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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.02.1999
Aktenzeichen: 3 StR 618/98
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 22
StGB § 23
StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2
StGB § 64 Abs. 2
StGB § 212 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 618/98

vom

10. Februar 1999

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Februar 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Kutzer,

Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan,

die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, Pfister als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,

Richter am Amtsgericht bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. Juni 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß ein Jahr und sechs Monate der erkannten Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin rügen die Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung hätte der Angeklagte wegen versuchten Totschlags verurteilt werden müssen; zu Unrecht habe das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt angenommen. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

I.

1. Nach den Feststellungen stieß der Angeklagte im Verlauf eines Streites der Nebenklägerin - seiner zweiten Frau - ein Schweizer Offiziersmesser (Klingenlänge sieben Zentimeter) aus Wut 15 cm tief in den Bauch. Die Geschädigte sprang schreiend auf und lief auf die Wohnungstüre zu. Der Angeklagte folgte ihr, hielt sie von hinten an der Kleidung fest und versetzte ihr wütend zwei 10 und 13 Zentimeter tiefe, von unten nach oben geführte wuchtige Stiche in die linke Rückenhälfte unterhalb des Schulterblatts, sowie zwei von oben nach unten links am Hals vorbeigeführte Stiche in den Bereich des linken Schlüsselbeins, wobei einer der Stiche weniger als einen Zentimeter neben der Halsschlagader den Hals verletzte. Der Angeklagte nahm dabei den Tod der Geschädigten zumindest billigend in Kauf. Nach diesen Stichen lief die Nebenklägerin um Hilfe rufend auf den Hausflur. Zu Gunsten des Angeklagten ist das Landgericht davon ausgegangen, daß seine Frau sich nicht losgerissen hat, sondern er sie freiwillig los ließ. Offen ließ die Kammer, warum der Angeklagte die Geschädigte losgelassen hat. Es könne sein, daß er dachte, alles Erforderliche getan zu haben, um den tödlichen Erfolg herbeizuführen. Denkbar sei aber auch, daß er davon ausging, die zugefügten Verletzungen reichten noch nicht aus, die Geschädigte zu töten. Möglich sei auch, daß er aus Angst vor Entdeckung von der Geschädigten abließ. Ebenso möglich sei schließlich, daß er von ihr abließ, um aus Reue ernsthafte Rettungsbemühungen einleiten zu können.

Durch die Hilferufe wurden in Nachbarwohnungen die Zeugen T. und B. aufmerksam. Die Zeugin B. holte die Geschädigte in ihre Wohnung. Der Angeklagte bat den Zeugen T., in seine Wohnung zu kommen. Dieser weigerte sich, woraufhin der Angeklagte die Polizei mit den Worten verständigte, er habe seine Frau "abgestochen". Die Strafkammer vermochte in diesem Zusammenhang nicht auszuschließen, daß das Handeln des Angeklagten von dem Gedanken getragen war, den ihm als möglich erscheinenden Todeseintritt abzuwenden. Es sei zwar möglich, daß diese Rettungsbemühungen nicht von dem ernsthaften Bestreben um eine Erfolgsabwendung bestimmt, sondern nur zur Erlangung von Strafmilderungsgründen vorgeschoben seien. Das lasse sich aber nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen. Wenig später traf die Polizei ein. Ohne sofortige Notoperation hätten die Folgen der Stiche zum Tod der Nebenklägerin geführt.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Weiter heißt es (UA S. 38):

"Von dem ebenfalls verwirklichten Tatbestand des versuchten Totschlags (§§ 212 I, 22, 23 StGB) ist er hingegen strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 I StGB), indem er die weitere Tatausführung nicht ausschließbar freiwillig aufgegeben (§ 24 I S. 1 StGB) und sich zudem durch die Verständigung der Polizei nicht ausschließbar ernsthaft um die Verhinderung der Vollendung bemüht hat (§ 24 I S. 2 StGB)."

II.

Das Landgericht hat mit rechtsfehlerhafter Begründung einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Totschlag bejaht. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, ob es von einem beendeten oder einem unbeendeten Versuch ausgeht. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen weder die Annahme eines Rücktritts vom unbeendeten noch die eines Rücktritts vom beendeten Versuch.

1. Die vom Landgericht auch für möglich gehaltene Variante, der Angeklagte habe darauf vertraut, die Nebenklägerin werde die Messerstiche überleben, findet in den getroffenen Feststellungen keine Stütze. Vielmehr sprechen - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt - die Wucht der Stiche, die Schwere der Verletzungen, die Äußerungen nach der Tat, er habe seine Frau "abgestochen" sowie seine Einlassung in der Hauptverhandlung, er habe die Polizei verständigt, "um die Rettung der Geschädigten einzuleiten" (UA S. 29), für das Gegenteil. Erkennt der Täter die tatsächlichen Umstände, die die Möglichkeit des Eintritts des Todes nach der Lebenserfahrung nahelegen, so liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein beendeter Versuch vor (vgl. BGHSt 39, 221, 231 m.w.Nachw.). Dabei braucht der Täter weder die Gewißheit des Erfolgseintritts zu haben noch muß er den Tod jetzt noch wollen oder billigen. Der Bundesgerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen hierzu ausgeführt, daß bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen, deren Wirkungen der Täter wahrgenommen habe, auf der Hand liege, daß er die lebensgefährdende Wirkung und die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt. An die für die Annahme eines unbeendeten Versuchs erforderliche Voraussetzung, daß der Täter den Erfolgseintritt (noch) nicht für möglich hält, sind in solchen Fällen nach dieser Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen. Ein beendeter Versuch ist auch anzunehmen, wenn sich der Täter nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellung über die Folgen seines Tuns macht (vgl. BGHSt 40, 304 ff.).

