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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.07.2009
Aktenzeichen: 3 StR 44/09
Rechtsgebiete: BtMG, BtMVV, StPO


Vorschriften:

BtMG § 3
BtMG § 13
BtMG § 29 Abs. 1
BtMVV § 5
StPO § 354 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf Antrag des Generalbundesanwalts und

nach Anhörung des Beschwerdeführers

am 28. Juli 2009

gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO

einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 6. August 2008 wird

a) für die Tat II. 132 der Urteilsgründe eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten festgesetzt,

b) das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, von einer darüber hinausgehenden Kompensation aber abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 146 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es den (Wertersatz-)Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 7.958,93 Euro angeordnet und dem Angeklagten für die Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten die Ausübung einer Tätigkeit als Arzt in der Drogensubstitution untersagt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Nach den Feststellungen gab der Angeklagte, der als niedergelassener Arzt auch in der Drogensubstitution tätig war, das in Anlage III des BtMG aufgeführte Substitutionsmittel Methadon in 146 Fällen an (zwölf) Privatpatienten in der Weise ab, dass er ihnen alsbald nach Behandlungsbeginn - zum Teil bereits nach wenigen Tagen - ohne ausreichende Kontrolle etwa im Hinblick auf den Beikonsum anderer Betäubungsmittel und/oder trotz anderweitiger offensichtlicher Unzuverlässigkeiten eine für mehrere Tage bemessene Dosis des Substitutionsmittels als Gesamtmenge zur eigenverantwortlichen Einnahme unmittelbar aus seinem Praxisbestand aushändigte. Er stellte den Patienten während des jeweiligen Abgabezeitraumes neben dem Einkaufspreis des Methadons monatliche Pauschalbeträge in Höhe zwischen 90 Euro und 113 Euro in Rechnung. Im Besitz einer Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln gemäß § 3 BtMG war der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt.

b) Die festgestellte Art und Weise der Abgabe des Substitutionsmittels Methadon durch den Angeklagten unterlag der Erlaubnispflicht des § 3 BtMG, über die der Angeklagte nicht verfügte. Das Gesetz sieht weder eine generelle Befreiung eines Substitutionsarztes von dieser Erlaubnispflicht vor noch unterfällt die vom Angeklagten geübte Abgabepraxis der Ausnahmeregelung des § 13 BtMG (BGHSt 52, 271).

Diese Vorschrift sieht Ausnahmen von der Erlaubnispflicht des § 3 BtMG nur dann vor, wenn Substitutionsmittel ärztlich verschrieben oder im Rahmen der Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit dem Patienten verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen, ihm also zum sofortigen Gebrauch ausgehändigt werden, ohne dass der Patient an dem Betäubungsmittel eigene Verfügungsmacht erlangt. Keiner dieser Erlaubnistatbestände war vorliegend gegeben. Der Angeklagte gab den Patienten vielmehr das Methadon jeweils zum eigenverantwortlichen Verbrauch für mehrere Tage mit und verschaffte ihnen so die unmittelbare Sachherrschaft an den Substanzen. Die Befugnis, betäubungsmittelabhängigen Personen Substitutionsmittel zur freien Verfügung auszuhändigen, ist jedoch ausweislich der Regelung des § 13 Abs. 2 BtMG dem Apotheker auf der Grundlage einer den Anforderungen der BtMVV genügenden ärztlichen Verschreibung vorbehalten. Eine entsprechende Regelung für eine unmittelbare Abgabe der Substitutionsmittel durch Ärzte enthält das BtMG nicht.

Die Frage, ob - was angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 13 Abs. 1 und 2 BtMG freilich zweifelhaft erscheint - eine analoge Anwendung des § 13 BtMG in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen für eine so genannte Take-Home-Verschreibung gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV gegeben sind und der Arzt lediglich anstelle des Apothekers die Substitutionsmittel an den Patienten aushändigt, bedarf - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - hier keiner Entscheidung. Denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen lag in keinem der ausgeurteilten Fälle ein Behandlungsverlauf vor, der - gemessen am allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft - eine Take-Home-Verschreibung und damit die Mitgabe der Substitutionsmittel an die Patienten gerechtfertigt hätte.

