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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.12.2003
Aktenzeichen: 3 StR 120/03
Rechtsgebiete: StGB, BtMG


Vorschriften:

StGB § 227
StGB § 228
BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 3
1. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG in der Tatvariante des Verabreichens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge steht zu § 227 Abs. 1 StGB nicht im Verhältnis privilegierender Spezialität.

2. Zur Rechtswidrigkeit einer Körperverletzung, die durch das einverständliche Verabreichen illegaler Betäubungsmittel bewirkt wird.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil

3 StR 120/03

vom 11. Dezember 2003

in der Strafsache

gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 16. Oktober 2003 in der Sitzung am 11. Dezember 2003, an denen teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf,

die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, Becker, Hubert als beisitzende Richter,

Leitender Oberstaatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom 16. Oktober 2003 - als Verteidiger,

Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 6. Januar 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Verabreichen von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte den Geschädigten M. im Jahre 1997 kennengelernt. M. war alkoholabhängig und litt unter Krampfanfällen, zu deren Vermeidung er Medikamente einnahm. Sein körperlicher Zustand war schlecht. Seine Hände zitterten und die Funktion seiner Beine war gestört, so daß er ein behindertengerechtes dreirädriges Fahrrad benutzen mußte. Nachdem der Angeklagte erfahren hatte, daß M. gelegentlich Heroin spritzte, konsumierte er zweimal mit ihm zusammen Heroin. Während der Angeklagte dabei das Rauschgift rauchte, injizierte sich M. das Heroin. Danach machte er auf den Angeklagten in beiden Fällen einen "weggetretenen" Eindruck, reagierte jedoch auf Ansprache. Am Abend des 23. August 2001 traf der Angeklagte den M. , der sich mit Zechkumpanen vor einem Supermarkt aufhielt und eine Dose Bier in der Hand hatte. M. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Mengen Bier getrunken, zeigte wegen seiner Alkoholgewöhnung jedoch keine Ausfallerscheinungen. Der Angeklagte und M. kamen überein, gemeinsam 1 g Heroin zu konsumieren. Absprachegemäß besorgte der Angeklagte das Rauschgift und begab sich damit zur Wohnung des M. . Nachdem beide dort zunächst weiteren Alkohol getrunken hatten, holte der Angeklagte aus seiner nahegelegenen Wohnung ein Spritzenbesteck. Er kochte die Hälfte des erworbenen Heroins mit Ascorbinsäure und etwas Wasser auf und injizierte sich das Rauschgift. Dessen Wirkung empfand er gemessen an seiner langjährigen Erfahrung als normal; es stellte sich bei ihm ein leichter Rauschzustand ein.

Nachdem die Spritze in heißem Wasser desinfiziert worden war, kochte der Angeklagte die andere Hälfte des Heroins auf. M. band sich den Arm ab, konnte sich wegen des Zitterns seiner Hände die Spritze aber nicht mehr selbst setzen. Er bat daher den Angeklagten, ihm das Heroin zu injizieren und hielt ihm hierzu seine linke Armbeuge entgegen. Der Angeklagte kam der Bitte nach. Alsbald nach der Injektion verstarb M. an einer Heroinintoxikation, die sein Atemzentrum lähmte. Der Todeseintritt wurde durch die erhebliche Alkoholisierung des M. (Blutalkoholkonzentration von 2,33 o/oo) "begünstigt".

Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe sich der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht, denn in dem Tod des Geschädigten habe sich das mit der Körperverletzung in Form der Heroininjektion typischerweise verbundene Risiko verwirklicht, was der Angeklagte, der zwar nicht leichtfertig im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG gehandelt habe, jedenfalls im Sinne einfacher Fahrlässigkeit habe vorhersehen und vermeiden können. Die Körperverletzung sei auch nicht gerechtfertigt, denn sie habe trotz der Einwilligung des Geschädigten gegen die guten Sitten verstoßen (§ 228 StGB). Der Irrtum des Angeklagten über die "Wirksamkeit der Einwilligung" sei vermeidbar gewesen (§ 17 StGB).

II. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Prüfung aufgrund der erhobenen Sachrüge nicht stand.

1. a) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, daß sich das Landgericht, nachdem es eine leichtfertige Todesverursachung im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht festzustellen vermochte, nicht von vornherein daran gehindert gesehen hat, den Angeklagten der Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen. Denn § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG in der Tatvariante des Verabreichens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge steht zu § 227 Abs. 1 StGB nicht im Verhältnis privilegierender Spezialität (vgl. hierzu allg. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. vor §§ 52 ff. Rdn. 136), die zur Folge hätte, daß § 227 Abs. 1 StGB nicht anwendbar ist, wenn eine Verurteilung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mangels Leichtfertigkeit der Todesverursachung nicht in Betracht kommt.

Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, daß es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfaßt (BGH NJW 1999, 1561; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. vor §§ 52 ff. Rdn. 73 m. w. N.) und der Täter durch die Spezialvorschrift privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch die Privilegierung beseitigt würde (vgl. BGHSt 30, 235, 236). Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt 19, 188, 190; 24, 262, 266; Rissing-van Saan aaO).

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen privilegierender Spezialität hier nicht vor. Zwar könnte es auf ein derartiges Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften hindeuten, daß § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG die Todesfolge, die als notwendiges Durchgangsstadium zum Todeseintritt objektiv stets auch eine Körperverletzung beinhaltet (vgl. BGHSt 44, 196, 199; BGH NStZ 1995, 79, 80; 1997, 233, 234), nur bei leichtfertiger Herbeiführung des Todes zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes genügen läßt und hierfür lediglich Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren androht, während § 227 Abs. 1 StGB Freiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren vorsieht, obwohl hier für die Verursachung des Todes jede Form der Fahrlässigkeit zur Tatbestandserfüllung ausreicht (§ 18 StGB). Indessen steht der Annahme privilegierender Spezialität entgegen, daß die Verabreichung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge nicht in jedem Fall alle tatbestandlichen Voraussetzungen der Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt; denn das vorsätzliche Verabreichen von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG) beinhaltet nicht notwendig eine vorsätzliche Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB.

Betäubungsmittel können bei ihrem Konsumenten Wirkungen hervorrufen, die sich als Gesundheitsschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB darstellen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sie zu Rauschzuständen, körperlichem Unwohlsein - insbesondere nach Abklingen der Rauschwirkungen - oder zur Suchtbildung bzw. zu Entzugserscheinungen führen (BGH NJW 1970, 519; vgl. auch Lilie in LK 11. Aufl. § 223 Rdn. 14 m. w. N.). Wer Betäubungsmittel verabreicht, hierdurch derartige Wirkungen bzw. Erscheinungen bei dem Betroffenen erzielt und dies zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes billigend in Kauf nimmt, verwirklicht daher den objektiven und subjektiven Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung. Jedoch muß nicht jeder Betäubungsmittelkonsum bzw. jede Betäubungsmittelgabe zu einer Gesundheitsschädigung im dargestellten Sinne führen. Insbesondere beim Konsum leichter Drogen in geringer Dosis müssen die normalen Körperfunktionen nicht derart nachteilig beeinflußt werden, daß von einem - sei es auch nur vorübergehenden - pathologischen Zustand (vgl. BGHSt 43, 346, 354 m. w. N.) gesprochen werden kann. Wer bei der Verabreichung von Betäubungsmitteln nur derartige Wirkungen hervorrufen will oder billigend in Kauf nimmt, macht sich daher nicht der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig. Dementsprechend begeht er auch keine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge, wenn aufgrund besonderer Umstände - etwa allergischer Reaktionen, gesundheitlicher Vorschädigungen des Betroffenen oder sonstiger konstellativer Faktoren - die Wirkungen des Betäubungsmittels unvorhergesehen zum Tod des Opfers führen. Konnte und mußte er diese mögliche Folge voraussehen, so kommt, wenn er insoweit leichtfertig handelte, eine Verurteilung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG in Betracht. Trifft ihn lediglich der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit, ist nur ein Schuldspruch nach § 222 StGB möglich. Kann ihm die Todesfolge überhaupt nicht vorgeworfen werden, ist er allein nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG zu bestrafen. Eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge scheidet dagegen aus.

