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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.11.1999
Aktenzeichen: 2 BGs 335/99 (2)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 116
StPO § 120 Abs.
StPO §§ 116, 120 Abs. 3

Auch ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls bindet den Ermittlungsrichter in der Weise, daß er nicht einen weitergehenden Eingriff in Grundrechte des Beschuldigten anordnen darf, als er von dem Herrn des Ermittlungsverfahrens in dessen Verantwortung begehrt wird.

Ermittlungsrichter, Beschl. vom 30. November 1999 - 2 BGs 335/99 -


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

In dem Ermittlungsverfahren

gegen

den Dipl.Ing. Peter S.

z.Zt. in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Koblenz,

wegen

des Verdachtes geheimdienstlicher Agententätigkeit wird auf Antrag der Verteidigung und mit Zustimmung des Generalbundesanwalts der hier erlassene Haftbefehl vom 30. November 1999 - 334/99 -

unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:

Tenor:

1. Vor der Entlassung aus der Untersuchungshaft hat der Beschuldigte oder ein anderer eine Sicherheit in Höhe von 250.000,- DM

(in Worten: Zweihundertfünfzigtausend Deutsche Mark)

zugunsten der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, zu leisten. Die Sicherheit kann auch durch unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

2. Der Beschuldigte hat sich alle 14 Tage, erstmals am Tag nach seiner Entlassung, bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden. Er hat diese Polizeidienststelle binnen 48 Stunden nach seiner Entlassung dem Generalbundesanwalt zu bezeichnen. Die Polizeidienststelle wird ersucht, dem Generalbundesanwalt die erstmalige Meldung sowie ein etwaiges Ausbleiben von Folgemeldungen unverzüglich anzuzeigen (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Brauerstr. 30, 76137 Karlsruhe, z. Hdn.).

3. Der Beschuldigte hat jede Änderung des Wohnortes und jeden Wohnungswechsel der zuständigen Strafverfolgungsbehörde sowie der zuständigen Polizeidienststelle (für diese gälte Nr. 2 entsprechend) unverzüglich mitzuteilen.

4. Der Beschuldigte hat seine Personalpapiere, sofern dies nicht schon geschehen ist, der Bundesanwaltschaft gegen eine entsprechende Bescheinigung, die ausdrücklich nicht zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland berechtigt, auszuhändigen.

5. Der Beschuldigte darf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen.

Gründe:

Der Beschuldigte S. ist am 29. Juli 1999 aufgrund des hiesigen Haftbefehls 2 BGs 217/99 inhaftiert worden. Dieser Haftbefehl ist ersetzt worden zunächst durch den Haftbefehl vom 19. August 1999 - 2 BGs 235/99 - und sodann durch einen nach den zwischenzeitlichen Ermittlungsergebnissen aktualisierten Haftbefehl vom heutigen Tage - 2 BGs 334/99 -. Auf den Inhalt dieser Dokumente wird Bezug genommen.

Beschuldigter, Verteidiger und der Vertreter des Generalbundesanwalts haben übereinstimmend beantragt, zu entscheiden, wie aus dem Tenor ersichtlich.

Das Gericht hat erhebliche Bedenken, die ausweislich des Haftbefehls weiterhin gegebene Fluchtgefahr als durch die oben bezeichneten, weniger einschneidenden Maßnahmen ausgeräumt anzusehen. Der Beschuldigte ist der geheimdienstlichen Agententätigkeit in Tateinheit mit Verrat von Geschäftsgeheimnissen in besonders schweren Fällen dringend verdächtig. Es geht um einen sich über Jahre erstreckenden Verrat, dessen Gegenstand der Beschuldigte selbst mit einem Wert von über einer Million DM beziffert hat. In der daraus resultierenden Straferwartung liegt für den Beschuldigten ein hoher Fluchtanreiz. Hinzu kommt, daß nach der fristlosen Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses und der damit verbundenen Aussichtslosigkeit, sich in Deutschland noch einmal eine berufliche Existenz aufbauen zu können, weiterhin eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, der Beschuldigte werde trotz familiärer Bindungen diesem Fluchtanreiz nachgeben und sein Wissen im Ausland gewinnbringend einsetzen. Schließlich handelt es sich um ein Delikt auch politischen Charakters, dessen Auslieferungsfähigkeit jedenfalls unwahrscheinlich ist (vgl. nur Art. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957).

