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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.10.2002
Aktenzeichen: 3 StR 358/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 358/02

vom

29. Oktober 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Oktober 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 8. Mai 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in neun Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die verfahrensrechtliche Beanstandung nicht bedarf.

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen Vergewaltigung (Fall II. 1. der Urteilsgründe) bzw. sexueller Nötigung (Fall II. 3. der Urteilsgründe) nicht. Zwar mag der Angeklagte den 14-jährigen H. und den 12-jährigen E. bewußt in eine schutzlose Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gebracht haben, indem er sie aus sexuellen Motiven jeweils zu der einsamen Stelle am B. See fuhr. Allein die Tatsache, daß der Angeklagte die von ihm geschaffene Lage dazu nutzte, um sexuelle Handlungen an den Jungen vorzunehmen, begründet aber noch keine Strafbarkeit wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung. Erforderlich ist darüber hinaus, daß die sexuellen Handlungen gegen den Willen der beiden Jungen geschahen und sie dem Vorgehen des Angeklagten gerade deswegen keinen Widerstand entgegensetzten, weil sie einen solchen aufgrund ihrer Lage für aussichtslos hielten (vgl. BGHSt 45, 253, 259 f.). Entsprechende Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen.

Im Fall II. 1. hatte H. , nachdem der Angeklagte das Gespräch auf ein sexuelles Thema gebracht hatte, von sich aus dem Angeklagten seinen Penis gezeigt, was der Angeklagte zur Ausübung des Oralverkehrs nutzte. Daß H. hiermit nicht einverstanden war und den Oralverkehr nur deswegen über sich ergehen ließ, weil er im Hinblick auf den abgelegenen Ort des Geschehens keine Hilfe gegen den körperlich überlegenen Angeklagten erhoffte, läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Gleiches gilt im Fall II. 3.. Hier hatte E. es zugelassen, daß ihm der Angeklagte in die Hose griff und an seinem Geschlechtsteil manipulierte, nachdem der Angeklagte zuvor ausdrücklich erklärt hatte, er werde ihn zu nichts zwingen. Daraus, daß sich das Geschehen an einem einsamen Ort abspielte und E. bei früherer Gelegenheit (Fall II. 2.) eine sexuelle Annäherung des Angeklagten zurückgewiesen hatte, folgt nicht, er habe nunmehr im Hinblick auf seine - objektiv - hilflose Lage auf Widerstand verzichtet.

2. Auch der Schuldspruch wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in neun Fällen (§ 176 Abs. 1 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe es zumindest für möglich gehalten, daß die von ihm mißbrauchten Kinder noch keine vierzehn Jahre alt waren, beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung. Der Angeklagte war zwar geständig (UA S. 4), hat aber ersichtlich ein Wissen um das Alter der Kinder nicht eingeräumt, da ansonsten die in der rechtlichen Würdigung enthaltenen beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite des § 176 Abs. 1 StGB nicht erforderlich gewesen wären. Diese Erwägungen entfernen sich aber in solchem Maße von einer festen Tatsachengrundlage, daß es sich hierbei letztlich um bloße Vermutungen handelt, die als Grundlage einer Verurteilung nicht hinreichen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 261 Rdn. 38 m. w. N.). Weder der Umstand, daß der Angeklagte die Kinder "über einen längeren Zeitraum" kannte (UA S. 8), noch das tatsächliche Alter der Kinder zur Tatzeit von 13 Jahren ( C. , Fälle II. 7. - 10.), 12 Jahren ( E. , Fälle II. 2. - 5.) und 10 Jahren ( Et. , Fall II. 6.) vermögen ohne weitergehende Feststellungen etwa zur körperlichen Entwicklung und zum Erscheinungsbild der Opfer zur Tatzeit den Schluß zu rechtfertigen, der Angeklagte habe es zumindest für möglich gehalten, daß die Jungen jeweils noch nicht 14 Jahre alt waren.

3. Das angefochtene Urteil ist daher in vollem Umfang aufzuheben. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer feststellen, daß in den Fällen II. 1. und 3. die beiden Jungen mit den sexuellen Handlungen des Angeklagten einverstanden waren oder der fehlende Widerstand nicht auf ihre schutzlose Lage zurückzuführen war, wird sie zu prüfen haben, ob eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung bzw. wegen versuchter sexueller Nötigung deswegen in Betracht kommt, weil nach der Vorstellung des Angeklagten die beiden Jungen seinem Vorgehen wegen ihrer schutzlosen Lage keinen Widerstand entgegensetzten.

Ende der Entscheidung

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