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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: 2 StR 575/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 177 Abs. 1
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
StGB § 177 Abs. 3
StGB § 177 Abs. 3 Nr. 1
StGB § 177 Abs. 3 Nr. 2
StGB § 177 Abs. 4
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1
StGB § 184 f Nr. 1
StGB § 240 Abs. 1
StGB § 241
StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 575/05

vom 8. Februar 2006

in der Strafsache

gegen

wegen sexueller Nötigung

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Februar 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. Juli 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Schöffengericht - Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders schwerer) sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die seit Mai 2002 bestehende Liebesbeziehung des 1980 geborenen Angeklagten zu der Zeugin Z. wesentlich durch die übersteigerte Eifersucht und Besitz ergreifende Nachstellungen des Angeklagten geprägt. Die Zeugin teilte diesem daher ab April 2003 mehrfach mit, dass sie sich von ihm trennen wolle, nahm jedoch nach Versprechungen, demonstrativen Selbstverletzungen, Suiziddrohungen und drängenden Nachstellungen des Angeklagten die Beziehung immer wieder auf. Zuletzt am 1. Januar 2004 kam es zum einverständlichen Geschlechtsverkehr. In der Folgezeit teilte die Zeugin dem Angeklagten jedoch erneut mit, dass sie die Beziehung beenden wolle. Er bedrängte sie weiter; im Laufe des Januar 2004 wurden mehrere Gespräche über die von ihm gewünschte Fortsetzung der Beziehung geführt, eines davon in der Wohnung des Angeklagten.

Am 28. Januar 2004 kam es auf Drängen des Angeklagten zu einer weiteren "Aussprache". Die Zeugin Z. holte den Angeklagten zunächst auf dessen Bitte mit ihrem PKW in K. ab und fuhr dann nach H. zur Wohnung des Angeklagten. Sie parkte in einer bewohnten Straße in der Nähe der Wohnung des Angeklagten. Beide stiegen aus und führten zunächst außerhalb des PKW ein Gespräch; dann setzten sie sich wieder in das Fahrzeug. Dort erklärte die Zeugin dem Angeklagten nochmals, sie wolle nichts mehr von ihm wissen.

Zum darauf folgenden Hergang hat das Landgericht festgestellt: Der Angeklagte "begann ..., der Zeugin mehrfach grob zwischen die Beine zu greifen. Dort bewegte er die Finger im Bereich der Vagina der Zeugin hin und her. Die Zeugin schob ihn entrüstet weg, worauf er sie aufforderte, mit ihm, 'zum Ficken auf die Viehweide' zu fahren, was die Zeugin verbal heftig ablehnte. Daraufhin griff der Angeklagte zum Hals der Zeugin, hielt sie dort fest und versuchte, diese auf den Mund zu küssen. Die Zeugin (...) versuchte mit ihrem Kopf nach hinten auszuweichen, woraufhin der Angeklagte jedoch mit seinem Gesicht folgte und ihr einen Kuss aufnötigte. Er sagte dabei zu der Zeugin, er schwöre ihr, sie und ihre Familie umzubringen. In diesem Moment bemerkte die Zeugin, dass der Angeklagte seinen Schlüsselbund dergestalt in die Faust genommen hatte, dass die einzelnen Schlüssel stachelartig zwischen den Fingern hervorstanden. Diese Faust hielt er der Zeugin vor den Bauch" (UA S. 11/12).

Die Zeugin ergriff nun ihre auf dem Rücksitz liegende Tasche und versuchte, aus dem PKW zu fliehen. Der Angeklagte hielt die Tasche zunächst fest, ließ sie aber auf die Drohung der Zeugin los, sie werde sonst um Hilfe rufen. Die Zeugin ging nun um die nächste Straßenecke, rief von ihrem Handy aus einen Freund an und teilte diesem mit, der Angeklagte versuche sie umzubringen. Sodann ging sie zum PKW zurück, wo sich der Angeklagte noch aufhielt. Der Angeklagte entfernte sich schließlich. Er rief in den folgenden Stunden mehrmals bei der Mutter der Zeugin an und erklärte, er habe "Scheiße gebaut"; per SMS versuchte er die Zeugin davon abzuhalten, Strafanzeige zu erstatten (UA S. 12).

2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen besonders schwerer sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht.

a) Die Feststellungen zur Qualifikation sind unzureichend. Das Landgericht hat den Tatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB als verwirklicht angesehen und hierzu festgestellt, die Zeugin habe den Umstand, dass der Angeklagte seinen Schlüsselbund in die Faust genommen hatte, so dass die Schlüssel wie Stacheln zwischen den Fingern hervorstanden, "in diesem Moment" bemerkt, somit während oder unmittelbar nachdem der Angeklagte ihr einen Kuss aufnötigte und die Drohung äußerte. Im ersteren Fall bliebe allerdings unklar, wie der Angeklagte, der nach dem Zusammenhang der Feststellungen wohl rechts neben der Zeugin auf dem Beifahrersitz saß, all diese Handlungen gleichzeitig ausgeführt haben könnte. Denn sowohl das Festhalten am Hals als auch das Vorhalten der Faust mit den Schlüsseln "vor den Bauch" der Zeugin kann nach den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten kaum anders als mit der rechten Hand ausgeführt worden sein; in diesem Fall kann es nicht gleichzeitig geschehen sein. Im Übrigen dürfte auch die Vorbereitung des Werkzeugs in der geschilderten Weise - namentlich wenn sie mit nur einer Hand und unbemerkt vorgenommen wurde - einige Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben.

