Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.08.2000
Aktenzeichen: 2 StR 159/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 177 Abs. 2 Nr. 1
StGB § 177 Abs. 5 Halbsatz 2
StGB § 177 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 159/00

vom

16. August 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. August 2000, an der teilgenommen haben:

Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender,

die Richter am Bundesgerichtshof Detter, Dr. Bode,

die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten,

der Richter am Bundesgerichtshof Hebenstreit als beisitzende Richter,

als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1999 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch,

b) soweit neben dem Tatmesser noch andere Gegenstände eingezogen wurden.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs in Tateinheit mit Körperverletzung und Freiheitsberaubung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1, §§ 223, 239 StGB) zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und Gegenstände (Klappmesser u.a.) eingezogen. Das Landgericht hat hierzu festgestellt:

Der Angeklagte vereinbarte mit Frau B., die als Prostituierte auf dem Straßenstrich tätig war, normalen Geschlechtsverkehr und Oralverkehr gegen Entgelt. Den zunächst verlangten Analverkehr lehnte sie wiederholt ab. Der Angeklagte fuhr mit Frau B. in seinem Pkw auf einen Feldweg. Dort lehnte sie Analverkehr nochmals ab. Daraufhin holte der Angeklagte ein Klappmesser hervor. Als Frau B. urinieren mußte, stieg der Angeklagte mit ihr aus, damit sie nicht fliehen konnte. Danach hielt ihr der Angeklagte das aufgeklappte Messer in die Nähe des Halses, warf sie mit einem Schlag gegen den Kopf zu Boden und vollzog gegen ihren Willen den Analverkehr. Als Frau B. sich umdrehen wollte, schlug er ihr mit der Hand ins Gesicht. Durch die beiden Schläge erlitt Frau B. Prellungen. Unter der noch andauernden Wirkung der Bedrohung mit dem Messer und der beiden Schläge stieg Frau B. auf die Aufforderung des Angeklagten wieder in das Fahrzeug. Der Angeklagte schloß die Zentralverriegelung und vollzog gegen den Willen von Frau B. erneut den Analverkehr.

Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie wendet sich mit der Sachrüge gegen die Bemessung der Freiheitsstrafe, insbesondere gegen die Annahme eines minder schweren Falls der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB) und - zu Gunsten des Angeklagten - gegen die Einziehungsanordnung, soweit sie nicht das Tatmesser betrifft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

Die Strafzumessung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Annahme eines minder schweren Falls der Vergewaltigung ist mit der gegebenen Begründung rechtsfehlerhaft. Die Entscheidung der Frage, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f. und st. Rspr.).

Das Landgericht hat jedoch weder bei der Wahl des Strafrahmens, noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne bedacht, daß der Angeklagte ein Regelbeispiel nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Das Vorliegen eines Regelbeispiels schließt die Annahme eines minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB zwar nicht grundsätzlich aus, wird aber vielfach der Annahme eines minder schweren Falls entgegenstehen (BGH NStZ 2000, 419). Soweit der Tatrichter im Fall der Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 4 StGB einen minder schweren Fall im Sinne des Absatzes 5 annehmen will, hat er, wenn ein Regelbeispiel nach Absatz 2 (hier Vergewaltigung) gegeben ist, zu berücksichtigen, daß Absatz 2 einen schärferen Strafrahmen vorsieht als Absatz 5 Halbsatz 2. Andernfalls entstünde nämlich ein Wertungswiderspruch, weil derjenige Täter, der über das Regelbeispiel hinaus noch einen Qualifikationstatbestand erfüllt, günstiger gestellt wäre als der Täter, der kein Qualifikationsmerkmal erfüllt hat. Wählt der Tatrichter daher den Strafrahmen des Absatzes 5, so hat er die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB zu beachten, wenn dieser Strafrahmen ohne das Vorliegen der Qualifikation des Absatzes 4 gegeben wäre (vgl. BGH a.a.O.). Durch den zweifachen Analverkehr hat der Angeklagte das Regelbeispiel wiederholt erfüllt. Im Hinblick auf das Gewicht der erzwungenen sexuellen Handlungen sind nach den bisherigen Feststellungen keine schuldmindernden Umstände erkennbar, die ein Abweichen von der in Absatz 2 vorgegebenen Strafrahmenuntergrenze rechtfertigen könnten. Das Landgericht hat daher bei der zur Prüfung eines minder schweren Falls gebotenen Gesamtbetrachtung einen wesentlichen Gesichtspunkt nicht berücksichtigt und ist bei der konkreten Strafzumessung von einer zu niedrigen Strafrahmenuntergrenze (ein Jahr statt zwei Jahre Freiheitsstrafe) ausgegangen.

Es ist nicht völlig auszuschließen, daß das Landgericht ohne diese Fehler einen minder schweren Fall verneint und eine höhere Strafe festgesetzt hätte, zumal es das untere Drittel des verfügbaren Strafrahmens voll ausschöpfen wollte.

Da der Strafausspruch schon aus diesem Grund keinen Bestand haben kann, kommt es auf die vom Generalbundesanwalt in seinem Terminsantrag näher dargelegten bedenklichen Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines minder schweren Falls begründet hat, nicht mehr an. Das gilt insbesondere für die Erwägung, daß Frau B. als Prostituierte grundsätzlich zum Geschlechtsverkehr bereit gewesen sei, so daß der Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht weniger schwer wiege. Gegen eine solche Begründung hat der Senat bereits Bedenken erhoben (BGH NStZ-RR 1998, 326). Bei der Gewichtung des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung sind aber die Auswirkungen der Tat für das Tatopfer zu berücksichtigen. Hier kann deshalb zu Gunsten des Angeklagten das im Urteil festgestellte versöhnliche Verhalten von Frau B. in der Hauptverhandlung von Bedeutung sein, mit dem sie die Entschuldigung des Angeklagten angenommen hat (UA S. 5).

III.

Soweit die Einziehungsentscheidung nicht das zur Tat verwendete Klappmesser betrifft, kann sie keinen Bestand haben. Das Urteil teilt weder mit, welche weiteren Gegenstände eingezogen werden sollen, noch werden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung (§§ 74 ff. StGB) dargelegt. Ihre revisionsrechtliche Prüfung ist somit nicht möglich.

Ende der Entscheidung

Zurück