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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.07.2001
Aktenzeichen: 1 StR 263/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
StGB § 177 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 263/01

vom

24. Juli 2001

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. Februar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 35 Fällen (Tatopfer seine 1981 geborene Stieftochter B. , Tatzeit: zwischen März und Dezember 1992) und wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (Tatopfer seine Ehefrau S. S. , Tatzeit: September und Oktober 1999) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt.

Seine Revision hat mit der Sachrüge wegen Mängeln der Beweiswürdigung Erfolg.

I.

Der Angeklagte und S. S. haben 1990 geheiratet. Waren die "innerfamiliären Verhältnisse zunächst relativ gut", so verschlechterten sie sich später "nachhaltig", offensichtlich wegen Fragen der Kindererziehung. So gab der aus einer früheren Ehe des Angeklagten stammende 1985 geborene D. S. , der 1997 von zu Hause ausgerissen war, bei seinem Aufgriff durch die Polizei wahrheitswidrig an, er traue sich wegen der Schläge, die er von seiner Stiefmutter bekomme, nicht nach Hause. Der Angeklagte warf S. S. vor, sie bevorzuge ihre Töchter (neben B. lebte noch deren 1985 geborene Schwester F. mit im Haushalt). In diesem Zusammenhang hat das Landgericht - nicht ganz klar - festgestellt, daß es einerseits darüber viel Streit gab, andererseits sei S. S. aber Streit aus dem Weg gegangen, "indem sie immer machte, was der Angeklagte wollte". Auf Veranlassung des Angeklagten wurde sie gegen ihre Töchter handgreiflich, wobei dieser dann - auch dies wird nicht ganz klar - "beschwichtigend eingriff" und B. half. All dies hatte Auswirkungen auf den ehelichen Verkehr. S. S. "schützte häufig Müdigkeit vor und ließ sich zunehmend unwillig dazu bewegen, dem Angeklagten 'seins' zu gewähren".

Ohne daß auch dies näher ausgeführt wäre, nahmen 1999 "innerfamiliäre Gewalthandlungen" deutlich zu, es kam zu "Anzeigen und Gegenanzeigen", der eheliche Verkehr kam deswegen ab etwa April 1999 "völlig zum Erliegen".

1. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht folgende Taten zum Nachteil von S. S. festgestellt:

An einem nicht mehr genau bestimmbaren Sonntagmorgen im September 1999 wollte der Angeklagte dennoch den Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau ausführen. S. S. , die seine Absicht erkannte, erklärte ihren entgegenstehenden Willen nicht ausdrücklich, weil sie fürchtete, er werde sie schlagen, wehrte den Angeklagten aber mit den Händen ab, wickelte sich in ihre Bettdecke und drehte sich vom Angeklagten weg zur Bettkante. Um ihren Widerstand zu überwinden, zog ihr der Angeklagte die Decke weg, drehte sie auf den Rücken und hebelte ihre zusammengepreßten Beine auseinander. Daraufhin ließ die Geschädigte den Geschlechtsverkehr über sich ergehen.

Am 10. Oktober 1999 überwand der Angeklagte erneut den Widerstand S. S. 's, indem er ihr die Decke entriß, in die sie sich gewickelt hatte, und sie umdrehte. Als sie dieses Mal jedoch "mehr weitere Gegenwehr leistete", erklärte der Angeklagte, sie könne ruhig schreien, es werde sie niemand hören. S. S. setzte dem Angeklagten keinen weiteren Widerstand entgegen und ließ den Geschlechtsverkehr über sich ergehen. Nach der Bewertung des Landgerichts ging dabei die "eigentliche Gewalt von ihrer Intensität her nicht wesentlich über das zur Tatbestandserfüllung Erforderliche hinaus".

2. Der Angeklagte hat bestritten, S. S. vergewaltigt zu haben. Zwar räumte er ihre anfängliche Gegenwehr ebenso ein, wie die von ihr berichtete Äußerung im zweiten Fall. Beide Male sei sie letztlich aber doch einverstanden gewesen: "Man habe zusammen geschlafen wie sonst auch". Sie habe "nicht so recht mitgemacht, sie habe ja nie so recht gewollt und sich immer auf Müdigkeit berufen". Daß sie allerletztlich keinen Geschlechtsverkehr gewollt habe, sei ihm jedenfalls nicht deutlich geworden. Wenn seine Ehefrau früher nach Streitigkeiten keinen Geschlechtsverkehr hätte haben wollen, habe sie gesagt "faß mich nicht an", dann habe er gewußt, wie sie es sah.

