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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.11.2001
Aktenzeichen: 2 StR 428/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 354 Abs. 1
StPO § 265
StGB § 64 Abs. 1
StGB § 64 Abs. 2
StGB § 64
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 428/01

vom

7. November 2001

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. November 2001 gemäß §§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 20. März 2001

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen schuldig ist und

b) im Ausspruch über die Einzelstrafe von fünf Jahren sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der nicht näher ausgeführten Sachrüge. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist es im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt:

"Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen versuchten Totschlags zum Nachteil des Zeugen H. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil unter Berücksichtigung des Grundsatzes in dubio pro reo nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Angeklagte vom - unbeendeten - Tötungsversuch mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist.

Der Tatrichter hat festgestellt, daß der Beschwerdeführer nach dem Setzen der drei Stiche in den Oberbauch seines Opfers davon ausging 'daß es für einen möglichen Eintritt des Todes beim Zeugen H. keines weiteren Handelns mehr bedürfe' (UA S. 16). Danach war der Tötungsversuch beendet. Nicht bedacht hat die Schwurgerichtskammer, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aber auch dann ein unbeendeter Versuch in Betracht kommt, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar zunächst für möglich hält, unmittelbar darauf aber, sei es auch in Verkennung der tatsächlich eingetretenen Gefährdung, zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten absieht (BGHSt 36, 224; BGHR StGB § 24 I 1 Versuch, unbeendeter 24, 25, 27; BGH StV 1995, 462; 1997, 128). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem (strafbaren) beendeten oder (straflosen) unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Opfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters, alles zur Erreichung des gewollten Erfolges getan zu haben, zu erschüttern (BGH, Beschl. v. 29. August 1995 - 4 StR 474/95).

Das angefochtene Urteil leidet an dem Rechtsfehler, daß es diese Rechtsprechung nicht bedacht hat und deshalb der Frage, ob der Beschwerdeführer durch das unmittelbare Nachtatgeschehen zu der Auffassung gelangen konnte, den Zeugen H. doch nicht tödlich verletzt zu haben, nicht nachgegangen ist, obwohl der festgestellte Sachverhalt dazu drängte. Denn das Tatopfer, welches die Stiche erst wesentlich später bemerkte, zeigte keinerlei Verletzungsfolgen. Es versperrte dem Beschwerdeführer, der weiterhin auf H. hätte einstechen können, was die nachfolgende Verletzung des Zeugen M. belegt, nach wie vor den Weg und ließ sich auch auf eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeführer ein, wobei Fußtritte ausgetauscht wurden (UA S. 17). Dieses Verhalten des Zeugen H. und die dann nachfolgende körperliche Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit H. und dem Zeugen M. führten beim Angeklagten schließlich zu der Annahme 'daß die beiden Männer zwar nicht im erwarteten Maße beeinträchtigt waren', weshalb er sich zur Flucht wandte (UA S. 17). Diese Feststellungen lassen es als nahe liegend, jedenfalls aber als möglich erscheinen, daß der Beschwerdeführer infolge des Verhaltens des Zeugen H. nach dem Setzen der drei Stiche nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben.

Da der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung den Einsatz des Messers geleugnet hat (UA S. 21, 22), ist nicht zu erwarten, daß eine erneute Hauptverhandlung zu Erkenntnissen bezüglich seines Vorstellungsbildes über die Folgen der Messerstiche führen wird. Deshalb kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO sowie des Zweifelsgrundsatzes in der Sache selbst entscheiden und den Schuldspruch insoweit von versuchtem Totschlag in gefährliche Körperverletzung abändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Beschwerdeführer ersichtlich nicht anders verteidigen würde und könnte, als bisher. Nicht auszuschließen ist aber, daß die Rechtsfolge für den Beschwerdeführer günstiger ausgefallen wäre, wenn der Tatrichter von einem Rücktritt vom unbeendeten Versuch ausgegangen wäre. Die Einzelstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe kann deshalb keinen Bestand haben. Ebenso verhält es sich mit der Gesamtfreiheitsstrafe."

Dem schließt sich der Senat an. Die für die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen M. verhängte Einzelstrafe von acht Monaten wird hier von der Teilaufhebung nicht berührt.

Der neue Tatrichter wird allerdings die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 und 2 StGB einer erneuten Überprüfung zu unterziehen haben. Einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt würde nicht entgegenstehen, daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; seit BGHSt 37, 5 f. st. Rspr.). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 ff.).



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