Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 26.08.1998
Aktenzeichen: 3 StR 256/98
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 244 Abs. 3 u. 4
StPO § 52
StPO § 247
StPO § 247 a
StPO § 238 Abs. 2
GVG § 172 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 256/98

vom

26. August 1998

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. August 1998, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Blauth, Dr. Miebach, Pfister als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 11. März 1998 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen sowie wegen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

Die Revision erhebt mehrere Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen. Diese sind aus den Erwägungen der Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts vom 26. Mai 1998 überwiegend unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Näherer Erörterung bedürfen nur die im Zusammenhang mit der Vernehmung der achtjährigen Zeugin Corinna G. erhobenen Beanstandungen.

1. Die Revision rügt eine Verletzung von § 244 Abs. 4 und 3 StPO. Der Angeklagte hatte "zum Beweis dafür, daß die Zeugin keine der ihr erteilten Belehrungen über das ihr zustehende Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO verstanden hat, auch in der erteilten Form nicht verstehen konnte", die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Diesen Antrag hat die Strafkammer unter Berufung auf ihre eigene Sachkunde abgelehnt. Dies ist im Ergebnis zutreffend.

Einer Ablehnung nach § 244 Abs. 4 und 3 StPO hätte es nicht bedurft. Der Antrag war auf die Feststellung einer prozessual erheblichen Tatsache gerichtet. Hierfür gelten die Regeln des Freibeweises (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 244 Rdn. 7). Unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht war für die im Umgang mit kindlichen Zeugen erfahrene Jugendschutzkammer eine weitere Ermittlung nicht veranlaßt, nachdem auch die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugin beauftragte Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen war, die Zeugin sei im kognitiven Bereich altersentsprechend entwickelt.

2. Die Revision rügt in diesem Zusammenhang weiter, die Belehrung der Zeugin sei unter Verstoß gegen § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht ordnungsgemäß erfolgt. Einen Verfahrensverstoß fördert sie nicht zutage.

Aus der Niederschrift über die Hauptverhandlung und dem Beschluß, mit dem die Strafkammer den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. vorstehend 1.) zurückgewiesen hat, ergibt sich, daß die Zeugin gemäß § 52 StPO belehrt worden ist. Der dabei der kindlichen Zeugin gegebene Hinweis, daß sie bei der Befragung im Verfahren gegen ihren Stiefvater nichts sagen müsse, ist nicht zu beanstanden.

3. Eine weitere Verfahrensrüge vermag der Senat dem Vorbringen der Revision entgegen der in der Zuleitungsschrift geäußerten Auffassung des Generalbundesanwalts in diesem Zusammenhang nicht mehr zu entnehmen. Kommen nach den von der Revision vorgetragenen Tatsachen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, muß vom Beschwerdeführer innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Angriffsrichtung der Rüge deutlich gemacht und dargetan werden, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird (BGH, Beschl. vom 14. Juli 1998 - 4 StR 253/98). Dies gilt insbesondere bei einer Revisionsbegründung, die - wie vorliegend - auf 37 Seiten ohne Untergliederung Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen ineinander vermengt. Danach macht die Revision im Zusammenhang mit der Vernehmung der Zeugin Corinna G. keinen weiteren Verfahrensmangel geltend.

Die Revision teilt eingangs der die Vernehmung der Zeugin betreffenden Beanstandung den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. oben 1.) und den daraufhin ergangenen Ablehnungsbeschluß der Strafkammer wörtlich mit und rügt sodann, daß die Ablehnung unter Berufung auf die eigene Sachkunde fehlerhaft gewesen sei. Damit macht die Revision in der Hauptsache diese Ablehnung zum Gegenstand ihres Angriffs. Da der Angeklagte als Stütze für seine Behauptung, die Zeugin habe die Belehrung nicht verstanden, sowohl in der Hauptverhandlung (in dem Beweisantrag) als auch in der Revisionsbegründung auf die Art der Belehrung abgehoben und behauptet hat, die Belehrung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, macht die Revision auch diesen Verfahrensmangel geltend.

