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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.07.1999
Aktenzeichen: 1 StR 313/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 32
StGB § 17
StGB § 16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 313/99

vom

20. Juli 1999

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 1999 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 9. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt.

Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Folgendes Geschehen ist festgestellt:

Der Angeklagte und eine (mit einem anderen Mann verheiratete) Frau hatten, beide angetrunken, am Morgen des 18. Juli 1998 gegen 4.00 Uhr eine Veranstaltung in einer Festhalle verlassen und tauschten im Bereich einer nahegelegenen dunklen Hausecke Zärtlichkeiten aus. Der ebenfalls angetrunkene spätere Geschädigte, der Zeuge F. , kam zufällig hinzu und fragte aus einer Entfernung von mehreren Metern, ob es Probleme gebe. Die Frau, die sich "ertappt" fühlte, entfernte sich sofort. Der hierüber verärgerte Angeklagte bezeichnete F. daraufhin als "Arsch" und forderte ihn auf, "abzuhauen". Hierüber war wiederum F. verärgert, ging auf den Angeklagten zu und gab ihm eine Ohrfeige. Der Angeklagte wich einige Schritte zurück, F. folgte ihm und hob erneut den Arm. Der Angeklagte, der fürchtete, von dem ihm bis dahin unbekannten, zwar nur unwesentlich größeren, aber wesentlich schwereren F. (110 kg bei 186 cm gegenüber 90 kg bei 183 cm) eine weitere Ohrfeige zu bekommen, zog sein Butterflymesser und stach F. "ohne jegliche Vorwarnung" damit in den Bauch. Daß der Angeklagte dabei die Möglichkeit in Kauf genommen hätte, daß F. sterben könnte, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Der schwerverletzte F. konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.

2. Notwehr (§ 32 StGB) lehnt die Strafkammer ab.

Sie geht davon aus, daß dem Angeklagten zwar ein rechtswidriger Angriff durch F. drohte. Er hätte jedoch den Einsatz des Messers zunächst androhen müssen oder jedenfalls F. nur in den Arm stechen dürfen. Damit ging die Strafkammer hinsichtlich der Ablehnung von Notwehr wegen fehlender Erforderlichkeit der konkreten Abwehrmaßnahme von einem zutreffenden Ansatz aus, wenn sicher feststünde, daß der Angeklagte tatsächlich erkannt hat, daß F. unbewaffnet war und daß eine weniger gefährliche Abwehrmöglichkeit geeignet gewesen wäre, die drohende Gefahr zweifelsfrei und endgültig zu bannen (vgl. BGH NStE Nr. 22 zu § 32 StGB; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5 jew. m.w.Nachw.). Es wird jedoch schon nicht deutlich, ob die entsprechenden Feststellungen auf unmittelbaren Angaben des Angeklagten beruhen oder Schlußfolgerungen aus dem objektiven Geschehensablauf sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der alkoholisierte F. dem ebenfalls angetrunkenen Angeklagten bis dahin unbekannt war und daß sich das gesamte Geschehen innerhalb kürzester Frist in der Dunkelheit abspielte, wobei dem Angeklagten ein erneuter Angriff durch F. drohte.

Auch sonst sind die Feststellungen nicht klar. Die Strafkammer hält sowohl für möglich, daß der Angeklagte eine weniger gefährliche Abwehrmöglichkeit nicht bedacht hat, als auch, daß er geglaubt hat, zu einem sofortigen Stich berechtigt zu sein. Beides hält die Strafkammer für einen Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB, den der Angeklagte bei gehöriger Gewissensanspannung hätte vermeiden können. Läge jedoch ein Irrtum über eine weniger gefährliche Abwehrmöglichkeit vor, wäre ein gemäß § 16 StGB zu behandelnder Erlaubnistatbestandsirrtum gegeben, soweit dieser Irrtum auf der Fehlbeurteilung von Tatsachen beruhte (vgl. BGH NStZ 1983, 453). Es ist unter den gegebenen Umständen nicht auszuschließen, daß sich die aufgezeigte Unklarheit über die Art des Irrtums des Angeklagten auch auf die Feststellungen zu den Grundlagen seines Irrtums ausgewirkt hat.

Daher muß das Urteil insgesamt aufgehoben werden.

3. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird auch Gelegenheit haben, sich mit den von der Revision in tatsächlicher Hinsicht zur Erforderlichkeit der Notwehrhandlung vorgebrachten Bedenken auseinanderzusetzen.

Ende der Entscheidung

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