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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.04.2008
Aktenzeichen: 1 StR 51/08
Rechtsgebiete: JGG, StPO


Vorschriften:

JGG § 67 Abs. 1
StPO § 244 Abs. 2
StPO § 258 Abs. 2
StPO § 258 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 51/08

vom 3. April 2008

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. April 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 31. Juli 2007 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Dem Angeklagten liegt zur Last, gemeinsam mit dem anderweitig abgeurteilten A. die zur Tatzeit 15 Jahre alte türkische Staatsangehörige Sö. mit dem Auto auf ein Betriebsgelände an den Stadtrand von R. verbracht zu haben, um dort im Auto nacheinander gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Der Angeklagte, der die Tat bestreitet, hat in der Hauptverhandlung vortragen lassen, die Geschädigte habe ihn gezielt falsch belastet. Sie sei nicht nur mit dem Geschlechtsverkehr mit den Angeklagten und dem anderweitig Abgeurteilten einverstanden gewesen, sondern habe ihn vor dem traditionellen türkischen kulturellen Hintergrund mit Überlegung selbst herbeigeführt, um später im deflorierten Zustand mit ihrem neuen türkischen Freund den vaginalen Geschlechtsverkehr ausüben zu können. Das Landgericht hat den Angeklagten aufgrund der Aussage der Geschädigten und des schon im abgetrennten Verfahren geständigen Mittäters als überführt angesehen und ihn wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung zweier früherer Verurteilungen zur Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I. Die Verfahrensrügen sind nicht begründet.

1. Die Rüge, den erziehungsberechtigten Eltern des noch jugendlichen Angeklagten sei am Ende der Hauptverhandlung entgegen § 67 Abs. 1 JGG in Verbindung mit § 258 Abs. 2 und 3 StPO nicht das letzte Wort erteilt worden, bleibt ohne Erfolg. Allerdings trägt die Revision zutreffend vor, das Hauptverhandlungsprotokoll enthalte nur den Eintrag, "die gesetzlichen Vertreter stellten keine Anträge". Einen ausdrücklichen Eintrag zum "letzten Wort" der Erziehungsberechtigten enthält das Protokoll nicht. Jedoch hat der Vorsitzende der Jugendkammer nach Erhebung der entsprechenden Verfahrensrüge in einer dienstlichen Erklärung mitgeteilt, er habe die Eltern des Angeklagten mit Hilfe einer Dolmetscherin in einfachen Worten darauf hingewiesen, dass sie "jetzt Gelegenheit hätten, zu den gestellten Anträgen Stellung zu nehmen und selbst noch Ausführungen zu machen, bevor ihr Sohn zu Wort komme". Der Vater des Angeklagten und die Dolmetscherin hätten sich erhoben und der Vater des Angeklagten habe eine aus mehreren Sätzen bestehende und von der Dolmetscherin übersetzte Erklärung abgegeben. Diese Erklärung habe er als abschließende Stellungnahme verstanden, auch wenn ihm - dem Vorsitzenden - deren Wortlaut und Einzelheiten nicht mehr erinnerlich sei. Aus Nachlässigkeit enthalte das Protokoll nur die Formulierung, es seien keine Anträge gestellt worden.

Der Protokollführer hat in seiner dienstlichen Stellungnahme ausgeführt, ihm sei in Erinnerung, den gesetzlichen Vertretern des Angeklagten sei die Möglichkeit gegeben worden, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen, bevor dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden sei. Ihm sei zum Zeitpunkt der Erstellung des Hauptverhandlungsprotokolls nicht bewusst gewesen, dass das letzte Wort der gesetzlichen Vertreter des Angeklagten in das Protokoll aufzunehmen gewesen sei. Wäre ihm dies bewusst gewesen, hätte er es so ins Protokoll aufgenommen. Die Formulierungen im Hauptverhandlungsprotokoll seien maßgeblich aus dem Computervordruck (StP 314 Hauptverhandlung vor dem Landgericht) übernommen worden.

Die Jugendkammer hat den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, sie beabsichtige, das Hauptverhandlungsprotokoll zu berichtigen. Der Verteidiger hat der Berichtigung widersprochen. Er hat vorgetragen, "entsprechend dem bisherigen Protokoll der Hauptverhandlung" habe sich der Vorsitzende "nach dem Plädoyer und dem Schlussantrag des unterzeichnenden Verteidigers an die Eltern des Angeklagten gewandt". Den vollständigen Wortlaut könne er zwar nicht mehr wiedergeben. Er habe aber die Erklärung des Vorsitzenden nicht so verstehen können, dass den Eltern klar zur Kenntnis gebracht worden wäre, "dass sie sich als quasi letzte Verfahrensbeteiligte unmittelbar vor dem letzten Wort des Angeklagten abschließend zur Sache äußern könnten". Der Vorsitzende habe sich aufgrund offensichtlicher Verständnisprobleme der Eltern - trotz Eingreifens der Dolmetscherin - veranlasst gesehen, seine erste Erklärung zu verdeutlichen. Richtig sei in Übereinstimmung mit den Angaben des Vorsitzenden, dass der Vater des Angeklagten und die Dolmetscherin sich erhoben und der Vater des Angeklagten Sätze - von der Dolmetscherin übersetzt - gesagt habe, die allerdings offensichtlich ein Nachfragen zum Inhalt gehabt hätten. Aus seiner Sicht hätten die Eltern vor Erteilung des letzten Wortes an ihren Sohn nicht das (vor)letzte Wort gehabt.

