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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.02.2000
Aktenzeichen: 3 StR 565/99
Rechtsgebiete: StPO, VereinsG, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 102
StPO § 105 Abs. 1 Satz 1
StPO § 260 Abs. 3
VereinsG § 18 Satz 2
VereinsG § 20 Abs. 1 Nr. 4
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 565/99

vom

16. Februar 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Februar 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. September 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; außerdem hat es einen Geldbetrag von 1.930 DM für verfallen erklärt.

Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache, weil das Landgericht keine ihrer Begehung nach hinreichend konkretisierte Einzeltaten festgestellt und der Verurteilung möglicherweise auch bereits verjährte Taten zugrundegelegt hat.

1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte in dem Zeitraum vom 31. Dezember 1994 bis Januar 1999 im Raum M. als Funktionär für die PKK tätig, gegen die der Bundesminister des Innern am 22. November 1993 ein Betätigungsverbot gemäß § 18 Satz 2 VereinsG verhängt hat, das seit dem 26. März 1994 bestandskräftig ist. Wie dem Urteil entnommen werden kann, hat der Angeklagte in dem genannten Zeitraum den Verkauf und die Verteilung von diversem Propagandamaterial der PKK für die Städte M. , B. und S. , die dem Raum M. angehören, organisiert. Hierbei führte er Listen und rechnete die jeweiligen Erlöse mit den vorgesetzten PKK-Stellen ab. Zu dem von ihm vertriebenen Propagandamaterial gehörten u.a. die PKK-Propagandazeitschriften Serxwebun, Berxwedan, Kurdistan Report, Sterka Ciwan und Jina Serbilind sowie Schriften über PKK-Kongresse. Weiterhin war der Angeklagte mit der Einsammlung, Abrechnung und Weiterleitung von Spendengeldern für die PKK befaßt. Anläßlich einer am 26. Januar 1999 bei ihm durchgeführten Hausdurchsuchung wurden Abrechnungslisten über den Verkauf u.a. der genannten Schriften gefunden, deren Datierung im Dezember 1994 beginnt und die auch zahlreiche Daten aus den Jahren 1995 und 1997 enthalten. Bei dieser Durchsuchung wurden außerdem im Keller des Angeklagten mehrere Exemplare der Zeitschrift Serxwebun, Ausgabe Dezember 1998, Plakate mit dem Bild des PKK-Generalsekretärs Öcalan, sowie Serxwebun-Kalender 1999 und in der Wohnung des Angeklagten zwei Spendenlisten mit insgesamt 1.930 DM Bargeld vorgefunden.

Das Landgericht ist der Auffassung, daß damit eine nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG strafbare Tätigkeit des Angeklagten belegt sei, die im Dezember 1994 begonnen habe und im Januar 1999 noch fortdauerte; es vertritt die Ansicht, daß von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen sei, weil der Angeklagte mitgliedschaftlich in die Struktur der PKK eingebunden ist, so daß es nicht darauf ankomme, ob für den gesamten Tatzeitraum den Angeklagten belastendes Material vorliege oder nicht. Das ist in mehrfacher Hinsicht sachlich-rechtlich fehlerhaft.

2. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG weder ein Organisationsdelikt ist noch zu den Deliktstatbeständen gehört, bei denen die rechtliche Verbindung zu einer sog. tatbestandlichen Handlungseinheit nahe liegt. Vielmehr stellt das Vergehen nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG seiner Deliktsstruktur nach die Verwirklichung eines auf das Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG bezogenen Ungehorsamstatbestandes dar. Jede diesem Verbot widersprechende Tätigkeit wird grundsätzlich als solche selbständig vom Tatbestand erfaßt und ist eine selbständige Straftat (vgl. BGHSt 43, 312, 314 f.; BGH NStZ 1999, 411 f.; Senatsbeschluß vom 11. Februar 2000 - 3 StR 486/99, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Zwar hat der Senat ausgesprochen, daß u.U. mehrere solcher Einzeltaten zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefaßt werden können (BGHSt 43, 312, 315 f.) oder durch die Art und Weise der Tatausführung, etwa durch Übernahme und Ausübung eines auf gewisse Dauer angelegten Amtes oder einer Funktion im Interesse des mit einem Betätigungsverbot belegten Vereins, mehrere Zuwiderhandlungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG zusammengefaßt und als eine Tat gewertet werden können (Senatsbeschluß vom 11. Februar 2000 - 3 StR 486/99). Eine solche Zusammenfassung mehrerer Zuwiderhandlungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG zu einer Tat setzt jedoch grundsätzlich den Nachweis und die Feststellung konkreter einzelner Tätigkeiten des Angeklagten voraus, die auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhen und aus objektivierbaren Beweisumständen abgeleitet werden müssen. Das hat das Landgericht verkannt.

