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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.12.2004
Aktenzeichen: 1 StR 527/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 353 Abs. 2
StGB § 23 Abs. 2
StGB § 24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 527/04

vom 20. Dezember 2004

in der Strafsache

gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 12. August 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Folgendes ist festgestellt:

Am 13. April 2004 waren S. und der Angeklagte ab etwa 13 Uhr gemeinsam in der Wohnung des Angeklagten und dessen gerade abwesender Eltern, aßen und tranken Wodka. Nachdem gegen 15 Uhr B. , der Neffe des Angeklagten erschienen war, kam es aus nichtigem Anlaß im Zusammenhang mit Demonstrationen von Karatetechnik zu heftigem Streit. Der Angeklagte schlug und trat nach S., traf ihn aber nicht. Als S. gegen 17 Uhr "die Wohnung unverletzt verlassen wollte", wurde der Angeklagte noch zorniger. Er stieß ihm ein Messer erst in die Rippen und dann noch dreimal in den Bauch. S. konnte den Angeklagten gleichwohl zu Boden werfen; liegend stach ihn der Angeklagte noch in den Oberschenkel, um seine Flucht zu verhindern. Dennoch konnte S. aus der Wohnung entkommen.

Auf einen Anruf des Angeklagten erschien später seine Schwester E. und half ihm zusammen mit dem Neffen, Tatspuren zu beseitigen.

S. war unmittelbar nach dem Verlassen des Hauses ohnmächtig geworden und lag wenige Meter entfernt auf einer Wiese. Hier sahen ihn die Eltern des Angeklagten, als sie gegen 20 Uhr nach Hause kamen, hielten ihn aber lediglich für betrunken. Als sie in der Wohnung Blutspuren entdeckten, suchten sie nach ihm, zunächst vergeblich. S. war nämlich inzwischen zu sich gekommen und hatte sich in der Dunkelheit in den Keller des Hauses "verkrochen". Hier fanden ihn die Eltern gegen 21.20 Uhr. Die Stichverletzung am Oberschenkel war mit einem Seil abgebunden. S. wurde alsbald operiert, andernfalls wäre er an einer Bauchhöhlenentzündung verstorben.

2. Der Angeklagte hat sich überwiegend auf trunkenheitsbedingte Erinnerungslosigkeit berufen. Erinnern könne er sich nur an den Stich in den Oberschenkel. Als er realisiert habe, was er angerichtet habe, habe er ein Seil geholt und den Oberschenkel abgebunden. S. habe dann die Wohnung verlassen. Die Schwester des Angeklagten hat bestätigt, daß S. mit abgebundenem Bein auf einem Stuhl gesessen habe, als sie gekommen sei.

Die Strafkammer hat all dies nicht geglaubt. Eine diesem Vorbringen "adäquate" Blutspur gebe es nicht, Indizien für die Richtigkeit dieses Vorbringens seien nicht zu erkennen. Letztlich sei die Einlassung des Angeklagten "lebensfremd".

3. Diese Beweiswürdigung hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung nicht stand:

Die Stichverletzung war mit einem Seil abgebunden. S. auf dessen glaubhafte und detaillierte Aussagen sich die Feststellungen zum übrigen Geschehen im wesentlichen stützten - der Angeklagte macht weitgehend Erinnerungslosigkeit geltend, der Neffe hat ausweislich der Urteilsgründe geschwiegen, die Schwester kam später -, müßte eigentlich wissen, wer ihn abgebunden hat. Er konnte dies aber offenbar nicht sagen, jedenfalls ist nichts mitgeteilt. Letztlich gibt es nur folgende Möglichkeiten:

a) die Verletzung wurde noch in der Wohnung abgebunden;

b) die Verletzung wurde außerhalb der Wohnung von einem unbekannten Dritten abgebunden, der gerade ein Seil greifbar hatte;

c) S. hat sich, offenbar ohne dies noch zu wissen, selbst abgebunden, sei es, bevor er ohnmächtig auf der Wiese lag, sei es, nachdem er sich nach Stunden bei Dunkelheit im Keller "verkrochen" hatte: jedenfalls hatte er ein Seil entweder bei sich oder er fand es vor.

Keine dieser Möglichkeiten ist zwingend ausgeschlossen; keine drängt sich aber auch als besonders naheliegend auf. Die Strafkammer war aus Rechtsgründen nicht gehindert, die Überzeugung zu gewinnen, daß die dem Angeklagten günstige Variante - die Verletzung wurde in der Wohnung abgebunden - nicht zu bejahen ist (§ 261 StPO). Die zugrundeliegende Beweiswürdigung ist aber lückenhaft, da sie letztlich maßgeblich nur darauf abhebt, daß die dem Angeklagten günstige Variante nicht von Indizien bestätigt werde und lebensfremd erscheine, ohne erkennbar auch zu erwägen, daß alle sonst in Betracht kommenden Möglichkeiten auch nicht wesentlich näherliegend erscheinen und konkret für sie sprechende Indizien ebenfalls nicht festgestellt - zumindest nicht mitgeteilt - sind.

4. Der Senat kann keine eigene Beweiswürdigung vornehmen. Er kann daher hier auch nicht die Möglichkeit von Feststellungen ausschließen, die die Prüfung eines freiwilligen Rücktritts (§ 24 StGB) vom Tötungsdelikt erfordern, für die vom Standpunkt der Strafkammer aus bisher keine Veranlassung bestand. Daher ist hier nicht nur der Strafausspruch aufzuheben (zur Bedeutung etwaigen risikomindernden Verhaltens bei der Prüfung einer - hier abgelehnten - Strafrahmenmilderung gemäß § 23 Abs. 2 StGB vgl. Hillenkamp in LK 11. Aufl. § 23 Rdn. 34 m.N.), sondern auch der Schuldspruch. Dies umfaßt wegen der gegebenenfalls vorliegenden Tateinheit auch den von einem etwaigen Rücktritt unberührten und auch sonst für sich genommen rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH NJW 1993, 2252 m.N.).

5. Eine Urteilsaufhebung wegen Feststellung und Bewertung des Nachtatgeschehens führt nicht notwendig zur Aufhebung der tatsächlichen Feststellungen zum vorangegangenen Geschehen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Der Senat hat die Urteilsfeststellungen jedoch insgesamt aufgehoben, weil S. nach den Feststellungen der Strafkammer ausgesagt hat, " Sch. " habe ihn in den Bauch gestochen. Näher erläutert ist dies nicht. Ohne daß es auf weiteres ankäme, schien es im Hinblick auf die insgesamt zentrale Bedeutung der Aussagen S. s angezeigt, der neu zur Entscheidung berufenen Strafkammer Gelegenheit zu geben, dessen Aussagen insgesamt einheitlich festzustellen und zu bewerten.

Ende der Entscheidung

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