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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.06.1999
Aktenzeichen: 3 StR 212/99
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 247
StPO § 247 Satz 1
StPO § 338 Nr. 5
StPO § 61 Nr. 2
StPO § 60
StPO § 247 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 212/99

vom

23. Juni 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Juni 1999 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 16. Dezember 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Strafkammer in mehrfacher Hinsicht gegen § 247 StPO verstoßen hat.

1. Die Revision rügt, daß der Angeklagte fehlerhaft während der Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung der Zeugin M. aus der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen sei. Die Rüge ist zulässig erhoben. Die diesbezüglichen Bedenken des Generalbundesanwalts teilt der Senat nicht. Anders als in der Entscheidung BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18 weist hier das Hauptverhandlungsprotokoll keine Äußerung des Angeklagten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem fehlerhaft in seiner Abwesenheit durchgeführten Teil der Hauptverhandlung aus, zu der sich die Revisionsbegründung hätte äußern müssen.

Nach dem durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen (§ 274 StPO) Vortrag der Revision hat das Landgericht den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung der Zeugin M. entfernt, da zu befürchten war, daß die Zeugin in seiner Gegenwart die Wahrheit nicht sagen würde (§ 247 Satz 1 StPO); aufgrund weiterer Beschlüsse hat es sodann ohne den Angeklagten auch über die Vereidigung der Zeugin verhandelt und entschieden. Dies war nicht zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugen nicht zur Vernehmung im Sinne des § 247 Satz 1 StPO, so daß in der Regel der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist, wenn der Angeklagte während dieses Verhandlungsteils von der Hauptverhandlung ausgeschlossen war (vgl. BGHSt 26, 218; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 3). Das gilt auch, wenn die Zeugin - wie hier - als Verletzte nach § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt geblieben ist (vgl. BGH NStZ 1983, 181 und BGHR StPO § 247 aaO). Zwar könnte etwas anderes dann gelten, wenn die Abwesenheit des Angeklagten keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung betrifft, weil er nach den besonderen Umständen des Einzelfalles die Frage der Vereidigung auch im Falle seiner Anwesenheit nicht hätte beeinflussen können. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr wäre hier, da ein Vereidigungsverbot (§ 60 StPO) nicht bestand, in Betracht gekommen, daß der Angeklagte auf eine Vereidigung der Zeugin hingewirkt hätte (BGH NStZ-RR 1997, 105).

Damit liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor. Das Urteil muß schon deshalb ohne weitere Prüfung auf seine Richtigkeit hin aufgehoben werden.

2. Die Revision rügt weiter die Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz 4 StPO durch den Vorsitzenden. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es für die Zulässigkeit der Rüge nicht weiteren Vortrags. Die Notwendigkeit, vor der Vernehmung des Zeugen B. die bisherige Aussage der Zeugin M. zu kennen, ergibt sich bereits aus den im Urteil mitgeteilten Aussagen.

Auch hier ist durch das Hauptverhandlungsprotokoll der Revisionsvortrag bewiesen (§ 274 StPO), daß der Vorsitzende den Angeklagten über den Inhalt der bisherigen, in Abwesenheit des Angeklagten erfolgten Aussage der Zeugin M. erst unterrichtet hat, nachdem der Zeuge B. in Anwesenheit des Angeklagten vernommen und entlassen worden war. Dies ist ein Verstoß gegen § 247 Satz 4 StPO. Danach muß ein Angeklagter, der während einer Zeugenvernehmung aus dem Sitzungssaal entfernt worden ist, von dem in seiner Abwesenheit Ausgesagten auch dann vor der Fortsetzung der Beweisaufnahme unterrichtet werden sobald er wieder anwesend ist, wenn die während seiner Ausschließung durchgeführte Vernehmung lediglich unterbrochen worden war (BGHSt 38, 260; BGH NStZ 1992, 346; BGH StV 1995, 339). Durch die alsbaldige Unterrichtung soll der Angeklagte in die Lage versetzt werden, den weiteren Gang der Verhandlung sofort zu beeinflussen und noch im Zusammenhang mit der von den anderen Prozeßbeteiligten gehörten Zeugenaussage Stellung zu nehmen (BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 7).

Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil auf diesem Fehler beruht. Der Zeuge B. hatte als Kriminalbeamter kurze Zeit nach der Tat mit der Zeugin M. , dem Opfer, gesprochen. Die Strafkammer hält den die Taten bestreitenden Angeklagten aufgrund der Angaben der Zeugin M. für überführt und bezeichnet deren Aussageverhalten als konstant. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, daß der Angeklagte für seine Verteidigung wissen mußte, was die Zeugin in der Hauptverhandlung bekundet hatte, ehe eine Vernehmungsperson zu früheren Bekundungen der Zeugin gehört wurde.

3. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob auch die weitere Rüge, das Landgericht habe in Abwesenheit des Angeklagten ein Notizbuch des Angeklagten in Augenschein genommen und diese Beweisaufnahme nach der Wiederzulassung des Angeklagten nicht wiederholt, der Revision zum Erfolg verhelfen würde. Der Senat weist jedoch auf folgendes hin.

Die Niederschrift über die Hauptverhandlung beweist (§ 274 StPO), daß eine förmliche Beweisaufnahme (Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins) stattgefunden hat. Nachdem Umstände, die die Beweiskraft des Protokolls in Zweifel ziehen könnten, nicht vorliegen, kann der Senat nicht davon ausgehen, das Notizbuch sei im Rahmen der Vernehmung der Zeugin M. lediglich als Vernehmungsbehelf verwendet worden. Die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlauf einer Zeugenvernehmung bedarf (ebenso wie der Vorhalt von Urkunden) nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 273 Rdn. 8 a.E.). Wenn sich eine Sitzungsniederschrift richtigerweise darauf beschränkt, nur die förmliche Erhebung eines Sachbeweises als Verlesung einer Urkunde oder Einnahme eines Augenscheins wiederzugeben, ist sie erheblich kürzer und weniger mißverständlich (vgl. auch BGH bei Miebach NStZ-RR 1998, 1, 5 zu § 338 Nr. 5 StPO; BGH, Beschl. vom 21. Dezember 1998 - 3 StR 437/98).

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