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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: 1 StR 232/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 212
StGB § 227
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 232/04

vom 20. Oktober 2004

in der Strafsache

gegen

wegen fahrlässiger Tötung

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Oktober 2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Dr. Kolz, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 17. Februar 2004 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung - durch Unterlassen - zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachbeschwerde. Sie rügt Mängel der Beweiswürdigung und erstrebt eine Verurteilung wegen Totschlags. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sprachen der Angeklagte und seine Lebensgefährtin E. S. dem Alkohol in starkem Maße zu. Ihre Beziehung war gekennzeichnet durch häufige Streitereien im betrunkenen Zustand. Am 30. September 2002 kam der Angeklagte, der zuvor Alkohol zu sich genommen hatte, gegen 21.00 Uhr nach Hause. Seine Lebensgefährtin befand sich im "Alkoholdelirium". Sie lag bekleidet im Bett und hatte eingekotet. Seine Aufforderung, sich zu baden, lehnte sie ab. Er zog sie aus dem Bett, entfernte das verschmutzte Bettuch und schob sie ins Badezimmer. Sie füllte zwar die Wanne mit heißem Wasser, kam aber ungesäubert in die Küche. Der Angeklagte zerrte sie erneut ins Badezimmer. Als sie sich weigerte, sich auszuziehen und in die Wanne zu steigen, stieß er sie in diese. Möglicherweise schlug die Frau dabei mit dem Hinterkopf an der Kante der Badewanne auf, möglicherweise hatte sie sich aber auch die später festgestellte Hinterkopfverletzung zeitnah am selben Abend zuvor durch einen Sturz oder Anschlagen an einen anderen Gegenstand zugezogen. Als sich die Frau mit dem ganzen Körper in der gefüllten Wanne befand, versuchte sie aus dieser wieder herauszusteigen. Der Angeklagte drückte den Körper in das Wasser zurück. Er versuchte sie auszukleiden. Da sie sich heftig wehrte, gab er schließlich auf und sagte zu ihr: "Tu doch, was Du magst". Die Frau blieb bis zum halben Oberkörper im Wasser in der Wanne liegen. Der Angeklagte bereitete sich in der Küche ein Essen und sah fern, ohne sich weiter um die betrunkene Frau zu kümmern. Gegen 22.15 Uhr ging er zur Toilette. Die Frau lag immer noch bekleidet ruhig im Wasser. Er meinte, daß sie ihn anblinzelte. Er sprach sie aber nicht an, verrichtete seine Notdurft und ging ins Bett.

Das Landgericht hat weiter festgestellt:

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 22.00 Uhr und 7.00 Uhr glitt die Frau aufgrund einer alkoholbedingten Bewußtseinsstörung mit dem Kopf unter Wasser, was zum Ertrinkungstod führte. Ein bis zwei Minuten nach dem Untertauchen des Kopfes betrat der Angeklagte erneut das Badezimmer und zog nunmehr den Kopf der Frau so weit hoch, daß er wieder über die Wasseroberfläche kam und dort verblieb. Er erkannte möglicherweise nicht, daß sie bereits tot war. Gegen 6.45 Uhr stand er am nächsten Morgen auf und sah die Frau immer noch bekleidet in der Wanne liegen. Dieses Mal sprach er sie an, erhielt allerdings keine Antwort. Als sie auch auf Berührungen und "Betatschungen" nicht reagierte, geriet er in Sorge, ließ das Wasser aus und verständigte aus einer Telefonzelle den Notarzt. Dieser fand die Frau mit dem Kopf außerhalb der Wasserlinie vor und stellte um 7.53 Uhr deren Tod fest.

Das Opfer hatte eine Blutalkoholkonzentration zwischen 2,78 und 3,95 o/oo. Die Tatzeit-BAK des Angeklagten betrug aufgrund der Trinkmengenangaben ca. 2 o/oo bei hoher Alkoholtoleranz.

Die Obduktion der Leiche führte zu keiner eindeutig nachweisbaren Todesursache. Es wurden allerdings "Verkochungen" der Hautdecken am Rumpf, den Beinen und den Armen unter Aussparung der oberen Brustregion, des Halses und des Kopfes festgestellt. Die Einlaßtemperatur des Wassers ist unbekannt. Der gehörte gerichtsmedizinische Sachverständige hat ausgeführt, daß derartige Verbrühungen bei gleichmäßiger Einwirkung von 44° Celsius erst nach fünf Stunden eintreten, bei höheren Temperaturen aber bereits nach wenigen Minuten oder gar Sekunden. Erst die feingewebliche Untersuchung der Lungen des Opfers hat schließlich die eindeutige Todesursache durch Ertrinken ergeben. Der Todeszeitpunkt konnte nicht näher eingegrenzt werden. Für den Tod in den frühen Morgenstunden spreche - so der Sachverständige - die gemessene Raum- bzw. Rektaltemperatur, woraus geschlossen werden müsse, daß die Frau bis nicht allzu lange vor der Todesfeststellung noch im warmen Badewasser gelegen haben müsse, da sie sonst stärker ausgekühlt wäre. Die Untersuchung des Mageninhalts spreche dagegen für einen früheren Todeseintritt.

2. Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, seine Lebensgefährtin ertränkt zu haben. Dies bestreitet er und läßt sich dahin ein, der Kopf sei nie unter Wasser gewesen, er habe ihn auch zu keinem Zeitpunkt wieder herausgezogen. Als er die Frau in die Wanne verbracht habe, sei das Wasser gut warm gewesen; sie habe gern heiß gebadet. Er habe während der Nacht kein heißes Wasser nachgefüllt.

3. Die Strafkammer hat, sachverständig beraten, vier Sachverhaltsvarianten geprüft. Die Kammer hält es zwar für objektiv möglich, daß der Angeklagte seine Lebensgefährtin für die Dauer von ein bis zwei Minuten gewaltsam unter die Wasseroberfläche gedrückt hat, so daß sie dadurch ertrank, "einen zwingenden Beweis" dafür habe die Beweisaufnahme jedoch nicht erbracht. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen zieht sie aus der Tatsache, daß keine "Verkochungen" im Kopfbereich eingetreten sind und nur geringe Ertrinkungsbefunde vorlagen, den Schluß, daß der Kopf der Frau sich zwar für einen für die Ertrinkung ausreichenden Zeitraum von ein bis zwei Minuten unter Wasser befunden habe, danach aber wieder oberhalb der Wasserfläche. Da die Ertrunkene nach Eintritt des Ertrinkungstodes den Kopf nicht aus eigenen Kräften wieder über Wasser gebracht haben kann, schließt die Kammer weiter, daß der Angeklagte dies getan haben müsse. Hinsichtlich des Zeitpunktes kann sie aber nicht ausschließen, daß das Opfer gegen 22.15 Uhr, als der Angeklagte seine Notdurft verrichtete, noch lebte und danach noch selber ein oder mehrmals heißes Wasser nachgefüllt hat, so daß gegen Morgen, als der Tod festgestellt wurde, der Körper noch nicht völlig ausgekühlt war.

II.

Die Beweiswürdigung begegnet rechtlichen Bedenken.

1. Das Revisionsgericht hat die Entscheidung des Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten. Diese sind nur dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, gegen die Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen verstößt oder an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 m.w.Nachw.). An diesen Maßstäben gemessen hat das angefochtene Urteil keinen Bestand.

2. Der Tatrichter hat hier nicht alle wesentlichen Umstände in seine Überlegungen einbezogen, durch die er Zweifel an einer vorsätzlich begangenen Tat (§§ 212, 227 StGB) hätte überwinden können. Die Würdigung leidet an Erörterungsmängeln und ist deshalb schon nicht tragfähig.

a) Die Mindestwassertemperatur, die zu den vorgefundenen Verkochungen führen konnte, ist mit 44° Celsius festgestellt, setzt aber eine gleichmäßige Einwirkung von mehr als fünf Stunden voraus. Es liegt schon nicht nahe, daß auch Menschen, die ein heißes Bad bevorzugen, sich freiwillig solche Verbrühungen zufügen, wie sie beim Opfer festgestellt wurden, sei es durch freiwilliges Verbleiben in dem zu heißen Wasser nach dem Hineinstoßen oder sei es durch Nachfüllen eines solchen. Das Landgericht hätte sich daher sowohl mit der menschlichen Reaktion auf eine solche Temperatur des Badewassers als auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, auf welche konkrete Weise diese Temperatur über fünf Stunden gehalten werden kann und auch gehalten wurde. Das Zusammenspiel beider Faktoren kann hier zu einer sogar noch höheren Ausgangstemperatur führen.

b) Im Hinblick darauf, daß nach den Ausführungen des Sachverständigen der Körper der Frau bis in den frühen Morgenstunden im warmen Wasser gelegen haben muß, weil er sonst stärker ausgekühlt wäre, andererseits der Mageninhalt für einen früheren Todeseintritt spreche, und unter weiterer Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten, der Kopf der Frau sei nie unter Wasser gewesen, hätte die Strafkammer nicht nur ein Nachfüllen durch das noch lebende Opfer selbst in Erwägung ziehen dürfen. Erörterungsbedürftig wäre gewesen, daß auch der Angeklagte die Verbrühungen an der schon toten Frau herbeigeführt haben könnte - sei es durch Nachfüllen oder durch erneutes Befüllen mit heißem Wasser -, um möglicherweise eine andere Todesursache vorzutäuschen.

3. Die Formulierung des Landgerichts, es sei objektiv möglich, daß der Angeklagte seine Lebensgefährtin gewaltsam unter die Wasseroberfläche für die Dauer von ein bis zwei Minuten gedrückt habe, so daß sie dadurch ertrank, dafür jedoch die Beweisaufnahme keinen "zwingenden Beweis" erbracht habe, läßt zudem besorgen, daß das Landgericht an die richterliche Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung dafür, daß sich der Tatrichter vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts überzeugt, nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und damit von niemandem anzweifelbare Gewißheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen läßt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklich, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5).

So liegt der Fall hier. Das Landgericht geht ohne reale Anknüpfungspunkte von der denktheoretisch, abstrakten Möglichkeit aus, der Angeklagte sei ein bis zwei Minuten nach dem durch alkoholbedingte Bewußtseinsstörung eingetretenen Untertauchen des Kopfes und dadurch herbeigeführten Ertrinkungstod aufgewacht und im Badezimmer zur Stelle gewesen, um den unter Wasser befindlichen Kopf der Frau wieder herauszuziehen. Eine Grundlage für diesen eher fernliegenden Geschehensablauf gibt die Kammer nicht an.

Ende der Entscheidung

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