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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.01.1998
Aktenzeichen: 1 StR 511/97
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a
100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO

Auch bei längerfristigen Observationen von Beschuldigten ist der Einsatz technischer Mittel zur Herstellung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen nach § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO außerhalb von Wohnungen zulässig.

BGH, Urt. vom 29. Januar 1998 - 1 StR 511/97 - LG Stuttgart


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 511/97

vom

29. Januar 1998

in der Strafsache

gegen

wegen schweren Bandendiebstahls

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 27. Januar 1998 in der Sitzung am 29. Januar 1998, an denen teilgenommen haben:

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul als Vorsitzender

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Granderath, Dr. Wahl, Dr. Boetticher,

Bundesanwalt in der Verhandlung, Bundesanwalt bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger in der Verhandlung vom 27. Januar 1998,

Justizangestellte , Justizangestellte als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. Februar 1997 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls sowie Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Es hat ihm zudem die Fahrerlaubnis entzogen sowie sein Kraftfahrzeug und diverse Tatmittel eingezogen.

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat einen Rechtsfehler nicht aufgezeigt. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, die von der Polizei durchgeführte Observation und die Verwertung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse seien unzulässig gewesen.

I.

Dieser Verfahrensrüge liegt folgendes zugrunde:

Der Angeklagte war in den Verdacht geraten, im südwestdeutschen Raum Einbruchsdiebstähle zu begehen. In der Zeit vom 29. Mai 1995 bis 17. Juli 1995 überwachte daher das Mobile Einsatzkommando (MEK) der Landespolizeidirektion Stuttgart I ununterbrochen von einem Nachbargrundstück aus mit einer Videokamera den Zugang zu dem vom Angeklagten bewohnten Einfamilienhaus und den Gehweg "im unmittelbar davor liegenden Bereich". Ziel war das Erkennen von Kontaktpersonen, von Zeiträumen der nächtlichen Abwesenheit des Angeklagten sowie die Identifizierung von Mittätern.

Der Staatsanwaltschaft brachte die Kriminalpolizei die eingeleitete Observation am 30. Mai 1995 zur Kenntnis. Diese legte in einem Vermerk über "Maßnahmen gemäß § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO" vom 31. Mai 1995 dar, daß ein Verfahren bereits anhängig sei und gegen die beabsichtigten Videoaufzeichnungen "weder im Hinblick auf Art. 13 GG noch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit Bedenken" bestünden. Das Landgericht hat den Angeklagten "insbesondere aufgrund der polizeilichen Observation ... für überführt" angesehen.

II.

1. Die Revision ist der Auffassung, die Ergebnisse der Beobachtung seien nicht zu verwerten, denn es habe an einer strafprozessualen Rechtsgrundlage gefehlt. Es habe sich um eine längerfristige Observation gehandelt, die erst zulässig sei, wenn § 163 f des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts vom 20. Dezember 1996 eingeführt sei (StVÄG 1996; BR-Drucks. 961/96).

Mit dieser Rüge dringt die Revision nicht durch. Denn als Rechtsgrundlage war und ist der durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl. I S. 1302) eingeführte § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO ausreichend.

2. Unter einer Observation wird die in der Regel unauffällige planmäßige - ggf. unter Einsatz technischer Mittel erfolgende - Beobachtung einer Person oder eines Objekts mit dem Ziel der Erhebung diesbezüglicher Erkenntnisse verstanden (Deutsches Rechts-Lexikon Bd. 2 2. Aufl. S. 1207; BVerwG NJW 1986, 2329, 2330; Rogall NStZ 1992, 45). Daß diese althergebrachte Ermittlungsmethode ("Beschatten") für eine wirksame Strafverfolgung grundsätzlich erforderlich ist, wird allgemein nicht in Zweifel gezogen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 163 Rdn. 34a).

a). Jedoch bietet die Literatur bezüglich ihrer rechtlichen Grundlage ein uneinheitliches Bild. Teilweise wurde in der Literatur die Zulässigkeit von Observationen aus den §§ 161, 163 Abs. 1 StPO hergeleitet. Diese Vorschriften erlaubten seit jeher auch Maßnahmen, die ohne Zwang erfolgten (Steinke DVBl. 1980, 433, 438; Kubica/Leineweber NJW 1984, 2068, 2072; Rebmann NJW 1985, 1, 3; Kramer NJW 1992, 2732, 2734 ff.; im Ergebnis ebenso von Hippel/Weiß JR 1992, 316, 320 ff.; differenzierend Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 163 Rdn. 51; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO; Rogall ZStW 1991, 907, 937, 947; Fischer/Maul NStZ 1992, 7 f.; Perschke, Die Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden im Strafverfahren 1997 S. 21, 118 f.).