a) Die Urteilsgründe enthalten als noch hinreichend konkretisierte Einzeltaten allenfalls eine Verkaufsaktion des Angeklagten betreffend die Zeitschrift Serxwebun, Ausgabe Dezember 1998, und jeweils eine im November und Dezember 1998 durchgeführte Spendensammelaktion für die PKK. Für den gesamten Zeitraum zuvor fehlt es an jeglichen, auch nur ansatzweise konkretisierten Feststellungen zu einzelnen Tätigkeiten des Angeklagten. Der Umstand, daß er spätestens ab Dezember 1994 als Funktionär für die PKK tätig war, reicht für sich genommen für eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG nicht aus. Im übrigen ist die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit auch bei mitgliedschaftlich in die PKK eingebundenen Tätern nicht die Regel, sondern die Ausnahme; insbesondere sind die konkret festzustellenden einzelnen Betätigungen sorgfältig daraufhin zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit, nämlich ein enger zeitlicher, räumlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Handlungen, die aufgrund eines einheitlichen Willens begangen werden, überhaupt vorliegen. Das erscheint bei einem Tatzeitraum von über vier Jahren eher fernliegend.

b) Durch die großzügige Annahme einer einzigen Tat im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG kann der Angeklagte nicht nur infolge Zugrundelegens eines zu großen Schuldumfangs beschwert sein, sondern vor allem auch deshalb, weil bei der Annahme von zumindest zwei, wenn nicht sogar mehrerer Einzeltaten hinsichtlich der länger zurückliegenden Betätigungen Verjährung in Betracht kommt.

Das Vergehen des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG ist im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht und verjährt deshalb in drei Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Die vom Senat von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung der Verfahrensvoraussetzungen hat ergeben, daß die erste verjährungsunterbrechende Handlung mit der richterlichen Anordnung vom 3. Februar 1999 erfolgt ist, mit der die Beschlagnahme der bei der Durchsuchung am 26. Januar 1999 sichergestellten Beweismittel bestätigt wurde; die Durchsuchung selbst beruhte ersichtlich nicht auf einer richterlichen Durchsuchungsanordnung, sondern ist aufgrund einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung wegen Gefahr im Verzug gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 Satz 1 StPO durchgeführt worden. Dies würde aber bedeuten, daß für den Fall, daß in dem angeklagten Tatzeitraum vom Dezember 1994 bis Januar 1999 von mehreren selbständigen Taten des Angeklagten auszugehen ist, diejenigen Taten verjährt sind, die vor dem 3. Februar 1996 begangen worden sind. Das hat sowohl das Landgericht als auch die Anklage verkannt, die im übrigen, anders als das Urteil, ausreichend konkretisierte Einzelfälle umschreibt, jedenfalls soweit sie für die einzelnen Monate des Anklagezeitraums den Verkauf bzw. die Verteilung der monatlich erschienenen verschiedenen Propagandazeitschriften der PKK durch den Angeklagten sowie zwei Fälle (November und Dezember 1998) der Spendeneinsammlung für die PKK konkret benennt.

3. Der Senat hat davon abgesehen, das Verfahren hinsichtlich derjenigen vor dem 3. Februar 1996 begangenen und beendeten möglichen Einzeltaten selbst gemäß § 260 Abs. 3 StPO wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Es ist nicht auszuschließen, daß der neue Tatrichter jedenfalls insoweit zur Annahme einer Tat im Rechtssinne gelangen kann, als der Angeklagte ab Ende Dezember 1994 für die PKK in seinem Raum M. die Aufgabe übernommen und diese auch ausgeübt hat, die monatlich erscheinenden verschiedenen Propagandazeitschriften der PKK in Empfang zu nehmen, auf die anderen Städte seines Gebiets zu verteilen oder an einzelne Interessenten zu verkaufen und diese abzurechnen. Nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung vom 11. Februar 2000 - 3 StR 486/99 können alle diejenigen Zuwiderhandlungen gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Tat im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (Bewertungseinheit) zusammengefaßt werden, die ein Angeklagter in Ausübung eines Amtes oder einer Funktion begangen hat, das oder die er im Interesse der PKK und mit dem Willen übernommen hat, zur Aufrechterhaltung oder zur Unterstützung der verbotenen Tätigkeit der PKK beizutragen. Der neue Tatrichter wird jedoch zu beachten haben, daß auch solchen Bewertungseinheiten Grenzen gesetzt sind, entweder dadurch, daß der Angeklagte das Amt oder die Funktion aufgibt oder - aus welchen Gründen auch immer - für eine gewisse Zeit nicht ausübt. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn sich für einen bestimmten Zeitraum, wie möglicherweise im vorliegenden Fall für das Jahr 1996, keine Nachweise für eine ununterbrochene Betätigung im Rahmen der übernommenen Funktion finden lassen. Nimmt der Angeklagte diese Funktion später wieder auf oder übernimmt er eine andere, auf eine gewisse Dauer angelegte Aufgabe für die PKK, so beginnt damit jeweils eine neue Tat.

Ende der Entscheidung

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