger nicht überschritten. Durch den Hinweis auf nicht eingehaltene Wahlversprechen verbunden mit dem Petitum nach Neuwahlen begehre der Kläger nur die Möglichkeit einer Kontrolle über nicht eingehaltene Wahlversprechen.

Zur Haftung nach § 10b Abs. 4 Satz 2 EStG führende politische Zwecke kämen nach der Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn ein solcher Zweck im Mittelpunkt der Tätigkeit stünde. Auch die Verwaltung erkenne an, daß eine schädliche Beteiligung nur dann vorliege, wenn eine finanzielle oder ideelle Unterstützung einer Partei gegeben sei. Das sei nicht der Fall; dem Kläger komme es in seiner Bildungsarbeit auf mehr direkte Demokratie an.

Soweit das FA darauf abstelle, daß der Kläger in der Anzeige Neuwahlen gefordert und damit mittelbar die Oppositionsparteien gefördert habe, sei dem entgegenzuhalten, daß die Forderung nach Neuwahlen lediglich Ausfluß des Satzungsziels des Klägers sei, eine direkte Einflußnahme auf die Politik anzustreben.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Anzeigenkampagne dem Gesellschaftszweck, nämlich der staatsbürgerlichen Bildung, habe dienen können. Jede praktische Anwendung auf konkrete politische Ziele überschreite die satzungsmäßigen Zwecke. Zentraler Gegenstand der Anzeigen sei der Aufruf zur Teilnahme an einer Unterschriftenaktion, mit der die Regierung zum freiwilligen Rücktritt habe aufgefordert werden sollen, um so den Weg für Neuwahlen freizumachen. Das FG sei ferner davon ausgegangen, daß die Anzeigenkampagne nicht den Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers dargestellt habe. Diese Würdigung entspreche zwar dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. November 1988 I R 11/88 (BFHE 155, 461, BStBl II 1989, 391); es frage sich aber, ob die zur Körperschaftsteuer ergangene Entscheidung auf den Bereich des § 10b Abs. 4 EStG übertragen werden könne. § 10b Abs. 4 EStG stelle auf einzelne Handlungen ab. Es widerspreche dem Gesetzeszweck, auf eine "Gesamtschau" der Jahresbetätigung abzustellen.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die genaue Betrachtung des Wortlauts der satzungsmäßigen Vorgaben zeige, daß das FA mit seinen Ausführungen fehlgehe. Auch die "gedankliche Weiterentwicklung der Staats- und Gesellschaftsform" sei politisch. Nur politische Zwecke "im Sinne der einseitigen Beeinflussung der politischen Meinungsbildung oder der Förderung von politischen Parteien" entsprächen nicht mehr den satzungsmäßigen Zwecken. Die Voraussetzungen des § 52 der Abgabenordnung (AO 1977) seien gegeben; das Anliegen des Klägers beziehe sich auf die bundesweite Verbesserung der demokratischen Staatskultur.

Die Anzeigenaktion halte sich im vorgegebenen Rahmen. Der Text habe auf ein generelles demokratisches Defizit und auf den zunehmenden Verfall der Möglichkeiten demokratischer Einflußnahme hingewiesen. Die Anzeige hebe den Umstand hervor, daß eine maßgebliche Aussage im Wahlkampf nicht eingehalten worden sei. Es sei nicht das Ziel der Anzeige, die Politik einer konkreten Partei bzw. einer bestimmten Regierung zu verhindern, sondern das Petitum nach Neuwahlen habe lediglich eine neue Entscheidung des Wählers aufgrund der inzwischen bekanntgewordenen Grundentscheidungen der Regierung ermöglichen sollen.

Die vom FA vorgenommene Definition des Begriffes "Bildung" sei zu eng. Das Ziel der Bildung, nämlich die Weiterentwicklung des Individuums in der Gesellschaft, sei letztlich nur mittels praktischer Beispiele realisierbar.

Die Grundsätze des BFH-Urteils in BFHE 155, 461, BStBl II 1989, 391 seien auch im Streitfall anwendbar. Der BFH habe ausdrücklich hervorgehoben, daß sich jede einzelne Handlung im Rahmen der gemeinnützigen Zwecke ("ausschließlich") bewegen müsse. Sowohl die Aktivitäten des Klägers in ihrer Gesamtheit als auch die Anzeigenaktion als solche hätten dem Satzungszweck gedient.

Hilfsweise werde darauf hingewiesen, daß eine Haftung auch deshalb nicht in Betracht komme, weil die Spendenbescheinigungen weder vorsätzlich noch grob fahrlässig ausgestellt worden seien und weil der Haftungsbescheid in jedem Fall ermessensfehlerhaft sei.

II.

Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--); sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen nicht seine rechtlichen Ausführungen.