Beinhaltet danach aber nicht jede Verabreichung von Betäubungsmitteln (mit Todesfolge) notwendig eine vorsätzliche Körperverletzung (mit Todesfolge), so ist trotz des im Vergleich zu § 227 Abs. 1 StGB für die Todesfolge in § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG geforderten erhöhten Grades der Fahrlässigkeit bei gleichzeitig niedrigerer Strafrahmenuntergrenze das systematische und konkurrenzrechtliche Verhältnis der beiden Vorschriften anders als im Sinne privilegierender Spezialität zu deuten: Die höhere Strafrahmenuntergrenze des § 227 Abs. 1 StGB beruht darauf, daß diese Vorschrift über die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinaus stets das Vorliegen einer vorsätzlichen Körperverletzung voraussetzt.

b) Der Angeklagte hat sich auch nicht straflos an einer eigenverantwortlichen Selbstverletzung bzw. Selbsttötung M. s beteiligt. Seine Verurteilung wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts ist daher auch nicht unter diesem Gesichtspunkt ausgeschlossen.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewußt eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (grundlegend BGHSt 32, 262 ff.; siehe auch BGHSt 46, 279, 288 f.; BGH NStZ 2001, 205; BGH NJW 2003, 2326, 2327 jew. m. w. N.). Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -verletzung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung oder -ver- letzung eines anderen ist damit die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungshandlung nicht allein bei dem Gefährdeten, sondern zumindest auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein (s. insg., auch zu gegenteiligen Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum BGH NJW 2003, 2326, 2327). In diesen Fällen stellt sich vielmehr die Frage, ob der täterschaftlich Handelnde aufgrund der Einwilligung des Geschädigten gerechtfertigt ist.

Im Hinblick darauf, daß der Angeklagte das Injizieren des Heroins bei M. eigenhändig vornahm, und insbesondere, weil dieser sich die Spritze nicht selbst setzen konnte, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei täterschaftliches Handeln des Angeklagten angenommen. Die Tatsache, daß die Injektion auch vom Willen und der Mitwirkung M. s abhing, ändert hieran nichts.

c) Es ist danach nicht zu beanstanden, daß das Landgericht die objektiven und subjektiven tatbestandlichen Voraussetzungen des § 227 Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen hat: Der Angeklagte wollte bei M. durch die Heroininjektion einen Rauschzustand und damit eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB hervorrufen. Die Wirkungen des Heroins führten indessen zum Tod des Opfers. Damit verwirklichte sich eine spezifische Gefahr, die mit der bewußt vorgenommenen Körperverletzung verbunden war. Daß diese Folge - angesichts der generellen Gefährlichkeit des Heroinkonsums, der deutlichen Alkoholisierung M. s und dessen gesundheitlicher Vorschädigung - für den Angeklagten vorhersehbar und vermeidbar war, hat das Landgericht, entgegen der Ansicht der Revision, ebenfalls rechtsfehlerfrei dargelegt.

2. Dagegen halten die Ausführungen des Landgerichts zu einer möglichen Rechtfertigung der Körperverletzungstat durch die Einwilligung M. s sowie zu der damit zusammenhängenden Irrtumsproblematik rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht ist der Ansicht, die Körperverletzung sei rechtswidrig, weil sie trotz der Einwilligung M. s in die Heroininjektion gegen die guten Sitten verstoßen habe (§ 228 StGB). Dies trifft zwar im Ergebnis zu. Jedoch hat das Landgericht die Grundlagen dieses Sittenwidrigkeitsurteils nicht zutreffend erkannt. Damit hat es sich den Blick auf eine rechtsfehlerfreie Beurteilung der Irrtumsfragen verstellt.

