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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.06.1999
Aktenzeichen: 3 StR 78/99
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 253
StGB § 255
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 250 Abs. 2
StGB § 239a
StGB § 239b
StGB § 177
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 78/99

vom

9. Juni 1999

in der Strafsache

gegen

wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juni 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, Pfister als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Juli 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit ihrer Revison erstrebt die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge eine Verurteilung auch wegen erpresserischen Menschenraubs und eine höhere Strafe. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 22. April 1996 zu der Stadtsparkasse N. in N. -U. , um diese zu überfallen. Er wollte eine beträchtliche Beute erlangen, um sein weiteres Leben auf der Insel Ile verbringen zu können. Zuvor hatte er sein Aussehen verändert, eine Schreckschußpistole erworben und eine Bombenattrappe gebastelt. Der Angeklagte gelangte in das Büro des Filialleiters, des Zeugen S. . Dort richtete er die ungeladene Schreckschußpistole auf den Zeugen und legte die Bombenattrappe auf den Tisch. Er wies darauf hin, es handele sich um eine Zeitbombe, die in drei Minuten explodieren werde. Der Zeuge S. , der die Schreckschußpistole für eine scharfe Waffe und die Bombenattrappe für echt hielt, bat telefonisch die Kassiererin Sch. in sein Büro. Auch diese glaubte, auf dem Tisch liege eine gefährliche Bombe. Sie fühlte sich dadurch ebenso bedroht wie der Zeuge S. . Dieser forderte die Zeugin Sch. auf, das Geld aus der Kasse zu holen. Die Zeugin entfernte sich aus dem Büro, begab sich in den Kassenbereich und legte nach ihrer Rückkehr etwa 50.000,-- DM auf den Tisch. Der Angeklagte verlangte nunmehr, ihm ebenfalls das Geld aus dem Tresor auszuhändigen. Die Zeugin, die weiter unter der Anspannung stand, daß die von ihr für echt gehaltene Bombenattrappe nach drei Minuten explodieren werde, lieferte dem Angeklagten daraufhin befehlsgemäß weitere etwa 250.000,-- DM aus dem Tresor aus. Sodann verließ der Angeklagte mit der Beute in Höhe von insgesamt 307.000,-- DM und dem Zeugen S. die Sparkasse. Er gab den Zeugen bald darauf frei. Der Angeklagte begab sich auf die Ile und erwarb von einem Teil des erbeuteten Geldes ein Segelboot.

Die Strafkammer hat dies als schwere räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. gewertet und einen minder schweren Fall gemäß § 250 Abs. 2 StGB a.F. angenommen. Die tateinheitliche Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239a StGB hat das Tatgericht im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, das Schwergewicht der Handlung des Angeklagten habe auf der Bedrohung und nicht auf dem Tatbestandsmerkmal "sich bemächtigen" gelegen. Der Bemächtigungssituation sei ebenfalls bezüglich der Zeugin Sch. , die sich auch selbst bedroht gefühlt habe, keine eigenständige Bedeutung zugekommen.

Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Staatsanwaltschaft rügt zu Recht, daß der Angeklagte nicht auch wegen tateinheitlich begangenen erpresserischen Menschenraubs verurteilt worden ist. Die Voraussetzungen des § 239a StGB sind erfüllt. Der Angeklagte hat sich des Zeugen S. bemächtigt, um die Sorge der Zeugin Sch. um dessen Wohl zu einer Erpressung auszunutzen.

Ein Sichbemächtigen im Sinne des § 239a StGB liegt vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muß (vgl. BGHR StGB § 239a Sichbemächtigen 5; BGH, Beschlüsse vom 10. März 1999 - 2 StR 613/98 und 2 StR 614/98; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 239a Rdn. 7). Hierzu reicht es aus, daß der Angeklagte den Zeugen S. durch die Bedrohung mit der vorgehaltenen Pistole und das Deponieren der Bombenattrappe auf dem Schreibtisch verbunden mit der Ankündigung, diese werde in drei Minuten explodieren, am Verlassen des Büros gehindert und zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt hat. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, daß sich das Opfer aufgrund der Ungefährlichkeit der benutzten Tatwerkzeuge objektiv nicht in Gefahr befand. Bestimmte Mittel der Bemächtigung sind gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es genügt z. B. die Bedrohung mit einer ungeladenen Schußwaffe, einer Schreckschußpistole oder einer Pistolenattrappe, wenn der Täter dadurch die Verfügungsgewalt über den Körper eines anderen begründet (vgl. Schäfer in LK 10. Aufl. § 239a Rdn. 8). Entsprechendes gilt beim Einsatz einer Bombenattrappe.