Da der Angeklagte deshalb außerhalb der Grenzen des § 13 BtMG und des § 5 BtMVV (in der zu den jeweiligen Tatzeiten gültigen Fassung) und somit ohne Erlaubnis nach § 3 BtMG die Substitutionsmittel an die Patienten abgab, unterlag er ohne Einschränkungen der Strafvorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf die Regelungen des § 29 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 14 BtMG, deren Voraussetzungen hier nicht vorliegen. Diese Vorschriften entfalten keine Sperrwirkung, wenn ein Substitutionsarzt, wie hier, zum Zweck der Substituierung mit Betäubungsmitteln verkehrt, ohne dass die Voraussetzungen des § 13 BtMG oder der BtMVV gegeben sind (BGHSt 52, 271, 273).

Da der Angeklagte die Betäubungsmittel über den Einstandspreis hinaus zu monatlichen (Behandlungs-) Pauschalen an die Patienten abgab, ist das Landgericht zu Recht von einem eigennützigen Handeln und einer Strafbarkeit wegen (gewerbsmäßigen) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ausgegangen.

2. Das Landgericht hat es im Fall II. 132 versehentlich unterlassen, eine Einzelstrafe festzusetzen. Der Senat kann dies in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO nachholen. Er setzt die Einzelfreiheitsstrafe für diese Tat aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen auf ein Jahr und acht Monate fest.

3. Die Ausführungen der Strafkammer zum Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung halten hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass das Verfahren nach Rückkunft der Akten vom Oberlandesgericht, das im Beschwerdeverfahren das Hauptverfahren eröffnet hatte, vom 1. Juni 2006 bis zum Beginn der Hauptverhandlung am 18. März 2008, mithin über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und neun Monaten aus Gründen, die der Justiz anzulasten seien, nicht angemessen gefördert worden sei. Die Strafkammer hat es bei der Feststellung des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bewenden lassen und eine weitergehende Kompensation des Konventionsverstoßes für nicht geboten erachtet.

Die Überprüfung dieser Entscheidung auf ihre Angemessenheit ist dem Senat verwehrt, da das Landgericht den Umfang der Verfahrensverzögerung in mehrfacher Hinsicht nicht rechtsfehlerfrei bestimmt hat.

a) Es hat zum einen außer Acht gelassen, dass das Oberlandesgericht bereits am 2. Februar 2006 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden hatte, die Akten aber erst vier Monate später am 1. Juni 2006 wieder beim Landgericht eingingen. Es liegt nahe, dass die verzögerte Rücksendung der Akten vom Oberlandesgericht ebenfalls auf Umstände, die im Verantwortungsbereich der Justiz liegen, zurückzuführen ist. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung zu Lasten des Angeklagten von einem zu geringen Ausmaß der Verfahrensverzögerung ausgegangen ist.

b) Zum anderen begegnet auch der von der Strafkammer zu Grunde gelegte rein rechnerische Maßstab zur Feststellung des Umfangs der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09 - hierzu Folgendes ausgeführt:

"Ein rein rechnerischer Maßstab ist zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und ihres Ausmaßes nicht geeignet. Vielmehr beurteilt sich die Angemessenheit der Frist, innerhalb derer über eine strafrechtliche Anklage gegen einen - gegebenenfalls in Untersuchungshaft einsitzenden - Angeklagten verhandelt werden muss und ein Urteil zu ergehen hat (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs., Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Zu berücksichtigen sind dabei namentlich der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes, die Art und Weise der Ermittlungen sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Keine Berücksichtigung finden hingegen Verfahrensverzögerungen, die der Beschuldigte selbst, sei es auch durch zulässiges Prozessverhalten, verursacht hat (vgl. BVerfG, Beschl. vom 10. März 2009 - 2 BvR 49/09; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 7 a m. w. N.). Nicht eingerechnet werden auch solche Zeiträume, die bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung beansprucht werden durften (vgl. BGH NStZ 2008, 478). Zu beachten ist ferner, dass eine Verzögerung während eines einzelnen Verfahrensabschnitts für sich allein keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründet, wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit abgeschlossen wurde (vgl. BGH StraFo 2008, 513 m. w. N.)."

Eine Auseinandersetzung mit all diesen Umständen lässt das angefochtene Urteil vermissen, so dass dem Senat eine Überprüfung des vom Landgericht angenommenen Umfangs der rechtsstaatswidrigen Verfahrenverzögerung verwehrt ist.

4. Sollte der neue Tatrichter auf neu festzustellender Tatsachengrundlage ebenfalls eine der Justiz zuzurechnende Verzögerung des Verfahrens für gegeben erachten, wird er mit Blick auf das gebotene Maß der Kompensation die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit entwickelten Rechtsgrundsätze zu beachten haben (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; Senatsurteil vom 18. Juni 2009 aaO Rdn. 35 f.).



Ende der Entscheidung

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