Eine gesonderte Rüge, die Zeugin sei weiter vernommen worden, obwohl sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe bzw. der Vorsitzende habe die Zeugin unzulässig beeinflußt, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch zu machen (vgl. BGH NStZ 1989, 440), ist demnach nicht erhoben.

4. Im Hinblick darauf, daß der Generalbundesanwalt die Rüge für erhoben angesehen hat, bemerkt der Senat, daß die Beanstandung auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte:

Die achtjährige Zeugin hatte nach ihrer Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren gegen ihren Stiefvater erklärt, sie wolle aussagen. Bei Fragen zu Details des Tatgeschehens erklärte die Zeugin dann, sie wolle dazu keine Angaben machen. Der die Vernehmung der Zeugin führende Vorsitzende verstand diese Äußerung dahin, daß die Zeugin wegen ihres Schamgefühls nichts weiteres sagen wollte. Auch die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung herangezogene Sachverständige Diplom-Psychologin I. hatte das Verhalten als Ausdruck des sich bei der Zeugin entwickelnden Schamgefühls interpretiert. Eine Berufung der Zeugin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO sah der Vorsitzende in der Äußerung nicht. Er bot der Zeugin daraufhin an, ihr Vorhalte aus einer früheren Vernehmung zu machen, die die Zeugin dann mit "Ja" oder "Nein" beantworten könne. Nachdem die Zeugin eingewilligt hatte, verfuhr der Vorsitzende in dieser Weise. Die Zeugin antwortete im folgenden auf die Vorhalte nicht nur mit Ja oder Nein, sondern brachte teilweise auch eigene, ausführlichere Formulierungen.

Dieses Verfahren ist nicht zu beanstanden. Ein nach § 52 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigter Zeuge kann von seinem Recht nach erfolgter Belehrung Gebrauch machen oder auch auf dieses Recht verzichten. Hat der Zeuge - wie hier - zuerst auf das Verweigerungsrecht verzichtet, so kann er den Verzicht während der Vernehmung widerrufen mit der Folge, daß die Vernehmung nicht weitergeführt werden darf. Dieser Verzicht muß eindeutig erklärt werden. Verhaltensweisen, die nicht eindeutig sind, bedürfen der Interpretation durch das Gericht. Dabei wird gerade im Bereich kindlicher Opferzeugen von Sexualdelinquenz genau zu unterscheiden sein, ob der Zeuge nichts mehr sagen will oder ob er bei weiter bestehender Aussagebereitschaft aufgrund von Hemmungen nur nichts mehr sagen kann. Im ersten Fall darf auf die Entschließungsfreiheit des Zeugen nicht eingewirkt werden (BGH NStZ 1989, 440); im anderen Fall muß das Gericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht versuchen, im Rahmen der gesetzlich gegebenen Möglichkeiten die Vernehmung so zu gestalten, daß Hemmungen überwunden werden. Hier kommen die vorübergehende Ausschließung des Angeklagten (§ 247 StPO) oder der Ausschluß der Öffentlichkeit (§ 172 Nr. 4 GVG) in Betracht. Das am 1. Dezember 1998 in Kraft tretende Zeugenschutzgesetz (BGBl I 1998 S. 820) sieht unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Videovernehmung des Zeugen vor (§ 247 a StPO). Auch der Vorhalt früherer Vernehmungen ist bei vorhandener Aussagebereitschaft zulässig, um die Hemmungen bei der Erörterung von Tateinzelheiten zu überwinden.

Die Interpretation der Zeugenerklärung ist - vergleichbar mit den Entscheidung über die Verstandesreife eines minderjährigen Zeugen i.S.v. § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. dazu BGHSt 14, 159, 160) - Sache des erkennenden Richters. Entsteht über die Interpretation unter den Verfahrensbeteiligten Streit, setzt etwa der Vorsitzende die Befragung des Zeugen trotz einer von anderen Verfahrensbeteiligten als Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts angesehenen Erklärung des Zeugen fort, so muß dies beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO).

So liegt es hier. Die weitere Befragung der Zeugin durch den Vorsitzenden ist vom Verteidiger nicht beanstandet worden, jedenfalls trägt die Revision dies nicht vor.



Ende der Entscheidung

Zurück