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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: 1 StR 331/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 211
StGB § 35 Abs. 1
StGB § 49 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 213
StGB § 49 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 34
StGB § 35
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 331/04

vom 23. November 2004

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. November 2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Dr. Kolz,

die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 20. Februar 2004 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Heimtückemordes unter Bezugnahme auf die vom Großen Senat für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen erschoß die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 16. August 2003 ihren mit geschlossenen Augen auf der Couch liegenden Ehemann im Wohnzimmer des von ihnen gemeinsam bewohnten Hauses mit dessen Revolver. Der Ehemann war zuvor alkoholisiert nach Hause gekommen und hatte die Angeklagte wie üblich beschimpft. Er hatte sie danach auch aufgefordert, den ihr zuwider gewesenen Oralverkehr zu vollziehen. Dies hatte die Angeklagte jedoch sofort verweigert, ohne daß der Ehemann daraufhin nachhaltig darauf bestanden hätte. Er hatte sich dann vielmehr auf die im Wohnzimmer befindliche Couch gelegt, um dort, wie üblich, gemeinsam mit der Angeklagten zu nächtigen. Die Angeklagte, die wie ihr Ehemann in ihrer Freizeit der Jagd nachging, holte wenig später aus dem Waffenschrank einen Revolver und schoß mit der großkalibrigen Waffe dem nach wie vor schlafenden Mann in den Kopf. Um die Tötung ihres Ehemannes als unglückliche Folge eines vorangegangenen Streits, verbunden mit einer Attacke mit einem Jagdmesser und einer sexuellen Nötigung darzustellen, schnitt sie sich mit einer Schere einige Haarbüschel am Kopf ab und brachte sich mit dem Jagdmesser mehrere Verletzungen im Gesicht und am Körper bei. Um die Darstellung der versuchten sexuellen Nötigung glaubhaft zu machen, entblößte sie das Geschlechtsteil des Ehemannes, wobei sie Schutzhandschuhe benutzte, um keine Spuren zu hinterlassen. Dabei entging ihr nicht, daß ihr Ehemann zunächst noch lebte. Schließlich legte sie den Revolver auf der Couch in der Nähe des Oberschenkels ihres Ehemanns ab und rief ihren Sohn mit der Behauptung an, sie sei mit der Waffe bedroht worden und dabei sei ein Schuß losgegangen. Motiv für die Handlungsweise der Angeklagten war neben den seit vielen Jahren erfolgten, sie zermürbenden ständigen Beschimpfungen durch den Ehemann und auch dessen Verlangen nach Oralverkehr. Auch wenn ihre erwachsenen Kinder sie aufgenommen hätten, wollte die Angeklagte das gemeinsam mit dem Ehemann erbaute Haus nicht verlassen.

2. Die Strafkammer hat die Tat der Angeklagten rechtlich als Heimtückemord gemäß § 211 StGB angesehen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtfertigenden Notwehr oder eines rechtfertigenden Notstandes hat die Kammer verneint, weil aufgrund der Gesamtsituation keine akute Lebensgefahr für die Angeklagte oder Dritte bestanden habe. Die Schwurgerichtskammer hat auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines entschuldigenden Notstandes verneint. Zunächst sei schon die Annahme einer "gegenwärtigen Gefahr" im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB fernliegend. Im übrigen sei die Gefahr für die Angeklagte anders als durch die Tat abwendbar gewesen. Als anderweitige Abwendungsmöglichkeit sei hier ersichtlich der jederzeit mögliche Auszug der Angeklagten zu ihrer Tochter in Betracht gekommen. Ihr sei es ohne weiteres möglich gewesen, sich durch einen Auszug sofort - auch am Tattag - aus der von ihr geschilderten bedrängten Lage zu befreien. Im übrigen hätte ihr angesichts der seit langem anhaltenden Beleidigungen und Demütigungen auch eine entsprechend lange Überlegungsfrist zur Verfügung gestanden, in der sie Erkundigungen über Möglichkeiten zur anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr und Rat auch bei weiteren Personen hätte einholen können.

