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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 19.07.2000
Aktenzeichen: 2 StR 96/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2 StPO
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 StR 96/00

vom

19. Juli 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juli 2000, an der teilgenommen haben:

Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender,

die Richter am Bundesgerichtshof Niemöller, Detter, Dr. Bode, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten als beisitzende Richter,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Juni 1999 wird mit den Feststellungen aufgehoben

a) auf die Revision der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang

b) auf die Revision der Angeklagten im Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung wegen Mordes erstrebt, und die Revision der Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge.

Nach den Feststellungen hatte die Angeklagte, Mutter von zwei Kindern, das dritte Kind ohne Wissen ihres Ehemanns abgetrieben, die Schwangerschaft und Geburt des vierten Kindes vor ihrer Familie verheimlicht, schon vor seiner Geburt Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen und es unmittelbar danach zur Adoption freigegeben. Bei den Erklärungen zur Vermittlung und Anmeldung des Kindes hatte sie die Unterschrift ihres Ehemannes gefälscht, den Notartermin hatte sie mit Ausreden hinausgeschoben. Die Angeklagte wollte wegen der finanziellen und häuslichen Situation der Familie kein weiteres Kind aufziehen. Zwei Monate nach der Geburt dieses Kindes wurde die Angeklagte erneut schwanger. Auch die Schwangerschaft und Geburt des fünften Kindes am 19. Dezember 1998 verheimlichte die Angeklagte ihrem Ehemann. Nachdem sie das Kind zunächst im Krankenhaus belassen hatte, holte sie es zwei Tage später im Beisein einer Jugendamtsmitarbeiterin ab. Zu Hause legte sie das Kind in der Waschküche in einen Schlafsack, zog den Reißverschluß zu und bedeckte ihn mit einem Berg von Wäschestücken. Das Kind erstickte.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, die Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg. Im übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch enthält Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten.

a) Die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht ist von bedingtem Tötungsvorsatz ausgegangen. Nach den Feststellungen, hat die Angeklagte das Kind aus einem plötzlichen Entschluß heraus - "das Kind muß weg"- getötet. Angesichts dessen und der erkennbar äußerst gefährlichen Handlung ist für die Annahme, die Angeklagte habe den Tod des Kindes nicht als sichere Folge ihres Handelns vorausgesehen (und damit auch gewollt), kein Raum. Das kann auch für die Ermittlung der Beweggründe der Angeklagten Bedeutung haben.

b) Das Landgericht hat einen Mord aus niedrigen Beweggründen verneint, weil der Angeklagten nicht ausschließbar das Bewußtsein gefehlt habe, daß ihr Handeln nach allgemeiner sittlicher Wertung auf niedrigster Stufe lag. Diese Begründung begegnet durchgreifenden Bedenken.

Zwar ist es richtig, daß sich der Täter bei einem Handeln aus niedrigen Beweggründen bei der Tat der Umstände bewußt sein muß, die den Antrieb zum Handeln als besonders verwerflich erscheinen lassen, wobei es allerdings - entgegen den mißverständlichen Urteilsausführungen - bedeutungslos ist, ob der Täter seine Motive selbst als niedrig bewertet (BGH NStZ 1989, 363; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27). Ob diese subjektiven Voraussetzungen gegeben sind, kann aber nicht beurteilt werden, ohne daß zuvor geklärt und dargelegt worden ist, welche Motivation der Tat zugrunde lag und ob diese Motivation als niedrig einzustufen ist.

Das Landgericht hat es unterlassen, das Tötungsmotiv der Angeklagten festzustellen. Nur im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Tötungsvorsatz hat es ausgeführt, daß sich die Angeklagte in einem Zwiespalt befunden habe, weil sie die Schwangerschaft vor dem Ehemann, der Verwandtschaft und Bekanntschaft verschwiegen hatte. Auch wenn es danach naheliegend ist, daß die Angeklagte aus Angst und Scham vor den Konsequenzen einer Offenbarung gehandelt hat, die möglicherweise nicht nur sie, sondern - bei Eheproblemen - auch ihre Kinder getroffen hätte, lassen sich die konkreten Tatantriebe der - wie an anderer Stelle ausgeführt - von ihrem Leben überforderten Angeklagten dem Urteil nicht entnehmen.

