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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.12.1997
Aktenzeichen: 3 StR 567/97
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 184 Abs. 5
StGB § 176 Abs. 5 Nr. 2
StGB § 184 Abs. 5, § 176 Abs. 5 Nr. 2

Verschiedene Fallgestaltungen des Sichverschaffens kinderpornographischer Lichtbilder.

BGH, Beschluß vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97 - LG Zwickau


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 567/97

vom

17. Dezember 1997

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 2 auf dessen Antrag, am 17. Dezember 1997 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 26. Juni 1997

a) aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften im Fall 6 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit wird der Angeklagte freigesprochen; diese Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt;

b) im übrigen dahin geändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen (Fälle 1 bis 4 und 7 bis 8 der Urteilsgründe) und des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften (Fall 5 der Urteilsgründe) schuldig ist;

c) mit den Feststellungen aufgehoben,

aa) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in den Fällen 9 und 10 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

bb) im übrigen im Strafausspruch.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bleibt bestehen.

Soweit das Urteil aufgehoben worden ist, wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zehn Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Verbreitung pornographischer Schriften und wegen Verbreitung pornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet.

Soweit der Angeklagte in den Fällen 1 bis 4 (Kinder Maureen, Madeleine und Marilyn in zwei Fällen) sowie 7 bis 8 der Urteilsgründe (Kind Christin) wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern schuldig gesprochen worden ist, hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Fall 5 der Urteilsgründe (Kinder Sabrina und Christin) ist der Schuldspruch dahin zu ändern, daß es sich nur um eine Tat handelt. Im übrigen ist das Urteil aufzuheben.

II. 1. Nach den Feststellungen im Fall 5 der Urteilsgründe befand sich der 71jährige Angeklagte in einem Hotelzimmer mit den siebenjährigen Mädchen Sabrina und Christin. Er photographierte die unbekleidet auf dem Bett liegende Sabrina. Danach forderte er die unbekleidete Christin auf, sich auf das Bett zu legen und die Beine zu spreizen. Er fertigte nun von ihr drei Lichtbilder, auf denen in Nahaufnahmen insbesondere die Scheide und das Gesäß des Kindes hervorgehoben wurden. Später streichelte und krabbelte er die Kinder an ihren unbedeckten Scheiden.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Verbreitung pornographischer Schriften in zwei Fällen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Senat ändert den Schuldspruch dahin, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern (in zwei tateinheitlich begangenen Fällen) in Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften (nur zum Nachteil des Kindes Christin) schuldig ist. Obwohl die gesetzliche Überschrift des - viele unterschiedliche Tathandlungen enthaltenden - § 184 StGB "Verbreitung pornographischer Schriften" lautet, hält es der Senat in einem Fall des Fertigens kinderpornographischer Photographien für angezeigt, das besondere Unrecht des § 184 Abs. 5 StGB mit den Worten "Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften" zu kennzeichnen.

Wie das Landgericht festgestellt hat, waren beide Kinder während des Tatgeschehens gleichzeitig anwesend. Zugunsten des Angeklagten ist davon auszugehen, daß er beide Kinder durch eine an sie gemeinsam gerichtete Aufforderung bestimmt hat, sich an den Scheiden "krabbeln" zu lassen. Danach handelt es sich nur um einen Fall des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, wenn auch in zwei tateinheitlichen Fällen (vgl. BGHR StGB § 176 I Konkurrenzen 1 + 2; BGH bei Miebach NStZ 1993, 224 und 225).

Das bloße Photographieren eines nackten Kindes (Sabrina) ist nicht strafbar. Das gilt auch, soweit der Angeklagte dem Kind beim Ausziehen geholfen und dieses sich auf seine Bitte hin unbekleidet auf das Bett gelegt hat. Die allein in Betracht kommende Vorschrift des § 184 Abs. 5 StGB setzt voraus, daß die Photographie "den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand" hat. Die Abbildung eines in natürlicher; normaler Pose nackt auf dem Bett liegenden Mädchens hat nicht dessen sexuellen Mißbrauch zum Gegenstand. Auch der Besitz eines solchen Lichtbilds wird von § 184 Abs. 5 StGB nicht erfaßt.

Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn der Täter ein Mädchen auffordert, seine Beine zu spreizen. Dadurch wird das Kind im Sinne von § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB dazu bestimmt, eine sexuelle Handlung vor ihm vorzunehmen. Denn das Spreizen der Beine, um die unbedeckte Scheide offen zur Schau zu stellen, beinhaltet eine - nicht unerhebliche (§ 184 c Nr. 1 StGB) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (vgl. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 5; BGHR StGB § 176 V sexuelle Handlung 1). Weil sich der Angeklagte solche Photographien, die einen sexuellen Mißbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB zum Gegenstand haben und die auch ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, durch Anfertigen verschafft hat, ist er nach § 184 Abs. 5 StGB zu bestrafen.

Der von Laufhütte zu § 184 Abs. und Abs. 5 StGB geäußerten Auffassung (LK 11. Aufl. § 184 Rdn. 15 und 49), daß die Darstellung von Handlungen nach § 176 Abs. 5 StGB den Tatbestand nicht erfülle, weil die anderen Alternativen des § 184 Abs. 3 StGB auf Handlungen an Menschen oder an Tieren abstellen, tritt der Senat nicht bei. Eine solche einschränkende Auslegung ist dem Gesetz, das ausdrücklich den "sexuellen Mißbrauch von Kindern" ohne Einengung auf bestimmte Tathandlungen nennt, nicht zu entnehmen (ebenso Tröndle StGB 48. Aufl. § 184 Rdn. 36; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 184 Rdn. 53 und 55).

