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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.02.2002
Aktenzeichen: 2 StR 1/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 1/02

vom

13. Februar 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3 auf dessen Antrag, am 13. Februar 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 2. August 2001 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

c) in der Adhäsionsentscheidung.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 30 Fällen und wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung der Verurteilung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Beweiswürdigung hinsichtlich der Verurteilung wegen Vergewaltigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn sie Rechtsfehler aufweist, namentlich widersprüchlich oder erkennbar lückenhaft ist, das Gewicht festgestellter Beweisanzeichen fehlerhaft bestimmt oder einen unzutreffenden Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung zugrundelegt. Vorliegend genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts in der Summe im einzelnen bedenklicher Erwägungen nicht mehr den vom Revisionsgericht zu prüfenden Anforderungen.

2. Der Angeklagte hat die Tat bestritten und sich dahin eingelassen, es sei am Tatabend zum einverständlichen Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin gekommen, mit der er eine - ihrem Freund R. unbekannte - längere intime Beziehung gehabt habe; als mögliches Motiv für eine Falschbelastung hat er eine Intrige des Zeugen R. behauptet, der ihn auch als geschäftlichen Konkurrent ausschalten wolle. Das Landgericht hat in weiten Teilen der Ausführungen Erwägungen und Schlußfolgerungen zu Beweisergebnissen, welche den Angeklagten entlasteten, mit belastenden Schlußfolgerungen vermischt.

a) Dies wird beispielhaft deutlich an den Ausführungen zur Einlassung des Angeklagten, der Zeuge R. habe eine - auch geschäftlich motivierte - Intrige gegen ihn unternommen. Die Erwägung des Landgerichts, dies sei "widersprüchlich und nicht nachvollziehbar", weil der Markt groß genug für mehrere Anbieter sei (UA S. 15), ist schon in sich nicht tragfähig, denn hierauf kommt es für eine mögliche Motivation des Zeugen ebensowenig an wie darauf, daß der Angeklagte auf die Marktbeurteilung des Landgerichts "keine Antwort wußte" (UA S. 15). Gegen die Behauptung einer Intrige sprach nach Auffassung des Landgerichts die tiefe innere Betroffenheit des Zeugen R. über die Tat. Zwar sieht das Landgericht, daß diese Betroffenheit gerade darauf beruhen könnte, daß die Nebenklägerin dem Zeugen den Vorfall falsch - nämlich als Vergewaltigung - geschildert hatte; diese Möglichkeit hält es jedoch "aufgrund der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin" für ausgeschlossen (UA S. 16). Hierbei wird übersehen, daß die Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin gerade auch auf die Widerlegung der "Intrige"-Behauptung gestützt wird (UA S. 14).