Das Landgericht hat zwar bedacht, daß der Angeklagte seine erste Frau mit mehreren Messerstichen umgebracht hatte, so daß bei ihm die Kenntnis um die Gefährlichkeit solcher Verletzungen vorauszusetzen sei. Es hätte aber auch die oben genannten Umstände in seine Wertung erkennbar einbeziehen müssen. Nicht gegen einen beendeten Tötungsversuch braucht zu sprechen, daß das Opfer nach den Stichen nicht sofort zu Boden stürzte und auch sonst keine besondere Reaktion zeigte (vgl. BGHR StGB § 24 I 1 Versuch, beendeter 8) und noch - vom Täter wahrgenommen - in der Lage war, sich vom Tatort wegzubewegen (vgl. BGHR StGB § 24 I 1 Versuch, unbeendeter 31).

2. Die Strafkammer hat weder das Vorliegen von Freiwilligkeit (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) noch des ernsthaften Bemühens, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), rechtsfehlerfrei bejaht.

Zwar ist es grundsätzlich zulässig, auch insoweit zugunsten des Angeklagten auf den Zweifelssatz zurückzugreifen. Das würde aber zunächst eine Gesamtwürdigung der Beweistatsachen voraussetzen, die im Ergebnis eine eindeutige Feststellung nicht ermöglicht. An einer bezüglich beider Voraussetzungen vollständigen Gesamtwürdigung fehlt es; zudem besorgt der Senat, daß - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - die Strafkammer die Anforderungen überspannt hat, die an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellen sind (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5).

a) Zwar sind Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts grundsätzlich zu Gunsten des Täters zu lösen (vgl. Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl. § 24 Rdn. 55). Dafür müssen aber zumindest Anhaltspunkte vorliegen. Solche teilt das angefochtene Urteil nicht mit. Daß der Angeklagte freiwillig - etwa aus Reue (so UA S. 36) - von der Nebenklägerin abgelassen habe, hat er selbst nicht behauptet. Aus dem Umstand, daß die Nebenklägerin nicht mehr wußte, ob sie sich losreißen mußte oder ob der Angeklagte seinen Griff gelöst hatte, folgt dies noch nicht. Nicht erkennbar erwogen hat das Landgericht ferner, daß die Tat bereits entdeckt war, als der Angeklagte die Polizei anrief. Die Entdeckung steht einem Rücktritt zwar nicht zwangsläufig entgegen, bildet jedoch einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Unfreiwilligkeit (vgl. Lackner, StGB, 22. Aufl. § 24 Rdn. 21 m.w.Nachw.).

b) Die Urteilsgründe belegen auch nicht, daß der Angeklagte bewußt und gewollt eine auf die Erfolgsverhinderung gerichtete Tätigkeit entfaltet und so die in Gang gesetzte Ursachenkette abgebrochen, oder durch Hilfspersonen hat abbrechen lassen. Dabei genügt eine Handlung nicht, die zwar vom Täter veranlaßt, aber nicht von seinem Rettungswillen getragen ist (Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl. § 24 Rdn. 59 m.w.Nachw.). Schließlich mußte der Angeklagte davon ausgehen, daß die Zeugin B., zu der sich die schwer verletzte Nebenklägerin geflüchtet hatte, alsbald ärztliche Hilfe herbeirufen werde. Deshalb versteht es sich nicht von selbst, daß der Angeklagte in der Vorstellung handelte, er könne noch einen nennenswerten Beitrag zur Rettung leisten, als er sich nach der Auseinandersetzung mit dem Zeugen T. dazu entschloß, die Polizei zu verständigen. Auch damit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.

3. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung noch auf folgendes hin: Sollte der neue Tatrichter neben der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung auch zu einer solchen wegen versuchten Totschlags kommen, so wird er zu beachten haben, daß nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24. September 1998 - 4 StR 272/98 = NStZ 1999, 30; zum Abdruck in BGHSt vorgesehen) eine mit einem versuchten Tötungsdelikt zusammentreffende vorsätzliche Körperverletzung nicht mehr zurücktritt, sondern zu diesem im Verhältnis der Tateinheit steht.

Sollte der neue Tatrichter wiederum eine Unterbringung anordnen, wird er sich eingehender als geschehen mit den Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 StGB auseinandersetzen müssen (vgl. BVerfGE 91, 1 = NStZ 1994, 578 ff.). Nicht bedenkenfrei sind auch die Ausführungen zum Vorwegvollzug der erkannten Freiheitsstrafe vor der Maßregel (vgl. BGHR StGB § 67 II Vorwegvollzug, teilweiser 12 m.w.Nachw.).



Ende der Entscheidung

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