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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.12.1999
Aktenzeichen: XI R 84/98
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 62 Abs. 3 Satz 3 2. Halbsatz
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 62 Abs. 3
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 155
FGO § 118 Abs. 2
ZPO § 87 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat durch seinen Prozessbevollmächtigten (P) beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommensteuer 1985 erhoben. P legte eine auf ihn lautende undatierte, vom Kläger unterschriebene Vollmacht vor, die durch einen handschriftlichen Zusatz "für Einkommensteuer, Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 bis 1993" ergänzt ist. Nach dem formularmäßig verfassten Text wird P u.a. bevollmächtigt, den Unterzeichner in seinen Steuerangelegenheiten vor allen Gerichten, Finanzämtern, Steuer- und sonstigen Behörden zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe einzulegen, sonstige verbindliche Erklärungen abzugeben und rechtsverbindliche Unterschriften zu leisten. Die Vollmacht war einem Schreiben des P an das FG, in dem das Aktenzeichen, der Kläger, der Beklagte und der Streitgegenstand einschließlich des Streitjahres bezeichnet war, als Anlage beigeheftet. Das FG forderte P auf, eine vom Kläger selbst auf das Klageverfahren bezogene und mit zeitnahem Datum versehene Vollmacht vorzulegen und setzte ihm dafür eine Frist mit ausschließender Wirkung gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 2. Halbsatz der Finanzgerichtsordnung (FGO). Nachdem P dem nicht nachkam, wies das FG die Klage durch Prozessurteil als unzulässig ab. Die dem Gericht vorzulegende Vollmacht müsse einen hinreichenden Bezug zu dem konkreten Rechtsstreit haben. Sei eine Vollmacht unvollständig ausgefüllt, könne der Bevollmächtigte zwar die notwendigen Angaben selbst nachtragen. Dies setze aber voraus, dass er vom Kläger dazu ermächtigt worden sei. Davon habe vorliegend nicht zweifelsfrei ausgegangen werden können. Dem FG sei bekannt, dass die Prozessführung durch P in zahlreichen Klageverfahren ohne Wissen und Wollen der Mandanten erfolgt sei. Den dadurch begründeten Zweifeln habe das Gericht nachgehen und eine neue Vollmachtsurkunde anfordern müssen. Da P Veranlassung zu der erfolglosen Prozessführung gegeben habe, habe er die Kosten des Klageverfahrens zu tragen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 101, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), sowie der §§ 76 Abs. 2 und 62 Abs. 3 FGO. Dem FG habe eine Prozessvollmacht vorgelegen, die den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) genüge. Sie ermächtige P sowohl zur Durchführung des Klageverfahrens als auch zur Einlegung von Rechtsmitteln. Die Vollmacht lasse erkennen, "wer wozu" bevollmächtigt worden sei. Der konkrete Bezug zum vorliegenden Verfahren ergebe sich aus dem beigefügten Schriftsatz. Dazu sei P durch den Kläger auch intern ermächtigt gewesen; für das FG habe daher kein Anlass bestanden, an der Bevollmächtigung zu zweifeln.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) tritt der Revision entgegen.

II. 1. Die Revision ist zulässig.

Nach dem Inhalt der im Klageverfahren vorgelegten Vollmacht ist P zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen das erstinstanzliche Urteil ermächtigt. Seine Befugnisse erstrecken sich umfassend auf die Vertretung des Klägers vor allen Gerichten einschließlich der Revisionsinstanz.

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die im Klageverfahren vorgelegte Vollmachtsurkunde genügt den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Nachweis der Bevollmächtigung. Die Setzung einer Frist mit ausschließender Wirkung gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 2. Halbsatz FGO war daher unwirksam.

a) Lässt sich ein Beteiligter vor einem Gericht der Finanzgerichtsbarkeit durch einen Bevollmächtigten vertreten, ist dessen Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Aus ihr muss hervorgehen, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726). Die vorliegende Vollmacht entspricht diesen Anforderungen. Aus der Unterschrift und der Namensangabe ergibt sich, dass die Vollmacht vom Kläger stammt. P ist als derjenige ausgewiesen, auf den sich die Vollmacht bezieht.