Von dieser dem Tatrichter obliegenden Pflicht zur Feststellung und umfassenden Würdigung konnte hier auch nicht etwa deshalb abgesehen werden, weil die Angeklagte - wovon das Landgericht ausgegangen ist - sich spontan zur Tötung des Kindes entschlossen hat. Abgesehen davon, daß sich diese Annahme unter anderem auf die Einlassung der Angeklagten stützt, nach der tatauslösend die Erinnerung an die - nach den Feststellungen nicht stattgefundene - Vergewaltigung gewesen sei, ist die Annahme niedriger Beweggründe auch bei einer Spontantat nicht ausgeschlossen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11). Spontaneität des Tatentschlusses kann im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und der psychischen Verfassung der Angeklagten aber Anlaß sein, die subjektive Seite des Mordmerkmals besonders sorgfältig zu prüfen.

2. Der Strafausspruch enthält Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten, die zu seiner Aufhebung auf die Revision der Angeklagten führen.

Das Landgericht hat u. a. folgende gegen die Angeklagte sprechende Umstände aufgeführt:

"Durch die Tötung des Säuglings zerstörte die Angeklagte ihre Familie. Ihre zwei zur Tatzeit zehn und sechs Jahre alten Kinder haben aufgrund der bevorstehenden langen Haftstrafe während wichtiger Entwicklungsphasen ihre Mutter nicht an ihrer Seite. Darüber hinaus wurde den Kindern durch die Tat der Angeklagten deutlich vor Augen geführt, daß ihrer Mutter die Kinder wenig wert sind, zumal sie ein weiteres Kind zur Adoption freigegeben hatte. Auch hat die Angeklagte einen hohen Vertrauensbruch gegenüber ihrem Mann begangen. Mit für die Ehe wichtigen gemeinsamen Entscheidungen hat sie es nicht genau genommen, sie hat ihrem Mann gegenüber drei Schwangerschaften verschwiegen. Sie hat sich ohne Rücksprache mit diesem zu einer Abtreibung und zu einer Freigabe zur Adoption entschieden und beides auch durchgeführt. Als letztes sprach auch gegen die Angeklagte, daß sie in ihrem persönlichen Umfeld die nachhaltigen Komplikationen erst auslöste, in dem sie immer wieder Lügengeschichten verbreitete."

Diese Strafzumessungserwägungen sind rechtlich bedenklich. Insbesondere hat die Strafkammer damit Umstände verwertet, die nicht im schuldrelevanten Zusammenhang mit der Tat stehen.

Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten darf bei der Strafzumessung nur Berücksichtigung finden, wenn eine Beziehung zu der Tat besteht, die Rückschlüsse auf eine höhere Tatschuld zuläßt. Ein solcher die Tatschuld erhöhender Zusammenhang des ehelichen Fehlverhaltens der Angeklagten bei der vorangegangenen dritten und vierten Schwangerschaft mit der Tötung des fünften Kindes, die durch das Verschweigen dieser fünften Schwangerschaft veranlaßt war, ist im Urteil nicht dargetan.

Auch soweit die Strafkammer strafschärfend die Folgen der langen gegen die Angeklagte verhängten Haftstrafe berücksichtigt hat, handelt es sich um Umstände, die nicht geeignet sind, die Tatschuld zu kennzeichnen. Zudem führt diese Erwägung - in der Art eines Zirkelschlusses - zu einer weiteren Verlängerung der Haftstrafe mit den der Angeklagten vorgeworfenen ungünstigen Folgen.



Ende der Entscheidung

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