a) Gemäß § 228 StGB ist die mit Einwilligung der verletzten Person vorgenommene Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Das Strafgesetzbuch knüpft somit die Rechtsfolgen der Einwilligung an außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien. Die Prüfung der Rechtfertigung der Körperverletzungstat durch die Einwilligung des Geschädigten ist daher in diesem Punkt weniger ein Akt normativ-wertender Gesetzesauslegung als vielmehr ein solcher empirischer Feststellung bestehender Moralüberzeugungen. Der Begriff der guten Sitten ist für sich gesehen allerdings konturenlos. Wird er als strafbegründendes Element in das Strafrecht integriert, gerät er in Konflikt mit dem grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG). Es sind daher verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 228 StGB erhoben worden (vgl. die Nachw. bei Stree in Schönke/Schröder aaO § 228 Rdn. 6). Diese teilt der Senat nicht. Jedoch muß der Begriff der guten Sitten auf seinen Kern beschränkt werden. Nur dann ist dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens genügt. Dies bedeutet, daß ein Verstoß der Körperverletzungstat gegen die guten Sitten nur angenommen werden kann, wenn sie nach allgemein gültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist (Stree in Schönke/Schröder aaO). In diesem Sinne ist eine Körperverletzung trotz Einwilligung des Geschädigten nach der allgemein gebrauchten Umschreibung dann sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGHSt 4, 24, 32; 4, 88, 91; Hirsch in LK 11. Aufl. § 228 Rdn. 6 m. w. N.). Ein Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befaßten Strafgerichts genügt daher nicht. Läßt sich nach diesen Maßstäben die Sittenwidrigkeit nicht sicher feststellen, scheidet eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts aus (Stree aaO und Hirsch aaO Rdn. 2 jew. m. w. N.).

Die allgemein gültigen, vernünftigerweise nicht anzweifelbaren sittlichen Wertmaßstäbe sind allgemeinkundig. Sie stehen daher der Kenntnisnahme durch das Revisionsgericht offen, ohne daß es ihrer Darlegung im tatrichterlichen Urteil bedarf (vgl. BGHSt 6, 292, 296; BayObLGSt 1987, 171, 173; OLG Düsseldorf NJW 1993, 2452, 2453; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 3; Meyer-Goßner/Cierniak StV 2000, 696, 699).

Nach dem Wortlaut des § 228 StGB ist entscheidend, ob die Tat gegen die guten Sitten verstößt. Unerheblich ist daher, ob dieser Makel - auch oder nur - der Einwilligung anhaftet (BGHSt 4, 88, 91; BGH NStZ 2000, 87, 88). Demgemäß kann die Prüfung der Sittenwidrigkeit der Tat nicht allein daran anknüpfen, ob mit der Tat verwerfliche Zwecke verfolgt werden, etwa weil sie der Vorbereitung, Vornahme, Verdeckung oder Vortäuschung einer Straftat (so aber Horn/Wolters in SK-StGB 57. Lfg. - August 2003 - § 228 Rdn. 9) oder anderen unlauteren Zielen dienen. Vielmehr ist immer in Betracht zu nehmen, ob die Körperverletzung wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs, namentlich des Umfangs der vom Opfer hingenommenen körperlichen Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung und des Grades der damit verbundenen weiteren Leibes- oder Lebensgefahr, als unvereinbar mit den guten Sitten erscheint (vgl. Hirsch aaO Rdn. 9). Ob mit der Tat verfolgte weitergehende - unlautere - Zwecke ebenfalls für das Sittenwidrig- keitsurteil relevant sind (vgl. dazu die Nachw. bei Hirsch aaO Rdn. 8 sowie Stree aaO Rdn. 7; s. aber auch BGHSt 38, 83, 87, wo die Sittenwidrigkeit der Tat wegen der Geringfügigkeit der Verletzungen trotz des mit der Körperverletzung verfolgten verwerflichen Zwecks - vorgetäuschte Geiselnahme - verneint wurde), kann der Senat in vorliegendem Fall offen lassen. Denn weder der Geschädigte M. noch der Angeklagte verfolgten mit der Heroininjektion einen weitergehenden Zweck, als bei M. einen Rauschzustand herbeizuführen. Dieser ist aber unmittelbares Symptom der durch das Heroin bewirkten Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Eine über die Tat hinausreichende Zwecksetzung ist daher nicht erkennbar. Der Makel der Sittenwidrigkeit kann daher der Tat allein wegen des Maßes der Rechtsgutsverletzung und der damit verbundenen weitergehenden Gefahren für dessen Leib und Leben zukommen.