Das Landgericht hat im Ansatz zutreffend erkannt, daß § 239a StGB eine eigenständige Bedeutung der Bemächtigungssituation und eine gewisse Stabilisierung der Lage, die ausgenutzt werden soll, voraussetzt. Diese Kriterien dienen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 40, 350 ff.) dazu, vor allem bei Zweipersonenverhältnissen den Anwendungsbereich der §§ 239a, 239b StGB von demjenigen klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie den §§ 177, 253, 255 StGB abzugrenzen (zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. auch Heinrich, NStZ 1997, 365, 366 f. und Müller-Dietz, Jus 1996, 110 ff.). Bemächtigt sich der Täter seines Opfers, ohne es zu entführen, so wird allein durch das Sichbemächtigen häufig nicht schon eine Lage entstehen, die eine gewisse Stabilität aufweist und somit geeignet erscheint, zu einer weiteren Nötigung bzw. Erpressung ausgenutzt zu werden. Das gilt besonders in Fällen, in denen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Sichbemächtigen qualifizierte Drohungen in weitergehender Nötigungsabsicht eingesetzt werden. Dient etwa die Drohung wie das Vorhalten einer Schußwaffe zugleich dazu, sich des Opfers zu bemächtigen und es in unmittelbarem Zusammenhang damit zu weitergehenden Handlungen oder Duldungen zu nötigen, wird die abgenötigte Handlung in der Regel ausschließlich durch die Bedrohung mit der Waffe durchgesetzt, ohne daß der Bemächtigungssituation eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BGHSt 40, 350, 359; BGHR StGB § 239a Sichbemächtigen 4). Eine Bestrafung nach den §§ 239a, 239b StGB scheidet dann aus. Erforderlich ist deshalb ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem ersten, objektiv verwirklichten Teilakt des Entführens oder Sichbemächtigens und dem zweiten, in die Vorstellung des Täters verlagerten Teilakt der angestrebten weitergehenden Nötigung bzw. Erpressung. Der Täter muß beabsichtigen, die durch die Entführung oder das Sichbemächtigen für das Opfer geschaffene Lage zu einer weiteren Nötigung bzw. Erpressung auszunutzen (vgl. BGHSt 40, 350, 355; BGHR StGB § 239a Sichbemächtigen 5).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt bei Anwendung dieser Kriterien der Bemächtigungssituation hier die erforderliche eigenständige Bedeutung zu. Es liegt bereits kein Zweipersonen-, sondern ein Dreipersonenverhältnis vor, bei dem der Dritte, die Zeugin Sch. , nach der Vorstellung des Täters aus Sorge um das Wohl des unmittelbaren Tatopfers, des Zeugen S. , eine vermögensschädigende Handlung ausführen sollte und dies auch tat. Die notwendige stabile (Zwischen-) Lage als Basis für weitere Nötigungen war dadurch entstanden, daß der Angeklagte im Büro des Zeugen S. über einen längeren Zeitraum ungestört die tatsächliche Gewalt über diesen ausübte. Die Zeugin Sch. mag sich zwar während ihres Aufenthalts im Büro des Zeugen S. auch selbst bedroht gefühlt haben. Sie hat diesen Raum jedoch zweimal verlassen, um anweisungsgemäß aus der Kasse bzw. dem Tresor Geld zu holen. Dabei war sie dem unmittelbaren Einfluß des Angeklagten entzogen. Sie hätte auch die Möglichkeit gehabt zu fliehen, zumal nach den Angaben des Angeklagten die Bombe erst nach drei Minuten explodieren sollte und ihr deshalb genügend Zeit zur Verfügung stand. Die Erfüllung der Forderungen des Angeklagten und die Rückkehr in das Büro des Zeugen S. läßt sich daher nach den getroffenen Feststellungen den Vorstellungen des Angeklagten entsprechend plausibel nur damit erklären, daß die Zeugin Sch. aus Sorge um das Wohl des in der Gewalt des Angeklagten befindlichen Zeugen S. handelte.

Ende der Entscheidung

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