Die Feststellungen ergeben daher nicht hinreichend deutlich, dass der Angeklagte den Schlüsselbund, der bei entsprechender Verwendung ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr.1 StGB sein konnte, tatsächlich bei der Tat verwendet hat. Nach den bisherigen Feststellungen hat der Angeklagte die Schlüssel weder als Nötigungsmittel zur Erzwingung der (möglicherweise) sexuellen Handlung noch als Mittel dieser Handlung selbst eingesetzt (zum Begriff des Verwendens vgl. BGHSt 46, 225, 228 f.; BGH NStZ 2000, 254; 2005, 35; MüKo-Renzikowski § 177 Rdn. 81; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 177 Rdn. 84; Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, 2005, § 2 Rdn. 89). Selbst wenn er dies beabsichtigt hätte, wäre der Einsatz des Werkzeugs nicht kausal gewesen, wenn die Geschädigte die Drohung erst nach Abschluss der erzwungenen Handlung bemerkte (vgl. Senatsbeschluss vom 1. September 2004 - 2 StR 313/04, NJW 2004, 3437).

Ob auch ein möglicherweise der Sicherung dienender Einsatz des Werkzeugs nach Vollendung der Tat, aber vor deren Beendigung, entsprechend der Auslegung des Begriffs des Verwendens etwa in § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. hierzu NStZ 2004, 263), dem Qualifikationstatbestand unterfallen kann (so Tröndle/Fischer aaO § 177 Rdn. 85; aA Renzikowski aaO § 177 Rdn. 81; ablehnend auch Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 244 Rdn. 2 m.w.N.), ist vom Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden. Die Frage kann hier offen bleiben, denn auch eine solche Verwendung ist bisher nicht mit der erforderlichen Klarheit festgestellt. Nicht nahe liegend wäre die Anwendung des § 177 Abs. 4 Nr. 1 jedenfalls dann, wenn eine Bedrohung mit dem gefährlichen Werkzeug für die Beteiligten in keinerlei Verbindung mehr mit eventuell vorausgegangenen oder beabsichtigten sexuellen Handlungen gestanden hätte und etwa nur Mittel einer auf neuem Tatentschluss beruhenden Bedrohung gewesen wäre.

Wären der Grundtatbestand verwirklicht, die Voraussetzungen einer Qualifikation gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB jedoch nicht feststellbar, so wäre § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB zu prüfen. Dass dem Schlüsselbund die Qualität eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht schon von vornherein, sondern erst zu dem Zeitpunkt zukam, als der Angeklagte es in der festgestellten Art ergriff und bereithielt, stünde einer Anwendung der Vorschrift nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 1999, 242, 243). Insoweit bedürfte es jedoch noch genauerer Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt. Das gilt gleichermaßen für eine mögliche Verwirklichung von § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB.

b) Es fehlt im Übrigen aber schon an hinreichend klaren Feststellungen zum Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB. Dieser setzt voraus, dass mittels einer der in § 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Nötigungshandlungen das Dulden einer sexuellen Handlung durch das Tatopfer oder eine sexuelle Handlung des Tatopfers selbst erzwungen wird. Aus den Urteilsgründen ergibt sich weder, auf welche Handlung das Landgericht abgestellt hat, noch, welche Tatbestandsvariante es als gegeben angesehen hat (UA S. 21).

aa) Als sexuelle Handlung im Sinne von § 184 f Nr. 1 StGB kommt hier zunächst das Greifen zwischen die Beine der Zeugin in Betracht. Zwar wies diese Handlung hier nach den konkreten Umständen die von § 184 f Nr. 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit auf. Es bleibt nach den Feststellungen jedoch offen, durch welches Nötigungsmittel die Duldung dieser Handlung erzwungen worden sein soll. Die bloße überraschende Vornahme einer sexualbezogenen Handlung kann nicht als Nötigung zur Duldung dieser Handlung angesehen werden (vgl. BGHSt 31, 76, 77 f.; 36, 145, 146; BGH NStZ 1993, 78; 1995, 230; 2005, 268, 269; st. Rspr.).

Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme ausgeführt hat, es lasse sich den Feststellungen noch entnehmen, dass der Angeklagte zur Ausführung der Griffe zwischen die Beine der Zeugin Gewalt einsetzen musste, um ihren Widerstand zu überwinden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Festgestellt ist vielmehr gerade, dass die Zeugin die Hand des Angeklagten "entrüstet weg schob", sich der Zudringlichkeit also erfolgreich widersetzte; danach wiederholte der Angeklagte diese Handlungen nicht. Die Annahme, er habe zuvor Gewalt eingesetzt, um Widerstand zu brechen, wird durch die bisherigen Feststellungen nicht getragen. Der neue Tatrichter wird insoweit gegebenenfalls genauere Feststellungen zu treffen haben.

bb) Gewalt zur Überwindung von Widerstand hat der Angeklagte eingesetzt, als er die Zeugin am Hals fasste, sie gegen ihr Sträuben fest hielt und ihr dadurch "einen Kuss aufnötigte". Insoweit wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben näher zu prüfen, ob der vom Angeklagten ausgeführte Kuss die von § 184 f Nr. 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit im Hinblick auf das durch den Verbrechenstatbestand des § 177 Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgut hatte. Bei der Beurteilung der Qualität einer Handlung sind die gesamten Begleitumstände des Tatgeschehens zu berücksichtigen (BGH NJW 1989, 3029); es muss eine sozial nicht mehr hinnehmbare Rechtsgutsbeeinträchtigung zu besorgen sein (BGHSt 29, 336, 338; BGH NJW 1992, 324; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 184 f Rdn. 5; MüKo-Hörnle § 184 f Rdn. 21). Bei einem nicht weiter qualifizierten Kuss auf den Mund kann das zweifelhaft sein, wenn zwischen den Beteiligten eine längere intime Beziehung bestanden hat (vgl. auch BGHSt 1, 292, 298; 18, 169 f.; BGH StraFo 1998, 63, 64; Hörnle aaO § 184 f Rdn. 20, 22; zu Kussversuchen auch BGH NStZ 1983, 553; 1988, 71; 2001, 370 f.). Es kommt für die Beurteilung auf die Umstände des Einzelfalls an.

Vorliegend wird insoweit neben den näheren Umständen des Kusses (Intensität, Dauer, gegebenenfalls Zungenkuss) die Beziehung zwischen den Beteiligten, vor allem aber auch die konkrete Tatsituation zu berücksichtigen sein. Dabei kann einerseits die - jedenfalls aus Sicht des Angeklagten - ambivalente Haltung der Zeugin von Bedeutung sein, die sich auch in der Vergangenheit trotz vielfacher Erklärungen, die Beziehung beenden zu wollen, immer wieder auf Treffen mit dem Angeklagten, Vertraulichkeiten und auch auf sexuelle Handlungen eingelassen hatte. Andererseits lässt sich dem Zusammenhang der Feststellungen ohne Weiteres entnehmen, dass der Angeklagte die Zeugin - etwa mit der Aufforderung, mit ihm "zur Viehweide", einem früheren Treffpunkt, zu fahren - jedenfalls unmittelbar vor dem Kuss zu sexuellen Handlungen bewegen wollte; dies kann nach dem Gesamtzusammenhang der äußeren Umstände und im Verständnis der Beteiligten auch dem Kuss selbst den Charakter einer sexuellen Handlung im Sinne von § 184 f Nr. 1 StGB gegeben haben.

Wenn der neue Tatrichter auf Grund der insgesamt neuen Feststellungen zu dem Ergebnis käme, dass der erzwungene Kuss nicht als sexuelle Handlung zu werten sei, weil es an der erforderlichen Erheblichkeit fehlte, so könnte insoweit jedenfalls der Tatbestand der Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB erfüllt sein.

cc) Unklar sind die Feststellungen des Landgerichts auch im Hinblick auf die vom Angeklagten ausgesprochene Drohung, die Zeugin und ihre Familie zu töten. Nach den Feststellungen sagte er dies "dabei", d. h. während er der Zeugin "einen Kuss aufnötigte". Es erscheint freilich schwer vorstellbar, dass der Angeklagte während des Küssens Drohungen ausstieß. Daher bleibt offen, ob er die Drohung vor dem Kuss aussprach, ob sie sich auf das Verhalten der Zeugin kausal im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB auswirkte und ob der Angeklagte dies erkannte oder billigend in Kauf nahm. Drohte er der Zeugin erst nach Beendigung des Kusses, so käme nur eine Verurteilung nach § 241 StGB in Betracht.

3. Die Feststellungen des Landgerichts tragen daher den Schuldspruch nicht. Das Urteil war auf die Sachrüge insgesamt aufzuheben. Im Hinblick auf die Bedeutung der Sache war diese an das Amtsgericht - Schöffengericht - zurück zu verweisen.

Sollte der neue Tatrichter wiederum zur Verurteilung wegen eines qualifizierten Falls der sexuellen Nötigung kommen, so wird zu beachten sein, dass die Verwirklichung der Qualifikationen des § 177 Abs. 3 und 4 StGB im Urteilstenor kenntlich zu machen ist (vgl. BGH NStZ 2002, 656; NStZ-RR 2004, 357 Nr. 26; BGH StraFo 2003, 281; BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4; st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer aaO § 177 Rdn. 78 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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