3. Die Strafkammer hat jedoch anstelle der zu verhängenden lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände, unter denen die Angeklagte die Tat begangen hat, die Strafe dem entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Sie hat dies damit begründet, daß der getötete Ehemann der Angeklagten gegenüber sexuelle Wünsche, wie Partnertausch und ähnliches geäußert habe, die diese als besonders nachhaltig demütigend empfunden habe. Ebenso sei die Angeklagte von ihm in der Vergangenheit des öfteren sexuell in massiver Weise angegangen und zum Oralverkehr aufgefordert worden. Die Demütigungen hätten sich gerade in letzter Zeit unter der zunehmenden alkoholischen Beeinflussung gehäuft. Dabei habe der Ehemann auch bei seiner meist spät abendlichen Rückkehr der auf dem Sofa schlafenden Angeklagten die Decke weggezogen, so daß diese erwachen mußte. Er habe als Raucher auch nur bedingt auf ihre Erkrankung Rücksicht genommen. Die schweren Kränkungen hätten insgesamt zu einer nicht unerheblichen psychischen Belastung - wenngleich ohne Krankheitswert - geführt. Sie stellten solche Entlastungsfaktoren dar, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände hätten, auch wenn die besonders belastenden sexuellen Wünsche ihres Ehemannes zum Tatzeitpunkt bereits über 20 Jahre zurückgelegen hätten und die Angeklagte nicht davon abgehalten hätten, nach einem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung aufgrund eigenen Entschlusses wieder zu ihm zurückzukehren.

Das Gewicht des Mordmerkmals Heimtücke erfahre auch deshalb eine Verringerung, weil die an multipler Sklerose erkrankte Angeklagte gerade in letzter Zeit vor der Tat zunehmenden Beleidigungen und Demütigungen ihres meist alkoholisierten Ehemannes ausgesetzt gewesen sei. So habe der Ehemann bis unmittelbar vor dem Tattag eine Woche Urlaub in Italien gemacht und sei nach seiner Rückkehr angetrunken nach Hause gekommen, habe herumgeschrieen, die Angeklagte beleidigt, ihr die Decke weggezogen und von ihr den schon früher nur widerwillig praktizierten Oralverkehr verlangt. Diese Verhaltensweise ihres Mannes sofort nach seinem Urlaub habe bei ihr "das Faß zum überlaufen" gebracht.

II.

Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor, der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden (BGH NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und 3).

2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil dieser Anforderung nicht gerecht. Der Beschluß des Großen Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle, in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).

Die Feststellungen rechtfertigen die Annahme solcher außergewöhnlicher Umstände nicht. Wie die Strafkammer in den Urteilsgründen zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 34 und 35 StGB selbst ausführt, kam es zu Gewalttätigkeiten des Ehemanns in Form von Schlägen nach der zwischenzeitlichen Trennung im Jahr 1998 allenfalls noch einmal. Der Angeklagten stand eine Möglichkeit zur Konfliktlösung hinsichtlich der verbalen Beschimpfungen und der sexuellen Übergriffe ihres Ehemannes mit einem ihr möglichen Auszug aus dem Wohnhaus und der Aufnahme durch die Tochter zur Verfügung. Das Landgericht hat festgestellt, daß ein Auszug der Angeklagten ohne weiteres noch am Tattag möglich gewesen wäre und sie sich dieser Möglichkeit nach einem Gespräch mit ihren Kindern bewußt gewesen ist. Diese ihr zumutbare Ausweichmöglichkeit ergriff die Angeklagte deshalb nicht, weil sie das gemeinsam erbaute Haus nicht verlassen wollte, das es ihr auch erlaubte, ihre Jagdhunde, an denen sie sehr hing, weiterhin artgerecht halten zu können. Sie war ferner der Meinung, daß letztlich "der Böse" gehen müsse. Angesichts dieser Sachlage kann von außergewöhnlichen Umständen, die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden.



Ende der Entscheidung

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