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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.05.2005
Aktenzeichen: 2 StR 160/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 64
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 160/05

vom 13. Mai 2005

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Mai 2005 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Dezember 2004 im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte Verfahrensfehler und die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte bereits seit längerer Zeit Probleme mit übermäßigem Alkoholkonsum. Seine zweite Ehefrau, das Tatopfer, war alkoholkrank und verleitete den Angeklagten immer wieder zum Mittrinken. Besonders intensiv war der Alkoholkonsum des Angeklagten seit Anfang des Jahres 2003, phasenweise kam es zu Kontrollverlusten und Erinnerungslücken. Im Februar 2004 war der Angeklagte infolge alkoholbedingter Berauschtheit gestürzt und hatte sich einen Trümmerbruch im rechten Arm zugezogen.

Am Tattag, dem 1. Juni 2004, trank der Angeklagte gemeinsam mit seiner Ehefrau Helga S. eine nicht mehr festzustellende Menge Sekt. Gegen 22.30 Uhr kam es zu einem Streit mit seiner Ehefrau, die ihn beschimpfte, ihn auf den frisch operierten rechten Oberarm schlug und mit einem an der Spitze abgerundeten Tafelmesser vor ihm herumfuchtelte. Der Angeklagte schob seine Ehefrau in die Küche; hier ergriff er ein auf einem Küchenrollwägelchen liegendes, einseitig scharfes und nach vorn hin spitz zulaufendes Brotmesser mit einer Klingenlänge von 18 Zentimetern und stach damit mit erheblicher Kraft und großer Wucht auf seine Ehefrau ein. Das Messer durchstieß das Brustbein vollständig und kam erst zum Stehen, als der Messergriff auf der Außenhaut auftraf. Der Herzbeutel wurde an der Vor- und Rückseite eröffnet, Frau S. verstarb innerhalb weniger Augenblicke durch inneres Verbluten.

Der Angeklagte wurde gegen 23.30 Uhr festgenommen. Eine ihm am 2. Juni 2004 um 00.23 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Mittelwert von 3,01 %o, eine um 00.56 Uhr entnommene Blutprobe einen solchen von 2,91 %o Blutalkoholgehalt. Das Landgericht hat eine Notwehrsituation zugrunde gelegt, allerdings sei die Verteidigungshandlung des Angeklagten weder erforderlich noch geboten gewesen. Obwohl der Angeklagte zur Tatzeit rein rechnerisch eine Blutalkoholkonzentration von 3,61 %o aufgewiesen habe, sei seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit weder aufgehoben noch erheblich vermindert gewesen. Denn im Verhaltensbild des Angeklagten hätten sich keine psychodiagnostischen Kriterien einer dem hohen rückgerechneten Blutalkoholwert entsprechenden Trunkenheit gefunden. Es könne kein schwerer, die Schuldfähigkeit des Angeklagten zumindest erheblich vermindernder Rauschzustand vorgelegen haben. Die Kammer geht insofern davon aus, daß der gemessene Blutalkoholwert auf einem zwischen der Tat und dem Eintreffen der Polizei erfolgten erheblichen Nachtrunk beruht.

1. Die Verneinung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat die Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht erheblich vermindert gewesen, im Anschluß an die Ausführungen der Sachverständigen auf folgende Umstände gestützt: Der Angeklagte habe sich vor, während und nach der Tat stets intentional und folgerichtig und sich den sich ändernden Bedingungen schnell anpassend verhalten: So sei er vor der Tat zielgerichtet zu Bett gegangen, da er am nächsten Tag für einen Termin beim Physiotherapeuten in annehmbarer körperlicher Verfassung habe sein wollen. Auch während der Tat habe er, sich durch das Verhalten seiner Ehefrau in einer außergewöhnlichen Situation befindend, bewußt nach dem in der Küche auf dem Obstkorb liegenden Brotmesser gegriffen, um der für ihn unangenehmen Situation Herr zu werden. Nachdem er auf Helga S. eingestochen habe, habe er sodann das Messer sogleich wieder herausgezogen und, um nicht von seiner fallenden Ehefrau getroffen zu werden, einen Schritt zur Seite gemacht. Auch der Umstand, daß er der am Boden liegenden Helga S. den Puls gefühlt habe, das Tatmesser zunächst auf die Spüle und dann neben die Leiche gelegt habe, um der Polizei ein schnelles Auffinden der Tatwaffe zu ermöglichen sowie die von ihm initiierten Anrufe - bewußt (!) - zuerst bei seiner Tochter und dann bei der Polizei zeigten deutlich, daß er intentional, geordnet und strukturiert gehandelt habe und seine Wahrnehmungs- und Antizipationsfähigkeit nahezu ungestört gewesen sei und man daher - auch unter Berücksichtigung, daß es sich bei dem Angeklagten um eine trinkgewohnte Person gehandelt habe - nicht von dem Vorhandensein eines die Schuldfähigkeit zumindest erheblich vermindernden schweren Rausches ausgehen könne. Bei dem mit der Leitstelle der Polizei geführten Gespräch sei seine Artikulation im wesentlichen klar und deutlich gewesen, er habe sich auf seinen Gesprächspartner einstellen und auf Rückfragen antworten können. Er habe orientiert gewirkt und habe auch eigene Beiträge zum Gespräch geliefert.

