Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.05.2004
Aktenzeichen: 2 StR 379/03 (1)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 240 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 379/03

vom 5. Mai 2004

in der Strafsache

gegen

wegen Nötigung

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Mai 2004, an der teilgenommen haben:

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bode als Vorsitzender,

und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten,

die Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß, Prof. Dr. Fischer,

die Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, als beisitzende Richter,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. Januar 2003 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Angeklagte wendet sich mit Verfahrensrügen und mit der Sachrüge gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision vor allem eine höhere Strafe. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet, das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat hingegen Erfolg.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde von dem aus Bangladesch stammenden Kölner Kaufmann R. bei Einkäufen in Frankfurt von Landsleuten aus Bangladesch Schutzgeld verlangt. R. weigerte sich zu zahlen. Deshalb fuhr an einem Tag sein Angestellter Ch. mit seiner Ehefrau B. nach Frankfurt und tätigte die Einkäufe. Als beide im Geschäft "S. " waren, drang eine Gruppe von zehn bis zwölf Bangladeschi, darunter der Angeklagte, in das Geschäft ein und stellte ihn zur Rede, daß er für R. einkaufe. Ein Mitglied der Gruppe ließ eine in Papier eingewickelte Eisenstange zu Boden fallen, ein anderer hatte erkennbar eine Handfeuerwaffe einstecken. Man forderte Ch. auf, mit auf die Straße zu kommen, was dieser aus Angst ablehnte. Als sich seine Ehefrau einschaltete, intervenierte der Angeklagte mit den Worten "Wir haben auch Frauen und Kinder". Man werde sie nun gehen lassen. Man brauche den . Ebenfalls vom Angeklagten oder aber einem anderen wurde den Eheleuten erklärt, sie sollten nicht wiederkommen, wörtlich: "Wenn Ihr nach Frankfurt einkaufen kommt, kehrt ihr nicht mehr zurück". Dann rief ein anderer, (R. ) solle vor 20.00 Uhr zum Reisebüro E. des Angeklagten kommen und das Geld in einer Plastiktüte bringen. Danach entfernten sich die Männer.

Das Landgericht hat die Tat abweichend vom Anklagevorwurf nicht als versuchte bandenmäßige räuberische Erpressung mit Waffen, sondern als Nötigung gewürdigt. Gegenüber Ch. und seiner Ehefrau sei eine Forderung nach Schutzgeld nicht erhoben worden. Möglicherweise sei es tatsächlich nur darum gegangen, sie für den in R. s Auftrag erledigten Einkauf zu bestrafen und damit künftige Einkäufe zu unterbinden. Die Aufforderung eines einzelnen Mittäters, R. auszurichten, daß er Geld zum Reisebüro des Angeklagten bringen solle, stehe nicht notwendig in Übereinstimmung mit dem Willen des Angeklagten, da sie erst erfolgt sei, nachdem dieser die Einkäufer "entlassen" habe.

II.

Zur Revision des Angeklagten:

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung beantragt, den Leiter der Zentralen Ausländerbehörde zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, daß seitens der Ausländerbehörde der Verdacht einer Scheinehe zwischen den Zeugen Ch. und B. bestanden habe und der Zeugin B. deshalb die Aufenthaltserlaubnis entzogen und eine Duldung erteilt worden sei. Damit sollte die Glaubwürdigkeit der Zeugin B. mit der Behauptung in Frage gestellt werden, daß sie wegen der Scheinehe vom Zeugen Ch. abhängig und deshalb auch zu einer Falschaussage bereit sei. Das Landgericht hat den Beweisantrag mit näherer Begründung wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen zurückgewiesen. Die Ablehnung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Schlüsse aus dem Aufenthaltsstatus der Zeugin auf deren Glaubwürdigkeit lagen hier fern; unter diesen Umständen drängte sich eine weitere Beweiserhebung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht auf.

2. Die Verurteilung wegen Nötigung wird von den Feststellungen getragen. Der Zeuge Ch. wurde von der Gruppe der Bangladeschi einschließlich des Angeklagten durch ihr bedrohliches Auftreten eingeschüchtert und bedrängt. Der Zeuge sollte eingestehen, daß er für R. einkaufe. Die Urteilsfeststellungen lassen ohne weiteres erkennen, daß es den Tätern dabei darum ging, Einkäufe für R. zu verhindern. Dies Vorgehen konnte ersichtlich nur den Sinn und Zweck haben, R. zu Schutzgeldzahlungen zu bewegen, indem es ihm unmöglich gemacht wurde, seine Einkäufe durch Dritte tätigen zu lassen. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, daß die möglicherweise von einem anderen geäußerte Aufforderung, Ch. und B. sollten nicht wiederkommen, dem zuvor gefaßten gemeinschaftlichen Tatentschluß aller Gruppenmitglieder entsprach und der Angeklagte sie sich, auch wenn sie nicht von ihm selbst stammt, als Mittäter zurechnen lassen muß. Auch spielt es keine Rolle, daß diese Äußerung möglicherweise erst nach der "Entlassung" des Ch. durch den Angeklagten gefallen ist. Daß der Angeklagte trotz seiner "deeskalierenden" Äußerung von der Absicht, Schutzgeld von R. zu erpressen, keinen Abstand genommen hatte und die Abschreckung des Ch. von künftigen Einkäufen seinem Willen entsprach, zeigt schon seine eigene Formulierung, man werde sie nun gehen lassen und man brauche den . Die "Entlassung" des Ch. war naheliegend Voraussetzung für das weitere Vorgehen gegen R. . Hierzu paßt zwanglos der am Ende des Geschehens von einem anderen Mittäter erteilte Auftrag, dem R. auszurichten, er solle am selben Abend Geld zum Reisebüro des Angeklagten bringen.

