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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.04.2000
Aktenzeichen: 1 StR 55/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5
StPO § 265
StPO § 301
StPO § 244 Abs. 3
StPO § 244 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 55/00

vom

11. April 2000

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. April 2000, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Granderath, Nack, Dr. Boetticher, Schluckebier,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 4. August 1999 im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Körperverletzung in fünf Fällen, der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung sowie der Sachbeschädigung in Tateinheit mit Beleidigung schuldig ist.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen; die Nebenklägerin trägt die Kosten ihrer Revision.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in fünf Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Sachbeschädigung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin in zwei Fällen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil richten sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützt sind. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I. Die Revision der Staatsanwaltschaft

1. Die Staatsanwaltschaft beantragt, das Urteil "im Rechtsfolgenausspruch" aufzuheben. Sie wendet sich jedoch im einzelnen dagegen, daß der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe nicht wegen gefährlicher Körperverletzung und im Fall II. 5 nicht wegen versuchter Nötigung verurteilt worden ist. Sie rügt auch im vollen Umfang den Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen. Das Revisionsvorbringen ist damit in sich widersprüchlich; es ist mit Rücksicht auf das ersichtlich erstrebte Ziel dahin auszulegen, daß über den gestellten Antrag hinaus auch der Schuldspruch in den Fällen II. 1 bis 5 der Urteilsgründe und der Freispruch angegriffen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - 4 StR 226/97; Hanack in LR, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 10).

2. Die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe zwei am 26. Juli 1999 "hilfsweise und schriftlich" gestellte Beweisanträge der Nebenklägerin weder in der Hauptverhandlung noch in den Urteilsgründen beschieden, hat keinen Erfolg. Wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, ist die Behauptung unzutreffend. Die Beweisanträge sind in der Hauptverhandlung durch verkündeten Beschluß beschieden worden.

3. Soweit die Staatsanwaltschaft mit der Sachbeschwerde rügt, das Landgericht habe den Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 4 und 6 der Urteilsgründe zu Unrecht nur wegen einfacher und nicht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, läßt die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten erkennen. Die Strafkammer hat nicht sicher feststellen können, wie lange und intensiv der Angeklagte jeweils ein Kissen oder eine Decke auf das Gesicht der Geschädigten gedrückt hat. Sie hat - sachverständig beraten - die vom Tatopfer geschilderte Atemnot für sich allein zur Annahme einer lebensgefährdenden Behandlung nicht als ausreichend angesehen. Die Wertung, Atemnot bedrohe ohne nähere Feststellungen zur Dauer nicht in jedem Fall das Leben des Opfers einer Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 7 und 8). Das ergänzende Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den Verletzungen am Körper des Tatopfers und zu möglichen Gründen, die den Angeklagten veranlaßt haben könnten, das Kissen oder die Decke wieder vom Gesicht der Geschädigten zu entfernen, zeigt nicht auf, weshalb die Strafkammer zu einem anderen Beweisergebnis hätte kommen müssen.

4. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe liegt nach dem festgestellten Sachverhalt nicht nur eine gefährliche Körperverletzung, sondern auch eine versuchte Nötigung vor. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht hätte anders verteidigen können. Der Strafausspruch kann jedoch bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, daß das Landgericht auf eine höhere Strafe erkannt hätte.

5. Soweit das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen freigesprochen hat, hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung stand. Die Beschwerdeführerin rügt ohne Erfolg, das Landgericht habe sich trotz der vergleichbaren Tatbilder nicht näher mit der "Teilglaubwürdigkeit der Zeugin" auseinandergesetzt.

a) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer zunächst im einzelnen dargelegt hat, weshalb sie die Aussagen der Geschädigten zu den angeklagten Vergewaltigungen nicht in gleichem Maße wie bei den Körperverletzungen als glaubhaft angesehen hat. Da objektive Beweisanzeichen zu diesen Taten fehlen und der Angeklagte die Vergewaltigungen bestreitet, hat das Landgericht die Entstehung und die Entwicklung der Aussage der Geschädigten einer kritischen Prüfung unterzogen. Die Aussagegenese zu den beiden Fällen hat der Strafkammer Anlaß zu Zweifeln gegeben, weil die Geschädigte sämtliche vom Angeklagten an ihr verübten Gewalttaten erst eineinhalb Jahre später angezeigt und - nach anwaltlicher Beratung - erstmals in einer noch späteren Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft angegeben hat, auch zweimal vergewaltigt worden zu sein. Indes hat sie als Zeugin in der Hauptverhandlung trotz detaillierten Erinnerungsvermögens im übrigen auch nach mehrfachem Nachfragen keine genauen Angaben über die Tatzeitpunkte machen können. In diesem Zusammenhang war für die Zweifel der Strafkammer maßgeblich, daß die Geschädigte trotz der wiederholten Übergriffe und massiven Verletzungen die Beziehung zum Angeklagten aufrecht erhalten hat und daß sie erst nach der endgültigen Trennung "nur noch die für den Angeklagten negativen Aspekte schildert und hervorhebt". Was die Beschwerdeführerin gegen diese Urteilsfeststellungen vorbringt, läuft im wesentlichen darauf hinaus, die Umstände abweichend zu werten. Dies ist im Revisionsverfahren nicht zulässig.

b) Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer bei der Prüfung des Vorwurfs der Vergewaltigung eine Gesamtschau der Aussage der Geschädigten vorgenommen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Fall Aussage gegen Aussage sogar geboten (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13; § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 8; ausführlich Sander StV 2000, 45 ff.). Daß das Landgericht den Angeklagten wegen der Körperverletzungsdelikte verurteilt hat und sich im übrigen von der Schuld des Angeklagten letztlich nicht hat überzeugen können, ist daher hinzunehmen.

6. Die nach § 301 StPO veranlaßte Überprüfung des Urteils zugunsten des Angeklagten hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.

II. Die Revision der Nebenklägerin

1. Die Nebenklägerin rügt ohne Erfolg einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO. Das Landgericht hat die am 26. Juli 1999 gestellten Beweisanträge vor der Urteilsberatung rechtsfehlerfrei wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Indiztatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten (BGH StV 1997, 567, 568; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 56). So war es hier. Gegenstand der Aussagen von Zeugen aus dem persönlichen Umfeld sollte sein, der Angeklagte habe die Geschädigte nach Trennungen immer wieder zur Rückkehr gedrängt. Das Landgericht hat den Ablehnungsbeschluß damit begründet, es sei nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer hätten "kaum nachvollziehbare, sehr ambivalente Verhältnisse" bestanden. Entgegen der Auffassung der Nebenklägerin stellt es keine unzulässige Beweisantizipation dar, daß die Strafkammer aus den Aussagen dieser Zeugen keine Schlüsse über die generelle Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin hätte ziehen wollen.

2. Unbegründet ist deshalb auch die mit demselben Beweisziel erhobene Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO. Die Strafkammer war nicht gedrängt, die Zeugen unter Aufklärungsgesichtspunkten zu hören. Sie hat in dem Ablehnungsbeschluß auch ausgeführt, es habe nicht zuletzt nach den Aussagen des Angeklagten und der Nebenklägerin festgestanden, daß es nach heftigen Auseinandersetzungen immer wieder zu Kontaktaufnahmen zwischen beiden gekommen sei.

3. Auch die Nebenklägerin greift die Beweiswürdigung des Landgerichts ohne Erfolg an:

a) Sie rügt, die den Freispruch tragenden Urteilsgründe verstießen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Zögerliches Anzeigeverhalten dürfe nicht als Indiz gegen das Vorliegen einer Vergewaltigung gewertet werden; die Strafkammer habe nicht berücksichtigt, daß es sich bei diesem Verhalten um eine typische Schamreaktion eines Vergewaltigungsopfers handele. Ungenaue und wechselnde Angaben seien ein typisches Indiz für Vergewaltigungen in einer längeren Beziehung. Dem Verhalten dürfe daher kein Indizwert beigemessen werden; es müsse vielmehr als Bestätigung erheblicher Traumatisierung und Destabilisierung nach erheblichen Körperverletzungen gewertet werden. Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Es gibt keine empirisch abgesicherten Erfahrungssätze über das Anzeigeverhalten von Vergewaltigungsopfern in Fällen der vorliegenden Art, die es verbieten, die feststellbaren Umstände zur Aussagegenese und -entwicklung zu bewerten und im Einzelfall Schlüsse zu ziehen. Steht bei diesen Delikten nach Durchführung der oft schwierigen Beweisaufnahme Aussage gegen Aussage, so muß sich das Gericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der widersprechenden Angaben vielmehr in besonderem Maße mit der Entstehung und der Entwicklung einer Aussage auseinandersetzen. Dies hat das Landgericht ohne Rechtsfehler getan.

b) Schließlich rügt die Nebenklägerin auch vergeblich, die Beurteilung von Aussagen und Indizien, aufgrund derer das Landgericht ihre Aussagen zu den Vergewaltigungen als nicht glaubhaft angesehen habe, beruhe auf widersprüchlichen und lückenhaften Tatsachenfeststellungen. Mit ihrem Vorbringen setzt die Nebenklägerin aber nur ihre eigene Wertung der festgestellten Tatsachen an die Stelle der Auffassung des Landgerichts.

Ende der Entscheidung

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