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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.06.1999
Aktenzeichen: 1 StR 229/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 244 Abs. 2
StGB § 231
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 229/99

vom

10. Juni 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juni 1999 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 21. Dezember 1998 mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Seine Revision hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg.

1. Folgendes ist festgestellt:

J. Z. und A. N. , beide stark angetrunken, begaben sich in der Nacht des 31. Mai 1998 zum Wohnhaus des Angeklagten, um die sofortige Rückzahlung von 60 DM zu fordern, die dieser Z. seit längerem schuldete.

Sie klingelten und forderten den Angeklagten lautstark über die Sprechanlage auf, sofort herunterzukommen. Als sie sich von dem über die nächtliche Störung verärgerten Angeklagten, der wegen des Lärms auch Auseinandersetzungen mit seinem Vater und den übrigen Hausbewohnern befürchtete, nicht abweisen ließen, nahm dieser ein Küchenmesser und begab sich vor das Haus. Als er die Tür öffnete, wich Z. , der das Messer nicht sehen konnte, zurück. Der Angeklagte "folgte ihm und stach in einem plötzlichen Wutanfall gezielt seitlich gegen den Oberkörper des Z. ", wobei er dessen Tod nicht wollte, aber billigend in Kauf nahm. Im Anschluß kamen beide zu Fall, wobei der Angeklagte über dem auf dem Rücken liegenden Z. zu liegen kam. Nunmehr gelang es N. , der trunkenheitsbedingt zuvor nicht eingegriffen hatte, den Angeklagten von Z. wegzuziehen.

J. W. , die inzwischen erschienene Freundin des Angeklagten, alarmierte auf dessen Aufforderung alsbald den Notarzt. Z. verstarb nach wenigen Minuten.

2. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe das Messer mitgenommen, um sich verteidigen zu können, da ihm aufgrund der von ihm gehörten Stimmen klar war, daß ihm mehrere Personen gegenüberstehen würden. Als er die Haustür geöffnet und Z. und N. wegen des Lärms beschimpft habe, sei er sofort angegriffen und aus dem Haus gezerrt worden. Hierbei sei er auch verletzt worden. Nachdem die beiden nicht von ihm abgelassen hätten, habe er in Panik ungezielt zugestoßen.

3. Die Urteilsgründe äußern sich nicht ausdrücklich dazu, aus welchem Grund der Angeklagte das Messer mitgenommen hat. Die Feststellung, daß er Z. in einem "plötzlichen Wutanfall" folgte und auf ihn einstach, spricht aber dagegen, daß der Angeklagte nach Auffassung der Strafkammer das Messer von vorneherein in Angriffsabsicht mitgenommen hatte.

Im übrigen stützen sich die Feststellungen auf die Aussagen des Zeugen N. .

a) Dieser hat angegeben, der Angeklagte sei nicht angegriffen worden, es sei auch nichts geredet worden. Den Stich habe er nicht gesehen, sondern er habe das Messer erstmals bemerkt, als es in der Brust von Z. steckte. "Auf welche Weise" der Angeklagte und Z. zu Boden gefallen seien, wisse er nicht, er habe den Angeklagten dann aber jedenfalls von Z. heruntergezogen.

b) Die Strafkammer bewertet die Aussagen von N. in ihrem Kern als glaubhaft, wenn er auch wegen seiner damaligen Trunkenheit "keinen idealen Zeugen darstellen" könne und der von ihm beschriebene "stillschweigende Ablauf ... etwas in Zweifel zu ziehen" sei. Für seine Glaubwürdigkeit spräche, daß die beim Angeklagten festgestellten leichteren Verletzungen nach sachverständiger Aussage "nicht notwendigerweise" auf Gewaltanwendung schließen ließen. Die Verletzungen im Mundbereich gingen "eher" darauf zurück, daß sich der Angeklagte selbst auf die Lippen gebissen hat, die Verletzungen im Brustbereich seien mit den Schilderungen von N. über das Wegziehen "durchaus erklärbar", die Verletzungen im Bereich der Knie seien "zwanglos" mit den Angaben N. s über "Knien des Angeklagten über dem Opfer" auf dem Kiesboden zu erklären.

4. Zu Recht macht die Revision geltend, die Strafkammer habe ihre Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt, daß sie nicht J. W. als Zeugin gehört hat.

a) Wie die Revision zutreffend ausführt, hat J. W. , die Freundin des Angeklagten, ausweislich des Akteninhalts gegenüber der Polizei angegeben, sie sei dem Angeklagten gefolgt, kurz nachdem er nach unten gegangen sei. Schon als sie die Wohnungstür geöffnet habe, habe sie "Geschrei" gehört. Auch wenn sie dessen Inhalt nicht habe verstehen können, sei sie aufgrund des Geschreis der Auffassung gewesen, daß eine Schlägerei stattfinde. In dieser Auffassung habe sie sich anschließend dadurch bestärkt gesehen, daß nach ihrem Erscheinen der Angeklagte, der ihr "völlig neben der Kappe" erschien und immer wieder gefordert habe, daß schnell ein Arzt kommt, geäußert habe, "daß die gleich auf ihn losgegangen seien".

b) Ob die vom Gericht verwendeten Beweismittel ausreichen oder ob zu ihrer Absicherung oder Überprüfung ihres Beweiswerts weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist anhand der Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert das Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zu Tage getreten sind, desto größer ist der Anlaß für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen (BGH StV 1996, 249, 250 m.w.Nachw.).

c) Hier stützen sich die Feststellungen im wesentlichen auf die Aussagen des Zeugen N. , der, wäre statt seiner Version die des Angeklagten richtig, sich wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) strafbar gemacht hätte. Den Stich hat er nach eigenen Angaben nicht gesehen. Im übrigen ist er nach der Bewertung der Strafkammer kein "idealer Zeuge", und an der Richtigkeit seiner gegen einen Kampf sprechenden Aussage, es sei nicht gesprochen worden, äußert die Strafkammer Zweifel.

Unter diesen Umständen gebot die Aufklärungspflicht die Vernehmung von J. W. , die ausweislich ihrer polizeilichen Vernehmung über Erkenntnisse verfügte, die Rückschlüsse auf das dem Tod Z. s vorangehende Geschehen möglich erscheinen lassen.

Ergäbe ihre Aussage, daß die Schilderung N. s in einem wichtigen Punkt falsch ist, könnte dies Einfluß auf die Bewertung seiner Aussage im übrigen haben; dies könnte sich wiederum auf die Bewertung der Aussagen des Angeklagten auswirken. Es liegt auf der Hand, daß die Tat in einem für den Angeklagten günstigeren Licht erschiene, wenn von seiner Version auszugehen wäre.

d) Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne daß es auf das übrige Vorbringen der Revision noch ankäme.

Ende der Entscheidung

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