Die vom Landgericht angeführten Umstände belegen nur, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht völlig ausgeschlossen war; daß die Steuerungsfähigkeit nicht erheblich vermindert gewesen ist, ist aus ihnen hingegen nicht mit genügender Sicherheit abzuleiten. Die vom Landgericht aufgezählten Handlungen und Tätigkeiten sind nicht von solcher Art, daß eine alkoholgewohnte Person sie nicht auch in einem schweren Rauschzustand ausführen könnte. Sie setzen durchwegs keine besonderen motorischen Fähigkeiten voraus. Sie können durch Zufälligkeiten bedingt (Griff nach dem Brotmesser, der Angeklagte stand mit dem Rücken zu dem Küchenwägelchen) oder instinktiv erfolgt sein (Ausweichen vor dem fallenden Tatopfer). Die Situation war für den Angeklagten möglicherweise auch nicht so außergewöhnlich, wie es das Landgericht annimmt. Nach den Feststellungen war es bereits zuvor vereinzelt zu wechselseitigen tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Ehepaar gekommen (UA S. 9), auch hatte Helga S. den Angeklagten bereits einmal in betrunkenem Zustand mit einem Messer angegriffen. Weil der Angeklagte wußte, daß Helga S. im trunkenen Zustand zu scharfen verbalen Attacken neigte, fühlte er sich durch ihre Äußerungen nicht beleidigt oder provoziert (UA S. 31). Aus dem Inhalt des UA S. 15 f. mitgeteilten Telefongesprächs mit der Leitstelle der Polizei ergibt sich, daß der Angeklagte auf eher einfache Fragen nach Wohnort, Namen und dem Geschehen geantwortet hat.

Das Landgericht hat die Annahme eines Nachtrunks auf das vom Angeklagten unmittelbar vor, während und nach der Tat gezeigte Verhalten gestützt. Dieses Verhalten ist jedoch auch noch mit einer erheblichen Trunkenheit vereinbar. Jedenfalls ist nicht nachvollziehbar dargelegt, daß eine Person mit einem Blutalkoholgehalt von 3,61 %o zu einzelnen dieser Verhaltensweisen oder auch zu ihrer Gesamtheit nicht in der Lage wäre. Das Urteil teilt auch nicht mit, welche Ausfallerscheinungen auch bei einer alkoholgewohnten Person bei einem Blutalkoholgehalt von 3,61 %o mit Sicherheit zu erwarten gewesen wären, die der Angeklagte nicht aufgewiesen hat. Die Annahme eines Nachtrunks entbehrt daher einer ausreichenden Grundlage in den Feststellungen; sie erweist sich als bloße Vermutung.

Die Sachverständige ist in ihrem vorbereitenden schriftlichen, vorläufigen Gutachten noch davon ausgegangen, daß der Angeklagte aufgrund einer Alkoholintoxikation in seinem Steuerungsvermögen erheblich beeinträchtigt gewesen sein dürfte. Zwar kann die abschließende Beurteilung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung durchaus von seinem vorbereitenden Gutachten abweichen, wenn sich in der Hauptverhandlung weitere Aspekte ergeben. Hier hätte die Abweichung jedoch näher begründet werden müssen, da die für eine uneingeschränkte Steuerungsfähigkeit vorgetragenen Argumente nicht zu überzeugen vermögen. Es ist nicht erkennbar, inwieweit sich das Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat in der Hauptverhandlung anders dargestellt hat, als es die Sachverständige in ihrem vorbereitenden Gutachten zugrunde gelegt hat. Daß die Sachverständige auf Rückfrage der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ausgeführt habe, sie sei insbesondere nach Inaugenscheinnahme des fernmündlichen Gesprächs des Angeklagten mit der Leitstelle der Polizei sowie den Gutachten der Rechtsmediziner von ihrer vorläufigen Einschätzung abgerückt, reicht als Erklärung hier nicht aus, weil sich aus dieser Angabe nicht erschließt, worin genau die neuen Aspekte liegen, die der Sachverständigen zuvor nicht bekannt waren oder die sie nun anders gesehen hat.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Strafe kommt es hier in besonderem Maße auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten an (vgl. BGH, Beschluß vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05).

2. Der Tatrichter hätte prüfen und entscheiden müssen, ob der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Die Unterbringung nach § 64 StGB ist zwingend anzuordnen, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen.

Angesichts der Feststellungen zum langjährigen, intensiven Alkoholkonsum des Angeklagten drängte sich die Prüfung der Frage auf, ob bei dem Angeklagten ein Hang vorhanden ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muß (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; § 64 Hang 2). "Im Übermaß" bedeutet, daß der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (BGH NStZ-RR 2003, 106; BGHR StGB § 64 Hang 2). Hierfür ergeben sich aus den Urteilsgründen deutliche Anhaltspunkte, auch wenn der Angeklagte zur Zeit der Hauptverhandlung nicht unter Entzugserscheinungen gelitten hat und die Sachverständige keine Anzeichen einer derzeit bestehenden Alkoholabhängigkeit feststellen konnte.

Weiterhin wird zu prüfen sein, ob die begangene Tat auf den möglicherweise festzustellenden Hang zurückgeht, ob in Zukunft die Gefahr besteht, daß der Angeklagte infolge des Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird und ob eine hinreichend konkrete Behandlungsaussicht besteht. Keine dieser Fragen läßt sich nach den bisherigen Feststellungen ohne weiteres verneinen. Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, würde die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht hindern. Der Beschwerdeführer hat die Maßregel nach § 64 StGB auch nicht von einem Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Ende der Entscheidung

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