Der Senat sieht zwischen den dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden und des Protokollführers und dem Vorbringen des Verteidigers keinen wesentlichen inhaltlichen Dissens und hält das Protokoll nach den Maßstäben des Großen Senats für Strafsachen in NStZ 2007, 661, 663 für berichtigungsfähig. Fehlerhaft war das Protokoll nur deshalb, weil in dem Vordruck für Hauptverhandlungen vor dem Landgericht der Begriff "letztes Wort" für die Erziehungsberechtigten nicht enthalten war und der Protokollführer den Vordruck nicht ergänzt hat. Das nach § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs. 2 StPO den Erziehungsberechtigten zustehende "(vor)letzte Wort" ist mit dem höchstpersönlichen Recht des Angeklagten ohnehin nicht vollständig vergleichbar und ist hier den Eltern in dem vom Vorsitzenden geführten Gespräch inhaltlich gewährt worden. Es liegt hier deshalb ein formaler Protokollierungsfehler vor, dessen Entstehen vom Protokollführer nachvollziehbar erklärt worden ist.

Die Jugendkammer hat auch das vom Großen Senat für Strafsachen verlangte Berichtigungsverfahren eingehalten. Sie hat mit Beschluss vom 16. Januar 2008 das Protokoll berichtigt: "Die gesetzlichen Vertreter des Angeklagten wurden befragt, ob sie noch selbst etwas zur Verteidigung auszuführen hätten und wurden darauf hingewiesen, dass sie zudem Gelegenheit zu weiteren Ausführungen hätten, bevor ihrem Sohn das Wort erteilt werde. Der Vater des Angeklagten stellte keinen Antrag und hatte das letzte Wort". Diese Gründe tragen die vorgenommene Berichtigung, so dass die Verfahrensrüge auf der Grundlage des berichtigten Protokolls keinen Erfolg hat.

2. Die an einen "Hilfsbeweisantrag" anknüpfende Verfahrensrüge versagt. Mit diesem Antrag begehrte der Angeklagte ohne nähere Erläuterung des Inhalts der noch zu stellenden Fragen, die bereits vernommene Nebenklägerin "weiter zu vernehmen und durch einen zur Glaubwürdigkeitsuntersuchung geeigneten Sachverständigen beobachten und befragen zu lassen". Der Antrag war zum einen an die Bedingung der Verurteilung des Angeklagten geknüpft und war zum anderen "für den Fall der fehlenden Zustimmung zur Glaubwürdigkeitsuntersuchung" der Nebenklägerin gestellt worden. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Jugendkammer diesen Antrag in den Urteilsgründen nach Beweisantragsgrundsätzen als unbegründet zurückgewiesen hat. Dabei kann der Senat offen lassen, ob es sich hierbei überhaupt um einen förmlichen Beweisantrag gehandelt hat, nachdem die Geschädigte nach ihrer Vernehmung als Zeugin die Exploration - verständlicherweise - verweigert hatte (BGH NJW 2005, 1519).

3. Auch die Inbegriffsrüge ist erfolglos. Die Verweigerung der Exploration hatte die Vertreterin der Nebenklägerin noch vor Schluss der Beweisaufnahme unter Bezug auf ein von ihr zuvor mit der Nebenklägerin geführtes Telefongespräch unmissverständlich mitgeteilt. Das - freibeweislich zu würdigende - nahezu gleich lautende vom Büro der Vertreterin der Nebenklägerin versandte Fax der Nebenklägerin ging zwar erst nach Schluss der Beweisaufnahme bei Gericht ein, es war aber in Bezug auf die eindeutige Explorationsverweigerung identisch mit der Erklärung der Vertreterin der Nebenklägerin. Im Übrigen ging der Angeklagte in seinem Antrag selbst davon aus, dass die Nebenklägerin die Exploration verweigern würde, und hat mit dem hilfsweise gestellten Antrag auf das Gehör und die Bescheidung in der Hauptverhandlung verzichtet.

4. Die weitere Verfahrensrüge, die Jugendkammer habe das vor der Hauptverhandlung vom Vorsitzenden (vorsorglich) in Auftrag gegebene "jugendpsychologische Gutachten" - nicht aussagepsychologische Gutachten - von Herrn Prof. S. aus F. im Urteil verwertet, obwohl der Sachverständige nicht angehört worden ist, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der dem Senat von der Revision mitgeteilte Vermerk des Vorsitzenden über ein die Hauptverhandlung vorbereitendes Telefongespräch mit dem Sachverständigen, der aufgrund von Terminsschwierigkeiten des Sachverständigen in der Hauptverhandlung nicht angehört worden ist, ist unergiebig und ersichtlich nicht in die Urteilsgründe eingeflossen.

5. Schließlich war das Landgericht aus Gründen der Aufklärungspflicht nicht gehalten, einen "forensischen Ethnologen" zu hören. Die diesem Begehren zugrunde liegende Tatsachenbehauptung, die Nebenklägerin könne vor dem türkisch-kulturellen Hintergrund "unbewusst bereit" gewesen sein, "sich durch eine (nach ihrem Verständnis) zusätzliche Erniedrigung - einem vollzogenen Geschlechtsverkehr - zu bestrafen", da sei "der Angeklagte gerade recht" gekommen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Jedenfalls hätte sich die Jugendkammer dazu, zumal ein solches Gutachten nicht einmal in der Hauptverhandlung verlangt worden ist, nach dem Maßstab einer Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO nicht gedrängt sehen müssen.

II. Die aufgrund der Sachrüge vorgenommene Überprüfung des Urteils hat weder im Schuldspruch noch in der Strafzumessung einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler aufgedeckt. Auch der von der Jugendkammer angesichts des desolaten Entwicklungsstands des Angeklagten festgestellte hohe erzieherische Bedarf, der nur im Wege der Vollstreckung der hier zugemessenen Jugendstrafe ausgeglichen werden kann, hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

Ende der Entscheidung

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