1. Gemäß § 10b Abs. 4 Satz 2 Alternative 2 EStG (§ 9 Abs. 3 Satz 2 Alternative 2 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--) haftet derjenige für die entgangene Steuer, der veranlaßt, daß Zuwendungen nicht zu den in der Bestätigung angegebenen steuerbegünstigten Zwecken verwendet wurden. Der Kläger war berechtigt, Spendenbestätigungen auszustellen. Er verfolgt als besonders förderungswürdig anerkannte gemeinnützige Zwecke i.S. der Anlage 7 Nr. 5 in Abschn. 111 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR). Nach dieser Regelung, die übergangsweise noch weiter Geltung besitzt (s. unter 2.), ist --soweit hier von Bedeutung-- die Förderung der Erziehung und Volksbildung besonders förderungswürdig.

a) Der Begriff Volksbildung umfaßt auch die politische Bildung, der es auf der Grundlage der Normen und Vorstellungen einer rechtsstaatlichen Demokratie um die Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewußtseins geht; Bildung muß nicht nur in theoretischer Unterweisung bestehen, sie kann auch durch den Aufruf zu konkreter Handlung ergänzt werden. Keine politische Bildung ist demgegenüber die einseitige Agitation, die unkritische Indoktrination oder die parteipolitisch motivierte Einflußnahme (vgl. Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 52 AO 1977 Tz. 13).

Der Begriff der politischen Bildung ist auch vor dem Hintergrund des § 52 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 zu sehen, der die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich der AO 1977 als gemeinnützig qualifiziert; nicht gemeinnützig sind Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen. Die gemeinnützige allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens ist nur gegeben, wenn sich eine Körperschaft umfassend mit den demokratischen Grundprinzipien befaßt und diese objektiv und neutral würdigt (Klein/Gersch, Abgabenordnung, 6. Aufl., 1998, § 52 Tz. 6 a.E.). Die Förderung einer oder mehrerer Parteien fällt nicht unter die Regelung; das folgt aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 AO 1977.

b) Im Streitfall läßt sich anhand der vom FG festgestellten Tatsachen nicht abschließend beurteilen, ob die Anzeigenkampagne noch als ein Akt politischer Bildung zu beurteilen ist.

Nach seiner Satzung bezweckt der Kläger vor allem die Förderung und Entwicklung des Demokratieprinzips. Dieser Satzungszweck erlaubt es dem Kläger, bei seiner Bildungsarbeit auch an tagespolitische Ereignisse anzuknüpfen, ähnlich wie dies auch ein Verein zur Förderung des Friedens tun darf (BFH-Urteil in BFHE 155, 461, BStBl II 1989, 391). Allerdings darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit stehen.

Für die Beurteilung der Anzeigenkampagne ist nicht nur der Inhalt der Anzeigen von Bedeutung. Nach Auffassung des Senats kommt es auch auf die Veranlassung und die Motivation der Aktion sowie die näheren Begleitumstände und Hintergründe an. Es ist daher von Bedeutung, wie es zu der Aktion kam, auf wessen Betreiben die Aktion umgesetzt wurde und ob die Aktion mit den sonstigen damaligen Volksbildungsaktivitäten des Klägers in einem Gesamtzusammenhang stand. Von besonderer Bedeutung kann auch sein, daß --wie der Kläger im Schriftsatz vom 17. August 1998, S. 19 selbst vorgetragen hat-- für diese "besondere Aktion" nur eine Spendenbescheinigung ausgestellt worden sei. Das könnte die Annahme nahelegen, daß die Initiative zu der Aktion nicht von dem Kläger, sondern von dem Spender ausging, dem es möglicherweise nicht auf politische Bildung, sondern auf die Durchsetzung bestimmter Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art oder auf eine parteipolitische Einflußnahme ankam.

2. Der Berechtigung, Spendenbestätigungen auszustellen, steht nicht entgegen, daß nach Auffassung des X. Senats im Urteil vom 24. November 1993 X R 5/91 (BFHE 173, 519, BStBl II 1994, 683) an der Rechtmäßigkeit des § 48 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) insoweit Zweifel bestehen, als sich die Exekutive von den in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten materiellen und formellen Anforderungen möglicherweise selbst entbunden hat. Im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. Urteil vom 9. April 1992 2 BvE 2/89, BStBl II 1992, 766, 773) ist für eine Übergangszeit zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit oder zur Vermeidung eines weitergehenden verfassungswidrigen Zustandes von der übergangsweisen Weitergeltung des § 48 Abs. 2 EStDV auszugehen. Nach Ankündigung des Bundesministeriums der Finanzen (Schreiben vom 17. August 1994, BStBl I 1994, 710) ist für die nächste (also die jetzt laufende) Legislaturperiode eine Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Zweifel im Rahmen der Neuregelung des Spendenrechts geplant (vgl. Hildesheim in Hartmann/Böttcher/ Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 10b Rz. 45); dieser Planung entsprechend hat die Bundesregierung im Juli 1999 einen Entwurf zur Änderung der EStDV vorgelegt (BRDrucks 418/99).



Ende der Entscheidung

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