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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 4 StR 17/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 213
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 17/06

vom 16. Mai 2006

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Mai 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. September 2005 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur Person des Angeklagten und zu der Vorgeschichte der Tat (I. und II. 1. der Urteilsgründe) aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Wesentlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags hat keinen Bestand, weil die für die Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen maßgebliche Beweiswürdigung in einem entscheidenden Punkt rechtsfehlerhaft ist.

a) Der Angeklagte hat nicht in Abrede gestellt, die Tat begangen zu haben. Er hat sich jedoch dahin eingelassen, C. habe im Verlauf der Auseinandersetzung schließlich geäußert: "Jetzt wirst Du dafür bezahlen, was Du mir angetan hast, ich habe nichts mehr zu verlieren." Dann habe C. sich gebückt und hinter dem Schreibtisch aus einer Tasche ein Messer hervorgeholt und sei damit auf ihn zugestürmt. Er habe den Arm, mit dem C. das Messer geführt habe, von sich weggedreht, C. das Messer entwunden und "dann sofort" mit dem Messer in Richtung Oberkörper zugestochen.

Diese Einlassung ist nach der Überzeugung des Landgerichts durch die Beweisaufnahme widerlegt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:

Dass der Angeklagte die Tatwaffe bei sich geführt habe, folge daraus, dass sie sich in keiner der vom Tatopfer mitgebrachten Taschen oder sonst in dem Büro befunden habe. Dies stehe fest auf Grund der Aussagen der Ehefrau des Tatopfers, die ihrem Ehemann das Frühstück in eine der beiden schwarzen Taschen, die dieser anschließend mit zur Arbeit genommen habe, eingepackt habe. Sie habe ihrem Ehemann kein Messer mitgegeben und bei diesem "nie" ein Messer gesehen. Nach Auffassung des Landgerichts ist zudem kein Grund dafür ersichtlich, weshalb C. am Morgen des Tattages ein ca. 25 cm langes Messer zur Arbeit hätte mitnehmen sollen. Das für die Einnahme des bereits zubereiteten Frühstücks erforderliche Besteck sei in dem Bürocontainer vorhanden gewesen. Einen irgendwie gearteten Angriff des Angeklagten habe er nicht befürchtet, weil er mit einem Besuch des Angeklagten nicht gerechnet habe. Für C. habe zudem auch kein plausibler Grund bestanden, den Angeklagten anzugreifen. Das Streitgespräch mit dem Angeklagten habe hierfür keinen Anlass geboten. Die von C. bei früheren Auseinandersetzungen ausgesprochenen Drohungen seien zudem jeweils für den Fall einer Abschiebung ausgesprochen worden. C. habe aber am Tattage die begründete Hoffnung haben dürfen, in Deutschland bleiben zu können. Gegen den vom Angeklagten behaupteten Angriff spreche schließlich, dass C. , hätte er dem Angeklagten nach dem Leben trachten wollen, nicht über Monate auf ein ungewisses Zusammentreffen mit dem Angeklagten in B. gewartet hätte, sondern zu dem Angeklagten nach H. gefahren wäre.

b) Diese Beweiswürdigung ist lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht Umstände, die gegen die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte die Tatwaffe mitgebracht habe, sprechen können, unbeachtet gelassen hat:

Dazu gehört zunächst der Umstand, dass die Ehefrau des Tatopfers die zweite schwarze Tasche nicht geöffnet und damit keine Kenntnis von dem Inhalt dieser Tasche hatte. Die Annahme des Landgerichts, die Tatwaffe habe sich in keiner der vom Tatopfer mitgebrachten Taschen befunden, wird mithin in erster Linie von der Erwägung gestützt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei kein Grund dafür ersichtlich, dass C. die Tatwaffe in das Büro mitgebracht habe. Daraus folgt jedoch nicht ohne weiteres, dass der Angeklagte die Tatwaffe mitgebracht haben muss, zumal das Landgericht in diesem Zusammenhang außer acht gelassen hat, dass es auf der Grundlage der nicht zu widerlegenden Einlassung des Angeklagten, er habe seinen Bruder S. aufsuchen wollen, um ein Familientreffen, bei dem eine Versöhnung erfolgen sollte, zu arrangieren, von einer Spontantat ausgegangen ist (UA 21/22). Dazu, was den Angeklagten gleichwohl veranlasst haben könnte, zu dem Treffen mit seinem Bruder ein Messer mit einer Klingenlänge von 25 cm mitzubringen, verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

Auf diesen das Tatgeschehen im engeren Sinne betreffenden Beweiswürdigungsmängeln kann das Urteil beruhen, weil nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht bei einer umfassenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses auch die Einlassung des Angeklagten, C. habe das Messer aus einer Tasche hervorgeholt und sei damit auf ihn zugestürmt, als nicht widerlegbar angesehen hätte. Damit wäre Notwehr zu erörtern gewesen, auch wenn ein die Tat insgesamt rechtfertigender Grund angesichts der Vielzahl der Stiche eher fern liegt.

Die Beweiswürdigungsmängel haben sich jedenfalls bei der Bemessung der Strafe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt, weil bei einem zugunsten des Angeklagten anzunehmenden Angriff des Tatopfers der Schuldumfang wesentlich geringer wäre und zudem ein minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne der ersten Variante des § 213 StGB vorliegen könnte.

Unabhängig davon begegnet die Verneinung eines minder schweren Falles des Totschlags im Sinne des § 213 StGB, die der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. Februar 2006 beanstandet hat, schon auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dies gilt insbesondere für die Annahme des Landgerichts, die wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände ergebe, dass der Angeklagte die schweren Beleidigungen durch das Tatopfer verschuldet habe.

2. Da die Beweiswürdigung im Übrigen rechtlicher Nachprüfung standhält, können die zur Person des Angeklagten und zur Vorgeschichte der Tat (I. und II. 1. der Urteilsgründe) aufrechterhalten bleiben.

Ende der Entscheidung

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