b) Danach gilt hier folgendes:

aa) Entgegen der Ansicht des Landgerichts war die einverständliche Heroininjektion nicht schon deswegen sitten- und damit gemäß § 228 StGB rechtswidrig, weil sich der Angeklagte durch die Tat jedenfalls nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG strafbar gemacht hat. § 228 StGB beschränkt unter Heranziehung ethisch-moralischer Maßstäbe die Freiheit des einzelnen, über sein Individualrechtsgut der körperlichen Unversehrtheit nach freiem Belieben zu disponieren. Hiervon zu trennen ist der Schutz anderer, überindividueller Rechtsgüter, über die der einzelne nicht verfügen kann. Hält es der Gesetzgeber für erforderlich, eine Handlung, die die Gefahr einer Körperverletzung in sich birgt, zum Schutz derartiger Universalrechtsgüter - etwa der Sicherheit des Straßenverkehrs in § 315 c StGB oder der Volksgesundheit in § 29 BtMG - in gesonderten Vorschriften unter Strafe zu stellen, ist die Einwilligung des durch eine derartige Handlung tatsächlich in seiner körperlichen Unversehrtheit oder Gesundheit Geschädigten für die Strafbarkeit des Täters nach diesen Vorschriften ohne Belang (vgl. BGHSt 6, 232, 234; 23, 261, 264). Die Einwilligung M. s hätte somit einer Verurteilung des Angeklagten nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht entgegengestanden (vgl. BGHSt 37, 179, 181 ff.) und kann auch den Schuldspruch nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG nicht hindern. Andererseits läßt sich aus dem strafrechtlichen Schutz derartiger Universalrechtsgüter, auch wenn sie mittelbar den Schutz von Individualrechtsgütern mitbewirken (s. BGHSt 23, 261, 264; 37, 179, 182), nichts für die Beantwortung der Frage ableiten, ob im konkreten Einzelfall die Einwilligung des Geschädigten in die Verletzung des Individualrechtsguts seiner körperlichen Unversehrtheit mit allgemein anerkannten sittlichen Wertvorstellungen unvereinbar ist (vgl. BGHSt 6, 232, 234; OLG Hamm MDR 1971, 67; BayObLGSt 1977, 105, 106 f.; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht 2. Aufl. Rdn. 370).

bb) Der Senat vermag nicht zu erkennen, daß der Konsum illegaler Drogen nach heute allgemein anerkannten, nicht anzweifelbaren Wertvorstellungen generell noch als unvereinbar mit den guten Sitten angesehen wird. Gleiches gilt für eine Körperverletzung, die durch das einverständliche Verabreichen eines illegalen Betäubungsmittels verursacht wird. Entsprechend erachten es auch verschiedene Autoren im strafrechtlichen Schrifttum für möglich, daß eine durch das Verabreichen von Betäubungsmitteln bewirkte Körperverletzung durch die Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt sein kann (s. etwa Hirsch aaO Rdn. 50; Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 1016; Endriß/Malek aaO). Unter welchen Voraussetzungen oder Umständen eine Gesundheitsschädigung durch einvernehmliches Verabreichen von Betäubungsmitteln nach allgemein anerkannten moralischen Maßstäben sittlich verwerflich ist, entzieht sich allerdings genereller Betrachtung. Allgemein reicht hierfür allein das Verabreichen auch harter Drogen nicht aus. Maßgeblich ist vielmehr, ob und in welchem Grad durch die konkrete Tat Gesundheits- bzw. Suchtgefahren begründet oder verstärkt werden. Nach allgemeinem sittlichen Empfinden ist die Grenze moralischer Verwerflichkeit dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Betroffene durch das Verabreichen des Betäubungsmittels in konkrete Todesgefahr gebracht wird. So lag es aber hier. M. wurde wegen seiner gesundheitlichen Vorschädigung und der bereits bestehenden Alkoholintoxikation durch die Heroininjektion unmittelbar in Lebensgefahr gebracht. Tatsächlich hat sie auch seinen Tod herbeigeführt. Trotz der Einwilligung M. s in die Injektion war die vom Angeklagten hierdurch begangene Körperverletzung daher gemäß § 228 StGB rechtswidrig. Insoweit ist dem Landgericht im Ergebnis zu folgen.