Zwar tritt in den Fällen natürlicher Handlungseinheit, wenn das gesamte Handeln des Täters objektiv als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint und - wie hier zwischen dem Photographieren und dem anschließenden Betasten der unbedeckten Scheiden ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, das Vergehen gegen § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB hinter dem des § 176 Abs. 1 StGB zurück (vgl. BGH NStZ 1996, 383). Das gilt aber nicht für das Verhältnis des § 184 Abs. 5 StGB zu § 176 StGB. Schon der mit § 184 Abs. 5 StGB verfolgte Strafgrund des mittelbaren Schutzes potentieller "Darsteller" (Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 184 Rdn. 63) macht ein gegenüber § 176 StGB gesondertes Unrecht deutlich und gebietet zum Schutze der betroffenen und gefährdeten Kinder, dieses Unrecht nicht gegenüber dem Kindesmißbrauch als solchem zurücktreten zu lassen.

2. Im Fall 6 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt. Es hat festgestellt, daß er, nachdem er Bettdecke und Nachthemd beiseite geschoben hatte, von der schlafenden Christin Photographien fertigte, die in Großaufnahmen Scheide und Gesäß des auf dem Bauch mit einem angewinkelten Bein liegenden Mädchens zeigen.

Insoweit ist der Tatbestand des § 184 Abs. 5 StGB nicht erfüllt, weil auch diese Photographien nicht "den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben". Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte im Sinne von § 176 Abs. 1 StGB mit Körperkontakt sexuelle Handlungen an dem Kind vorgenommen hat. Er hat auch das Mädchen nicht "dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen vor ihm" vornimmt (§ 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB). Denn es ist schon begrifflich ausgeschlossen, ein schlafendes Kind zu etwas zu bestimmen (vgl. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 5). Zwar könnte ein Betrachter annehmen, daß das Kind dazu bestimmt worden sei, sich schlafend zu stellen und diese Pose einzunehmen. Damit ist aber die gesetzliche Voraussetzung nicht erfüllt, daß die Photographie "ein tatsächliches Geschehen" (nämlich einen Kindesmißbrauch) "wiedergeben" muß. Tatsächlich hat das Mädchen geschlafen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 184 Abs. 5 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung genügt eine - etwa durch Photomontage oder Bildschnitte hergestellte - Scheinwirklichkeit, die für den Betrachter lediglich wie ein tatsächlicher Kindesmißbrauch aussieht, nicht den tatbestandlichen Anforderungen (Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. 184 Rdn. 61; Laufhütte in LK 11. Aufl. § 184 Rdn. 49; Tröndle StGB 48. Aufl. § 184 Rdn. 41 a unter Hinweis auf die dem Gesetzeswortlaut entgegenstehenden Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren). Diese Auslegung wird durch die Ergänzung der Vorschrift um die Tatbestandsalternative "oder wirklichkeitsnahes" Geschehen durch Art. 4 des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes vom 22. Juli 1997 (BGBl I 1870) bestätigt.

Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat den Angeklagten von diesem Tatvorwurf freigesprochen.

3. Nach den Feststellungen zu Fall 9 der Urteilsgründe hat der Angeklagte der auf einem Sessel sitzenden dreizehnjährigen Nancy mit den Worten "na, meine Kleine" von hinten an ihre bedeckte Brust gegriffen. Nancy nahm seine Hand und führte sie weg. Im Fall 10 der Urteilsgründe saß die zwölfjährige Doris auf einem Sessel. Der Angeklagte griff ihr von hinten mit beiden Händen an die bedeckte Brust. Das Mädchen bewegte seinen Körper nach vorn, so daß der Angeklagte loslassen mußte. Ohne weitere Würdigung hat das Landgericht angenommen, daß es sich "um relativ harmlose, knapp über der Erheblichkeitsschwelle des § 184 c Nr. 1 StGB liegende Taten" handele.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird das Erheblichkeitsmerkmal nicht von allen sexualbezogenen Handlungen erfüllt, die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen. Vielmehr sind kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen auszuscheiden (BGH NStZ 1983, 553). Weil im angefochtenen Urteil nicht deutlich wird, welche Umstände es gewesen sind, die den Tatrichter dennoch veranlaßt haben, das Merkmal "sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit" anzunehmen, ist die Sache insoweit zu neuer Prüfung zurückzuverweisen.

4. Die Änderung des Schuldspruchs im Fall 5 der Urteilsgründe und die Aufhebung der Verurteilungen in den Fällen 6, 9 und 10 der Urteilsgründe führen zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Aber auch der Strafausspruch im übrigen hat keinen Bestand. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das vom Landgericht zugrundegelegte Gesamtgeschehen auf die Einzelstrafaussprüche Einfluß hatte. Das gilt um so mehr, als das Landgericht in den Fällen des - zum Teil ausdrücklich als kurz gewerteten - "Krabbelns" an den unbedeckten Scheiden der Kinder (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe) das mögliche Vorliegen eines minder schweren Falles nicht geprüft (vgl. BGH bei Miebach NStZ 1996, 121) und nicht bedacht hat, daß die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit schon für sich allein zur Annahme eines minder schweren Falles führen kann (BGH aaO).

Die rechtsfehlerfrei angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird von der Aufhebung des Strafausspruchs nicht berührt.



Ende der Entscheidung

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