Das Gericht kann und darf sich jedoch dem Antrag des Generalbundesanwalts aus Rechtsgründen nicht verschließen. Entgegen der in der Literatur vertretenen Ansicht (jeweils zu § 120 StPO: KK-Boujong, 4. Aufl., Rdn. 23 Hilger LR, 25. Aufl. Rdn. 40; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., Rdn. 13; Krause AK StPO Rdn. 14) ist einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verschonung vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angesichts ihrer Stellung als Herrin des Ermittlungsverfahrens (vgl. hierzu Hilger a.a.O. Rdn. 39 m.w.N.) zwingend zu folgen. Dies folgt auch nach einem "erst-recht"-Schluß (a majore ad minus) aus der Bindungswirkung des § 120 Abs. 3 StPO. Entgegen Hilger (a.a.O. Rdn. 40) liegt in § 120 Abs. 3 StPO keine "klare gesetzgeberische Entscheidung" beschränkt auf die dortige Fallkonstellation, sondern nur eine Deklaration für den Extremfall abweichender Einschätzung durch Strafverfolgungsbehörde einerseits und Gestattungsgericht andererseits, mit der sogar darüber hinausgehenden Entscheidung des Gesetzgebers, daß nicht einmal die aktuelle Beurteilung des dynamischen Tatverdachts und der Haftgründe durch den Gestattungsrichter eingeholt werden muß, bevor die Freilassung angeordnet wird.

Liegt es in der Hand der Staatsanwaltschaft, mit dem Haftbefehl die schärfere Maßnahme begründungslos (Krause a.a.O.) aufheben zu lassen, so steht es ihr erst recht zu, verbindlich darüber zu entscheiden, daß nur ein Weniger, der Vollzug dieses Haftbefehls, entfällt. Jede andere Lösung führte zu in sich unschlüssigen Ergebnissen. Würde beispielsweise eine beantragte Außervollzugsetzung abgelehnt, liegt es im Ermittlungsverfahren in den Händen der Strafverfolgungsbehörde, diese Beurteilung des Gerichts dadurch auszuhebeln, daß sie weitergehend den Haftbefehl aufheben läßt und zugleich die Freilassung des Beschuldigten anordnet. Es wird der Stellung der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahrensstadium nicht gerecht, würde sie genötigt, einen Haftbefehl entweder nur als zu vollziehenden zu beantragen, oder gar ganz auf ihn zu verzichten. Es ist vielmehr das gute Recht und die Verantwortung der Staatsanwaltschaft, der eigenen Einschätzung folgend, den Mittelweg zu beschreiten, und diesen zwingend gegenüber dem für die Haftentscheidung verantwortlichen Gericht durchzusetzen, das auch insoweit nur eingreifende Maßnahmen gestattet. Nach der gegenwärtigen Konzeption der Strafprozeßordnung obliegt dem Ermittlungsrichter nur die Pflicht, zu prüfen, ob unter Richtervorbehalt gestellte Eingriffe der Strafverfolgungsbehörde nach der aktuellen Sach- und Rechtslage gerechtfertigt sind, nicht jedoch das Recht, von sich aus über gestellte Anträge hinaus - oder ohne Antrag - Eingriffe zu begründen.

Der Ermittlungsrichter darf mithin nicht einen weitergehenden Eingriff in Grundrechte des Beschuldigten gestatten oder gar anordnen, als er von der Strafverfolgungsbehörde in eigener Verantwortung begehrt wird (ne ultra petita).

Aus diesen Gründen war zu entscheiden, wie aus dem Tenor ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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