cc) Jedoch erweisen sich auf dieser Grundlage die Darlegungen des Landgerichts zu dem Irrtum des Angeklagten über "die Wirksamkeit der Einwilligung" als rechtlich nicht tragfähig. Die Sitten- und damit Rechtswidrigkeit der Körperverletzung trotz der Einwilligung des Opfers folgt hier aus der konkreten Lebensgefahr, die durch die Heroininjektion für M. entstand. Erkannte der Angeklagte diese Gefahr nicht, etwa weil er die Schwere der gesundheitlichen Vorschädigung und das Maß der - den Todeseintritt "begünstigenden" - Alkoholisierung unzutreffend einschätzte und davon ausging, das Heroin könne - wie zuvor bei ihm selbst - lediglich zu einem leichten Rauschzustand führen, irrte er nicht über die sittliche und damit rechtliche Bewertung der Tat nach § 228 StGB, sondern über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Ein derartiger Erlaubnistatbestandsirrtum ist nicht als Verbotsirrtum (§ 17 StGB), sondern entsprechend den Regeln des Tatbestandsirrtums nach § 16 Abs. 1 StGB zu behandeln (BGHSt 31, 264, 286 f. m. w. N.; vgl. auch Stree aaO § 228 Rdn. 12). Das Vorliegen eines solchen Irrtums hat das Landgericht nicht geprüft. Positiv festgestellt hat es lediglich, daß der Angeklagte die Gefährlichkeit seines Tuns hätte erkennen können. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge kann daher keinen Bestand haben. Dies führt zur Aufhebung des gesamten Urteils, auch wenn der Schuldspruch wegen tateinheitlichen Verabreichens von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG) rechtlich nicht zu beanstanden ist.

III. 1. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird vorab zu prüfen haben, ob M. angesichts seines körperlichen und geistigen Zustands überhaupt noch eine wirksame Einwilligung abgeben konnte oder ihm nicht vielmehr bereits die hierfür erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlte (vgl. BGHSt 4, 88, 90; BGH NStZ 2000, 87, 88; Lenckner in Schönke/ Schröder aaO vor §§ 32 ff. Rdn. 39 f. m. w. N.). War letzteres der Fall, wird sich aber auch insoweit die Frage stellen, ob der Angeklagte dies erkannte oder sich insoweit in einem Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung befand.

2. Eine Rechtfertigung der in Betracht kommenden fahrlässigen Tötung durch die Einwilligung M. s in die sein Leben gefährdende Handlung des Angeklagten scheidet schon wegen der Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat aus (Lenckner aaO Rdn. 104 a. E.). Es kann daher dahinstehen, ob der Ansicht des 4. Strafsenats zu folgen wäre, bei tatsächlich eingetretenem Tod könne die Einwilligung des Opfers in die Lebensgefährdung in keinem Fall rechtfertigende Wirkung hinsichtlich der Todesfolge entfalten, obwohl dieselbe Handlung, soweit sie lediglich die Körperverletzung eines anderen Geschädigten bewirkt, durch dessen Einwilligung gerechtfertigt sein kann (BGHSt 4, 88, 93; BGH VRS 17, 277, 279; BGH, Beschl. vom 20. Juni 2000 - 4 StR 162/00, insoweit in NStZ 2000, 583 nicht abgedruckt; vgl. demgegenüber die beachtlichen Argumente bei Lenckner aaO Rdn. 104 m. w. N.).

Ende der Entscheidung

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