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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.03.1999
Aktenzeichen: 3 StR 2/99
Rechtsgebiete: StPO i.d.F. d. Zeugenschutzgesetzes v. 30. April 1998


Vorschriften:

StPO § 397 a Abs. 1 Satz 1 i.d.F. des Zeugenschutzgesetzes vom 30. April 1998
StPO § 397 a Abs. 1 Satz 1 i.d.F. des Zeugenschutzgesetzes vom 30. April 1998

Ist eine Straftat zur Zeit der Urteilsverkündung und des Revisionsverfahrens ein Verbrechen, so ist dies für die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand des Nebenklägers in der Revisionsinstanz maßgebend, auch wenn die Straftat zum Zeitpunkt ihrer Begehung lediglich die Voraussetzungen eines Vergehenstatbestandes erfüllt.

BGH, Beschl. vom 10. März 1999 - 3 StR 2/99 - LG Hildesheim


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 2/99

vom

10. März 1999

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs widerstandsunfähiger Personen

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 1999 beschlossen:

Der Nebenklägerin Sch. wird für die Revisionsinstanz Rechtsanwältin S. , , als Beistand bestellt.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 28. September 1998 wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Urteils mißbrauchte der Angeklagte die schlafende Nebenklägerin, indem er mit ihr den Beischlaf ausübte.

Der Nebenklägerin ist auf ihren Antrag gemäß § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO für die Revisionsinstanz ein Beistand zu bestellen. Die Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 179 Abs. 4 Nr. 1 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes vom 26. Januar 1998. Sie stellt damit, wie es § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt, ein Verbrechen dar, das die Nebenklägerin gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StPO zum Anschluß berechtigt.

Der Bestellung eines Beistands steht nicht entgegen, daß das Landgericht gemäß § 2 Abs. 3 StGB zu Recht auf die im Dezember 1997 begangene Tat § 179 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 177 Abs. 3 StGB in der Fassung des 33. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 angewandt hat. Diese Vorschrift begründete trotz des Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe lediglich ein Vergehen, weil sie als besonders schwerer Fall des sexuellen Mißbrauchs widerstandsunfähiger Personen ausgestaltet und das Grunddelikt ein Vergehen war, § 12 Abs. 3 StGB. Mit der Neufassung des § 179 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz hat der Gesetzgeber § 179 Abs. 4 StGB jedoch zu einer echten Qualifikation und im Hinblick auf die Strafdrohung von nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe zu einem Verbrechen umgestaltet (insoweit unvollständig die Aufzählung bei Senge in KK 4. Aufl. § 397 a Rdn. 1 b).

Ist eine Straftat zur Zeit der Urteilsverkündung und des Revisionsverfahrens ein Verbrechen, so ist dies für die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand des Nebenklägers in der Revisionsinstanz maßgebend, auch wenn die Straftat zum Zeitpunkt ihrer Begehung lediglich die Voraussetzungen eines Vergehenstatbestandes erfüllt. § 2 Abs. 3 StGB gilt für die bei § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO vorzunehmende Bewertung der Tat nicht. Der in § 2 Abs. 3 StGB geregelte, vom Tatzeitprinzip abweichende Vorrang der Anwendbarkeit des mildesten materiellen Strafgesetzes soll den Täter begünstigen (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 2 Rdn. 16). Demgegenüber dient § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO als verfahrensrechtliche Vorschrift dem Schutz und der Stärkung der Rechte bestimmter Nebenkläger. Durch die Anordnung anwaltlichen Beistandes für Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und bei versuchten Tötungsdelikten soll den berechtigten Interessen dieser vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig angesehenen Opfer entsprochen werden (vgl. BTDrucks. 13/9542). Dieser Gesetzesintension läuft eine Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO zuwider, die ausschließlich auf die der Verurteilung zugrunde liegende Straftatqualifikation (hier: Vergehen) abstellt. Im übrigen gilt der Grundsatz der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für verfahrensrechtliche Vorschriften in besonderer Weise. Mit diesem Gedanken wäre es nur schwerlich zu vereinbaren, wollte man bei der Auslegung einer Verfahrensnorm, die auf das materielle Strafrecht Bezug nimmt, von dem gegenwärtigen Rechtszustand abweichen und auf eine frühere Gesetzeslage abstellen. Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 397 a StPO dafür, § 179 StGB in der Form des 6. Strafrechtsreformgesetzes anzuwenden. Die Vorschrift wurde durch das Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 eingeführt. Sie geht auf eine Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 GG vom 2. März 1998 (BTDrucks. 13/10001 S. 3) zurück (vgl. Senge in KK 4. Aufl. § 397 a Rdn. 1). Zu diesem Zeitpunkt war das 6. Strafrechtsreformgesetz bereits verabschiedet. So liegt es nahe, daß der Gesetzgeber bei dem Verweis auf das materielle Recht auf die Delikte in ihrer durch die Neufassung des Gesetzes begründeten Form Bezug nehmen wollte.

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