3. Das Landgericht sieht den Angeklagten auf Grund der Aussage von S. S. als überführt an. Diese hat bestätigt, daß sie ihren entgegenstehenden Willen in beiden Fällen nicht verbal bekundet habe, weil sie die Erfahrung gemacht habe, daß verbale Abwehr zu Aggressionsausbrüchen des Angeklagten führten. Ebenso hat sie bestätigt, daß es bereits früher öfters so gewesen sei, daß sie nicht gewollt habe, sich dann in ihre Decke gewickelt habe und aufgestanden und gegangen sei. Wenn der Angeklagte gewollt habe, habe er jedoch "seins" bekommen.

Das Landgericht hat, ohne dies freilich vom eigentlichen Tatablauf her näher zu erläutern, einen Unterschied zu "früheren - eigentlich von ihr ungewollten, aber letztlich doch mehr oder weniger einvernehmlichen - Geschlechtsverkehren" erörtert. Soweit aus den Urteilsgründen erkennbar, schließt es ihn im wesentlichen daraus, daß der Angeklagte schon wegen des langen Zeitablaufs nicht mehr mit einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr habe rechnen können.

4. Angesichts der gesamten Beweislage, bei der sich das Landgericht letztlich hinsichtlich der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens nicht zuletzt auf die konkrete Schilderung von S. S. zum Tatablauf stützt, die Entscheidung also im wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe aber erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st.Rspr., vgl. nur BGH NStZ 2000, 496 lfd. Nr. 25 und 26 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

a) So setzt sich das Landgericht nicht mit der Einlassung des Angeklagten auseinander, S. S. habe früher verbal verdeutlicht, wenn sie keinen Geschlechtsverkehr gewollt habe. Daß diese Einlassung unzutreffend wäre, versteht sich nicht von selbst. Auch andere Aussagen des Angeklagten, etwa darüber, daß S. S. auch sonst (zunächst) innerlich zum Geschlechtsverkehr nicht bereit war, es dann aber doch, wie es das Landgericht ausdrückt "mehr oder weniger einvernehmlich" zum Geschlechtsverkehr kam, hat S. S. letztlich bestätigt.

Träfen die Angaben des Angeklagten zu früheren klaren Äußerungen von S. S. zu, könnte darin ein - gegebenenfalls tatrichterlich zu würdigendes - Indiz zugunsten des Angeklagten liegen.

Dies gilt um so mehr, als die Urteilsgründe Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Angeklagte auch im Tatzeitraum einen ihm erkennbaren entgegenstehenden Willen von S. S. akzeptiert hat. Das Landgericht hat festgestellt, diese habe sich eine Woche nach dem zweiten Vorfall einem "Geschlechtsverkehrsversuch" des Angeklagten durch eiliges Verlassen des Bettes entziehen können. Daß der Angeklagte in diesem Zusammenhang aggressiv geworden sei, ist dagegen nicht festgestellt.

b) Das Landgericht geht insgesamt davon aus, daß S. S. nicht gelogen hat. Es bestand jedoch darüber hinaus auch Anlaß zu Erörterungen, inwieweit zumindest unbewußte Übertreibungen in deren Angaben eingeflossen sind.

So hatte S. S. ausweislich der Urteilsgründe im Ermittlungsverfahren angegeben, "der Angeklagte sei ja zwei Köpfe größer als sie". Tatsächlich sind beide etwa gleich groß. Das Landgericht erklärt diese objektiv unzutreffende Angabe damit, daß sich S. S. "offenbar dem Angeklagten um zwei Köpfe unterlegen" fühlt.

Hiervon ausgehend kann, ohne daß dies erörtert wäre, auch eine vom Landgericht als nicht überzeugend angesehene Angabe des Angeklagten in anderem Licht erscheinen:

Das Landgericht hat nach Anklageerhebung Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Es hatte dabei die Taten zum Nachteil von S. S. von den Vorwürfen ausgenommen, da "doch gewisse Zweifel bezüglich der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens" bestanden. Daher wurde auch die Angabe des Angeklagten bei der Haftbefehlseröffnung, "wenn sie keinen Geschlechtsverkehr hätte haben wollen, hätte sie sich ja wehren können" (schon damals, ebenso wie in den Urteilsgründen) "nicht näher vertieft".

Im Hinblick auf die gesamte Beweislage hätte hierzu aber Anlaß bestanden.

c) Letztlich fehlt es auch an einer vollständigen Würdigung der Entstehungsgeschichte der Beschuldigung (sog. Aussagegenese).

Die Urteilsgründe ergeben, daß zwischen dem Zeitpunkt der Tatvorwürfe und der Anzeigeerstattung einige Zeit verstrichen war. Zwar kann es häufig nahe liegen, daß eine vergewaltigte Ehefrau nicht unverzüglich Anzeige erstattet. Hier liegt jedoch die Besonderheit vor, daß es auch schon früher "Anzeigen und Gegenanzeigen" gegeben hatte. Dann kann der Umstand, daß so schwerwiegende Vorwürfe wie Vergewaltigungen offenbar erst mit zeitlicher Verzögerung angezeigt werden, Gewicht gewinnen.