Entgegen der Auffassung des FG hat P auch seine Bevollmächtigung zur Führung des Klageverfahrens nachgewiesen. Zwar bezieht sich die vorgelegte Vollmacht nicht ausdrücklich auf das konkrete gerichtliche Verfahren betreffend Einkommensteuer 1985. Der Bezug zum Klageverfahren wurde aber durch den ergänzenden handschriftlichen Zusatz und vor allem durch das an das FG gerichtete Begleitschreiben hergestellt. Ein Prozessbevollmächtigter ist befugt, für eine ihm überlassene Blankovollmacht oder ein zunächst unvollständig ausgefülltes Vollmachtsformular --entsprechend seiner internen Ermächtigung-- den erforderlichen Bezug zum konkreten Rechtsstreit dadurch herzustellen, dass er die notwendigen Angaben (Streitgegenstand, Beteiligte etc.) selbst in das Formular einträgt oder dieses --wie vorliegend-- zwar unvollständig belässt, aber einem dem FG übersandten Schriftsatz beiheftet, der den Rechtsstreit genau bezeichnet (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 29. Juli 1997 IX R 20/96, BFHE 183, 369, BStBl II 1997, 823; vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445; vom 19. Mai 1999 VI R 218/98, nicht veröffentlicht --NV--; Senatsbeschluss vom 4. Juni 1999 XI R 85/98, BFH/NV 1999, 1244). Dann steht der Wirksamkeit der Vollmacht auch nicht entgegen, dass sie nicht mit einem Datum versehen ist (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 20. September 1991 III R 118/89, BFH/NV 1992, 521; Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 1244).

b) Soweit das FG die Nichtanerkennung der Vollmachtsurkunde mit seiner Kenntnis vom Verlauf anderer Verfahren begründet hat, können derartige Erfahrungen zwar grundsätzlich geeignet sein, die Legitimation des P auch im Streitfall in Zweifel zu ziehen. Vorliegend hält der Senat die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht für gegeben. Ein Missbrauch der Vollmacht (vgl. etwa BFH-Urteil vom 13. Juni 1996 III R 21/95, BFH/NV 1997, 119) ist nicht erkennbar. Darüber hinaus kommt es bei der Frage der Wirksamkeit einer Vollmacht und ihres Umfangs nicht auf einen dem Prozessbevollmächtigten oder dem Gericht gegenüber nicht zum Ausdruck gekommenen inneren Willen des Klägers an, sondern entscheidend ist der in der Urkunde verkörperte objektive Erklärungswert (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 521). Ist ein Kläger mit der Prozessführung durch den Bevollmächtigten nicht einverstanden, muss er die Vollmacht widerrufen (§ 87 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 155 FGO). Ein derartiger Widerruf muss dem Gericht angezeigt werden (BFH-Urteile in BFH/NV 1992, 521; vom 19. Mai 1999 VI R 218/98, NV). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

c) Der Senat ist als Revisionsgericht nicht durch § 118 Abs. 2 FGO gehindert, das Vorliegen einer Prozessvollmacht zu überprüfen. Denn der ordnungsgemäße Nachweis der Bevollmächtigung gehört zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen, von deren Vorliegen die Zulässigkeit der auf sachliche Entscheidung gerichteten Klage abhängt (BFH-Urteile vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731, 733; in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445).

3. Da das FG zu Unrecht die Ordnungsmäßigkeit der Vollmacht und damit die Sachentscheidungsvoraussetzungen verneint hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren kann nicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes abgesehen werden. Eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und der Verstoß offen zutage tritt. Dies ist hier nicht der Fall.

Ende der Entscheidung

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