Nach anderer Auffassung lassen sich den §§ 161, 163 Abs. 1 StPO dagegen Befugnisse für strafprozessuale Eingriffe nicht entnehmen. Die Durchführung einer - zumal längerfristigen - Observation sei daher erst nach Einfügung einer entsprechenden Erlaubnisnorm in die StPO zulässig (Vahle, Polizeiliche Aufklärungs- und Observationsmaßnahmen 1983 S. 51; Rudolphi in SK-StPO 16. Lfg., vor § 94 Rdn. 20; Merten NJW 1992, 354 f.; Malek StV 1992, 342, 344; Wolter NStZ 1993, 1, 9).

b) Der Bundesgerichtshof war mit der Frage nach der Rechtsgrundlage für Observationen bislang nur vor dem Inkrafttreten des § 100 c StPO befaßt. Der Senat hat in seinem Urteil vom 14. Mai 1991 - 1 StR 699/90 - , NStZ 1992, 44 f. für eine insgesamt ca. fünfmonatige, täglich mehrstündige Videoüberwachung der Wohnungstür eines Verdächtigen im Hinblick auf das "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 65, 1) Zweifel daran geäußert, ob die §§ 160, 161, 163 StPO - oder auch die allgemeine polizeirechtliche Aufgabenklausel eine derartige Maßnahme abdecken können. Er hat dies im konkreten Fall für einen an die bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung anknüpfenden Übergangszeitraum bejaht, aber zugleich betont, daß manches dafür spreche, "daß eine solche Observation ... eine spezielle Eingriffsnorm voraussetzt".

III.

1. Anders als beim Abhören von Gesprächen im Vorgarten, das durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im Beschluß vom 14. März 1997 - 1 BGs 65/97 - NJW 1997, 2189 zu beurteilen war, ist nicht ersichtlich, daß die hier erfolgte Observation den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG berührt hat. Denn weder ergibt sich aus dem Urteil noch trägt die Revision vor, daß es sich bei dem beobachteten Zugangsbereich und dem davor liegenden Gehweg um das "befriedete Besitztum" und damit um einen Teil der Wohnung des Angeklagten handelte (vgl. M. Herdegen in BK 71. Lfg. Art. 13 Rdn. 27; Maunz in Maunz/Dürig GG 19. Lfg. Art. 13 Rdn. 3c). Im übrigen zielte die Maßnahme nicht auf die Gewinnung von Erkenntnissen aus dem durch Art. 13 GG geschützten Bereich ab. Denn es ging der Polizei um Informationen, wann der Angeklagte das Haus verließ oder betrat, und um das Erkennen von Besuchern.

Der Senat sieht jedoch hier in der von der Staatsanwaltschaft angeordneten Videoüberwachung des Zugangsbereichs des Hauses des Angeklagten und der damit verbundenen Datenerhebung einen Eingriff in dessen durch Art. 8 MRK geschützte Privatsphäre (vgl. BGH aaO; Amelung/Kerckhoff JuS 1993, 196, 19 7) und entsprechend in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG NJW 1986, 2329 f.; Rudolphi aaO, vor § 94 Rdn. 13 und § 10C c Rdn. 1). Denn angesichts der wochenlangen und ununterbrochenen Observation des Angeklagten beim Betreten und Verlassen seines Grundstücks handelte es sich um eine erhebliche Ermittlungsmaßnahme. Dafür spricht zudem, daß eine Videokamera im Unterschied zu einem menschlichen Beobachter, der üblicherweise in bezug auf seine Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit Beeinträchtigungen unterliegen kann, ein von solchen Einschränkungen freies Bild der aufgenommenen Person erstellt und die gemachten Aufzeichnungen zeitlich nahezu unbegrenzt aufbewahrt werden können. Daher war für die durchgeführte Ermittlungsmaßnahme eine spezielle strafprozessuale Rechtsgrundlage erforderlich.