Die eingehende Erörterung der Aussagegenese wäre um so mehr geboten gewesen, als nach den Urteilsgründen schließlich auch ein Zusammenhang mit gerichtlichen Auseinandersetzungen und dem auch insoweit sehr ambivalenten Verhalten von S. S. nicht auszuschließen ist (vgl. auch BGH NStZ 1999, 45). Im September 1999 wollte sie sich "noch nicht so richtig" vom Angeklagten trennen. "Nach Anzeigeerstattung Ende Dezember war sie nicht mehr gewillt, die Ehe fortzusetzen", "widersetzte sich dann", aus vermögensrechtlichen Erwägungen, "allerdings einer vom Angeklagten betriebenen Scheidung".

5. Nach alledem kann der Schuldspruch insoweit keinen Bestand haben.

II.

Auch die Beweiswürdigung hinsichtlich der Taten zum Nachteil von B. S. ist jedenfalls im Hinblick auf die Gesamtumstände des Falles schon ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei.

1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:

Zwischen März und Dezember 1992 begab sich der Angeklagte in mindestens 34 Fällen in den frühen Morgenstunden in das Zimmer des damals 10- bzw. 11-jährigen Mädchens und strich ihr über nackte Brust und Scheide. In neun von diesen Fällen führte er einen Finger in ihre Scheide ein, in einem Fall kam es zum Geschlechtsverkehr. Im Dezember 1992 preßte der Angeklagte das Mädchen bei einer zufälligen Begegnung im elterlichen Schlafzimmer an sich und griff ihr über der Kleidung an die Scheide.

2. Bei diesen Feststellungen konnte das Landgericht sich darauf stützen, daß der Angeklagte ursprünglich ein Teilgeständnis abgelegt hat. Er hatte bei der Eröffnung des Haftbefehles in Anwesenheit seiner damaligen Verteidigerin eingeräumt, in "wohl 15 Fällen" B. nachts in ihrem Zimmer aufgesucht und sie unter der Kleidung "auch im Bereich von Brust und Scheide" gestreichelt zu haben. Geschlechtsverkehr hat er nicht eingeräumt.

Diese Angaben hat er allerdings in der Hauptverhandlung weitgehend relativiert. Er habe zwar mit B. "etwas gehabt", sie sei zu ihm ins Bett gekommen, "um Liebe und Geborgenheit zu suchen". Insgesamt bewertet das Landgericht seine Angaben in der Hauptverhandlung als den Versuch, "sein Verhalten den väterlichen Zärtlichkeiten ohne sexuelle Bedeutung zuzuordnen".

3. Das Landgericht sieht den Angeklagten auf Grund der Aussage von B. S. als überführt an:

Diese hat sich auf "ganz konkrete Erinnerungen" an das Verhalten des Angeklagten berufen, wenngleich sie im Ermittlungsverfahren den zeitlich ersten und daher erfahrungsgemäß besonders einprägsamen Vorfall (anläßlich einer Beerdigung in der Nähe von Leipzig) noch nicht "erwähnt" hatte.

Das Landgericht hat auch "keinerlei Belastungseifer" festgestellt, ohne sich damit auseinanderzusetzen, daß es an anderer Stelle von einem "sich steigernden Haß" von B. auf den Angeklagten spricht. Auch "nach Abbruch der sexuellen Kontakte" hatte sich diese vom Angeklagten in alltäglichen Dingen, wie z.B. im Zusammenhang mit häuslicher Ordnung, "schikaniert" gefühlt.

4. Nach alledem hätte das Landgericht trotz des (ursprünglichen) Teilgeständnisses auch zu der Entstehung der Aussage von B. S. Feststellungen treffen und diese würdigen müssen. Feststellungen zu der naheliegenden Möglichkeit eines Zusammenhangs mit den "innerfamiliären Streitigkeiten" und mit der Anzeige von S. S. fehlen. Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich dies auf die Feststellungen etwa zur Zahl der Vorgänge oder dazu, ob es auch zu Geschlechtsverkehr gekommen ist, ausgewirkt hat.

III.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Der Senat weist vorsorglich darauf hin, daß Vergewaltigungen im Urteilstenor auch dann zu bezeichnen sind, wenn, wie hier geschehen, die Strafen hierfür trotz Erfüllung des Regelbeispiels gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB dem Strafrahmen von § 177 Abs. 1 StGB entnommen werden (vgl. BGH bei Pfisterer, NStZ-RR 2000, 357).

Ende der Entscheidung

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