Aus der dem Angeklagten zuzurechnenden Äußerung, "wenn Ihr nach Frankfurt einkaufen kommt, kehrt ihr nicht mehr zurück" folgt entgegen der Auffassung der Revision ohne weiteres die Bedrohung mit einem Tötungsdelikt. Mit der Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts brauchte sich das Landgericht angesichts der vollendeten Tat nicht auseinanderzusetzen.

3. Auch der Strafausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Strafzumessung ist Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Solche Rechtsfehler sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat durch die abgeurteilte Tat dazu beigetragen, daß R. sein Geschäft aufgegeben hat. Dies durfte ihm bei der Strafzumessung erschwerend angelastet werden. Der Angeklagte hat Auswirkungen seines Handelns auf R. im Hinblick auf die erstrebten Schutzgeldzahlungen gerade bezweckt. Daß auch andere Vorfälle, an denen der Angeklagte nicht beteiligt war, hierfür mit ursächlich waren, hat die Strafkammer gesehen und folglich auch berücksichtigt. Soweit die Revision vorträgt, daß sich der Angeklagte im "S. " für Ch. und B. eingesetzt habe und deshalb aus seinem Verhalten keine besonders große Angst der Zeugen entstanden sei, entfernt sie sich von den tatrichterlichen Feststellungen.

III.

Zur Revision der Staatsanwaltschaft:

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist nicht auf den Strafausspruch beschränkt. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben. In der Revisionsbegründung heißt es: "Es wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt, insbesondere die Verletzung des § 240 Abs. 4 StGB". Mit dieser Formulierung ("insbesondere") hat die Beschwerdeführerin noch hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß sie die Sachrüge nicht nur bezüglich des Strafausspruchs wegen Nichtanwendung des § 240 Abs. 4 StGB erhebt, sondern allgemein. Angesichts dieser Erklärungen in der Rechtsmittelbegründung und im Revisionsantrag kann dem Umstand, daß die Ausführungen zur Sachrüge sich nur mit der Strafzumessung befassen, eine Beschränkung des Rechtsmittels auf diesen Punkt nicht entnommen werden.

2. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht die Tat abweichend vom Anklagevorwurf statt als versuchte bandenmäßige räuberische Erpressung mit Waffen nur als Nötigung gewürdigt hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat dem Angeklagten die Äußerung, der Zeuge Ch. und seine Ehefrau würden bei einem erneuten Einkauf in Frankfurt nicht nach Köln zurückkehren, zu Recht zugerechnet, obwohl diese möglicherweise auch erst nach der "Entlassung" der Zeugen durch den Angeklagten erfolgt ist. Sinn des ganzen Geschehens, an dem der Angeklagte beteiligt war, war es, Einkaufsfahrten der Zeugen zu unterbinden, um den R. zur Geldzahlung zu zwingen. Die Annahme der Strafkammer, die Aufforderung eines einzelnen Mittäters, R. auszurichten, daß er Geld zu des Angeklagten Reisebüro bringen solle, stehe nicht notwendig in Übereinstimmung mit dem Willen des Angeklagten, da sie erst erfolgte, nachdem dieser die Einkäufer "entlassen" habe, steht dazu im Widerspruch. Die Strafkammer hat hierfür keine Begründung gegeben, in den Feststellungen findet sich hierfür kein Beleg. Dieser Annahme steht vielmehr entgegen, daß das ganze Geschehen von Anfang an Teil einer Schutzgelderpressung zum Nachteil des R. war. Daß die letzte Äußerung gegen den Willen des Angeklagten erfolgt sein könnte, ist unter diesen Umständen fernliegend, zumal R. das Geld zum Reisebüro des Angeklagten bringen sollte und der Angeklagte dieser Aufforderung nicht entgegengetreten ist. Die Verurteilung nur wegen Nötigung kann deshalb keinen Bestand haben.

Ende der Entscheidung

Zurück