b) Im Ergebnis fehlerhaft sind auch die Ausführungen des Landgerichts zur Würdigung von Beweisergebnissen, welche gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechen konnten. Nicht tragfähig sind etwa die Erwägungen, aufgrund derer die den Angeklagten entlastende Aussage der Zeugin P. für widerlegt angesehen wird, die Nebenklägerin habe ihr gegenüber eingestanden, die Beschuldigung gegen den Angeklagten nur aus Furcht vor einer Offenbarung des intimen Verhältnisses mit dem Angeklagten gegenüber ihrem Freund R. auf dessen drängende Fragen hin erfunden zu haben. Es bleibt insbesondere unklar, aus welchem Grunde diese Aussage "lebensfremd" (UA S. 12) und "nicht nachvollziehbar" (UA S. 13) sein sollte. Soweit das Landgericht aus dem Umstand, daß die Zeugin auf einer den Angeklagten belastenden Abweichung von dessen Einlassung "trotzig" (UA S. 13) beharrte und aussagte, die Einlassung des Angeklagten sei insoweit falsch, auf die Unglaubwürdigkeit der Zeugin und auf eine "offenkundige Absprache" mit dem Angeklagten geschlossen hat, ist nicht berücksichtigt, daß dieser Umstand eher für die Glaubhaftigkeit der Zeugin sprechen mußte. Ähnliches gilt für die Würdigung der Aussage der Zeugin A.R., ihr Bruder, der Zeuge R. habe sie zu einer falschen Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen Vergewaltigung gezwungen. Das Landgericht hält dies für unglaubhaft, weil die Zeugin sich zum Angeklagten hingezogen fühlt, eine ablehnende Haltung gegen den Zeugen R. zeigte und "sich nicht scheute, Negatives über ihren Bruder zu sagen" (UA S. 17). Das ist unschlüssig, denn wäre die Aussage wahr, so läge eine ablehnende Haltung der Zeugin gegen ihren Bruder auf der Hand. Dem zugunsten der Glaubhaftigkeit der Zeugin sprechenden Umstand, daß diese den Angeklagten zugleich belastet und des sexuellen Mißbrauchs von Kindern beschuldigt hat, hat das Landgericht keine Bedeutung beigemessen, weil sich hieraus "kein zwingender Beleg" für die Richtigkeit der Aussage ergebe (UA S. 18). Auch dies ist rechtsfehlerhaft, denn die Glaubhaftigkeit einer Aussage setzt zwingende Belege nicht voraus. Die Annahme des Landgerichts, es brauche nicht zu entscheiden, aus welchem Grund die Falschbelastung des Angeklagten durch die Zeugin erfolgt sei, findet in den Feststellungen keine Grundlage, namentlich auch deshalb, weil die Anzeige einen Tag nach der Offenbarung der Nebenklägerin gegenüber dem Zeugen R. vorgenommen wurde, mithin auch einen Tag nach dem von der Zeugin P. berichteten Gespräch, bei welchem ihr die Nebenklägerin mitgeteilt haben soll, die Anschuldigung sei falsch und nur aus Furcht vor dem Zeugen R. erhoben. Hiermit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.

c) Schließlich enthalten die Urteilsgründe eine Vielzahl von Formulierungen, die das Bedenken stützen, das Landgericht habe möglicherweise die be- und entlastende Bedeutung einzelner Beweisergebnisse nicht hinreichend ausgewogen bedacht. Beispielhaft hierfür ist die Erwägung, aufgrund derer es das Landgericht für "ohne weiteres nachvollziehbar" gehalten hat, daß der Angeklagte die sich wehrende, laut schreiende und kreischende (UA S. 6) Nebenklägerin in das Schlafzimmer trug um sie dort zu vergewaltigen, während der Zeuge R. vor dem Fernsehgerät schlief. Daß R. dies nicht bemerkte, hat das Landgericht damit erklärt, der Tatablauf sei "bis auf die Schreie der Nebenklägerin nicht durch besondere Lautstärke gekennzeichnet" gewesen (UA S. 20). Diese Erwägung erscheint jedenfalls für sich nicht widerspruchsfrei.

3. Zwar muß - und kann - der Tatrichter in den schriftlichen Urteilsgründen nicht lückenlos sämtliche Erwägungen angeben, die ihn bei der Beweiswürdigung zu seiner Überzeugung geführt haben. Anzugeben sind aber die wesentlichen und tragenden Gründe; diese müssen rechtsfehlerfrei sein. Die Beweiswürdigung des Landgerichts enthält hier so viele bedenkliche Erwägungen, daß sie aus revisionsrechtlicher Sicht insgesamt nicht mehr tragfähig ist. Dies führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Vergewaltigung sowie der Gesamtstrafe; damit ist auch der Adhäsionsentscheidung die Grundlage entzogen. Insoweit merkt der Senat an, daß die Annahme des Landgerichts, "Verzugsbeginn" sei der Tattag gewesen, nicht zutreffend ist.

4. Von dem Rechtsfehler sind der Schuldspruch wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in dreißig Fällen und die insoweit verhängten Einzelstrafen nicht berührt.

Ende der Entscheidung

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