Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.11.2009
Aktenzeichen: 3 ARs 16/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 200 Abs. 1
StPO § 243 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 17. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Der beabsichtigten Entscheidung steht Rechtsprechung des Senats nicht entgegen.

Gründe:

1. Der 1. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:

"Liegen einem Angeklagten zahlreiche Vermögensdelikte zur Last, die einem einheitlichen modus operandi folgen, genügt der konkrete Anklagesatz den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO und des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, wenn dort - neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt - die Tatorte, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum und der Gesamtschaden bezeichnet werden und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage oder einer Anlage zur Anklage die Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, detailliert beschrieben sind."

Er hat deshalb bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

2. Der beabsichtigten Entscheidung steht Rechtsprechung des Senats nicht entgegen.

3. Der Senat stimmt dem 1. Strafsenat in der Beurteilung des der Anfrage zugrunde liegenden Problems zu: In Verfahren wegen massenweise und gleichförmig begangener Vermögensdelikte besteht das praktische Bedürfnis, die Hauptverhandlung nicht dadurch in die Länge zu ziehen, dass umfangreiche Aufstellungen der einzelnen Taten zeitaufwändig verlesen werden, ohne damit für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit einen Informationsgewinn zu erreichen (vgl. nur die Darstellung bei Wilhelm NStZ 2007, 358). Er hat indes Zweifel, ob sich die vom anfragenden Senat beabsichtigte Verfahrensweise ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers allein auf der Grundlage des geltenden Strafprozessrechts umsetzen lässt.

a) Der Anfrage liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Tabelle mit der Auflistung der einzelnen Taten, die nach der bisherigen Praxis im konkreten Anklagesatz Aufnahme findet, zukünftig entweder in das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO) integriert oder als gesonderte Anlage zur Anklage abgefasst werden kann. Ob mit der neuen räumlichen Anordnung auch eine geänderte rechtliche Einordnung der Tabelle verbunden sein soll, lässt der Anfragebeschluss unerörtert.

Sofern die Tabelle weiterhin Bestandteil des Anklagesatzes (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) sein soll, muss sie in der Hauptverhandlung zu dem in § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO vorgesehenen Zeitpunkt vom Staatsanwalt verlesen werden. Eine nur teilweise Verlesung des Anklagesatzes sieht das Gesetz nicht vor. § 249 Abs. 2 StPO ist Teil der die Beweisaufnahme regelnden Vorschriften und auf die Verlesung der Anklageschrift nicht anwendbar.

Soll die Tabelle dagegen rechtlich nicht mehr zum Anklagesatz gehören, verlöre dieser die von § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zwingend geforderte Umgrenzungsfunktion. Von der im Anklagesatz verbleibenden generalisierenden Tatbeschreibung, der Nennung der Tatorte, der Gesamtzahl der Taten, des Tatzeitraums und des Gesamtschadens ist allein keine ausreichende Konkretisierung des Prozessgegenstands zu erlangen, über den das Gericht befinden soll. Durch bloße Bezugnahme auf eine außerhalb des Anklagesatzes liegende Passage der Anklage könnte dieser Mangel nicht behoben werden, da es sich - anders als bei den Fällen, in denen die Rechtsprechung einen Rückgriff auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zulässt (vgl. Stuckenberg in Löwe/ Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 200 Rdn. 81 m.w.N.) - um einen bewussten Verzicht der Schilderung in allen Einzelheiten bekannter Taten innerhalb des Anklagesatzes handelt. Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen würde dabei nicht bloß zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung herangezogen (vgl. BGHSt 46, 130, 134).

b) Ein vergleichbares Problem entsteht im Verfahren beim Erlass eines Strafbefehls. Dieser muss u.a. die Bezeichnung der Tat enthalten (§ 409 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Im Fall eines Einspruchs verliest der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung den Strafbefehlsantrag.

c) Bedenklich erscheint zuletzt auch, dass der Kreis der in Betracht kommenden Verfahren vom Anfragebeschluss nicht hinreichend abgegrenzt wird. Ab wann sich der Tatvorwurf auf "zahlreiche" Vermögensdelikte erstreckt, kann zur Vermeidung von Unsicherheiten nicht der Rechtsprechung im Einzelfall überlassen werden.

Ende der Entscheidung

Zurück