2. Der Eingriff war jedoch durch § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO gedeckt. Die Vorschrift gestattet es u.a., ohne Wissen des Betroffenen Lichtbilder und Bildaufzeichnungen außerhalb von - nicht allgemein zugänglichen - Wohnungen herzustellen (BT-Drucks. 12/989 S. 39). Dazu zählt auch das Anfertigen von Videoaufnahmen (Nack in KK 3. Aufl. § 100 c Rdn. 8). Aus dieser Formulierung wie auch aus dem Zusammenhang mit § 100 c Abs. 1 Nr. 1 b StPO, der es erlaubt, "sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel" zu verwenden, ergibt sich im übrigen, daß Bildaufzeichnungen gerade oder zumindest auch mit dem Ziel der Observation gemeint sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 100 c Rdn. 1; Rudolphi aaO § 100 c Rdn. 4).

a) Der Wortlaut der Vorschrift des § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO läßt nicht erkennen, daß der Einsatz technischer Mittel nur für kurzfristige Beobachtungen und nicht auch für längerfristige Observationen erlaubt werden sollte. Sie sieht als einzige Beschränkung für den Einsatz technischer Mittel zur Herstellung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen vor, daß die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre (Subsidiaritätsklausel).

b) Eine andere Auslegung läßt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte der Norm herleiten (im Ergebnis ebenso Hilger NStZ 1992, 457, 462 Fn. 91; ferner Lemke in HK StPO § 100 c Rdn. 11). Aus der Begründung für die Einfügung des § 100 c in die StPO ergibt sich, daß ein Regelungsbedarf allein wegen der Qualität der Ermittlungsmethode (Einsatz technischer Mittel) gesehen und nicht ergänzend aus der zeitlichen Länge einer auf diesem Weg erfolgten Observation abgeleitet wurde (vgl. BT-Drucks. aaO).

Aus dem Umstand, daß die Frage, ob es für die Beobachtung über einen längeren Zeitraum einer (gesonderten) gesetzlichen Klarstellung bedarf, im Gesetzgebungsverfahren des OrgKG offengelassen und die Maßnahmen nach § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO als "verhältnismäßig wenig eingriffsintensiv" bezeichnet wurden (vgl. BT-Drucks. aaO), folgt angesichts des Wortlauts von Abs. 1 Nr. 1 a ebenfalls nichts anderes. Denn insoweit gegebenenfalls bestehende Bedenken des Gesetzgebers haben in der Vorschrift jedenfalls keinen Niederschlag gefunden. Entscheidend für die Auslegung eines Gesetzes ist jedoch der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BGHSt 8, 294, 298; ferner BGHSt 29, 196, 198; Tröndle, StGB 48. Aufl. § 1 Rdn. 10 a).

c) Für die Auslegung des § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO ist es deshalb ohne Belang, daß bereits der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (StVÄG 1988) eine längerfristige Observation für regelungsbedürftig hielt und mit § 163 f StPO eine eigenständige Norm vorsah. Gleiches gilt für den nunmehr überarbeiteten, im wesentlichen aber unveränderten Entwurf des StVÄG 1996 (BR-Drucks. 961/96 S. 22 f.), dessen Schicksal im Gesetzgebungsverfahren zudem ungewiß ist. Die dort vorgeschlagene Regelung könnte zwar möglicherweise Bedeutung für einen - hier nicht zu beurteilenden - Fall erlangen, bei dem mittels einer längerfristigen Observation ein engmaschiges Datennetz geknüpft und so ein umfassendes Persönlichkeitsprofil des Betroffenen erstellt wird. Für die Auslegung der hier maßgeblichen Vorschrift des § 100 c Abs. 1 Nr. 1 a StPO kann die beabsichtigte Regelung nicht herangezogen werden.

3. Daß im vorliegenden Fall die Subsidiaritätsklausel in § 100 c Abs. 1 Nr. 1 StPO nicht beachtet worden wäre oder die durchgeführte Ermittlungsmaßnahme gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen hätte, ist angesichts der erheblichen Straftaten des Angeklagten nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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