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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.06.1999
Aktenzeichen: 4 StR 227/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB, GVG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 348 Abs. 2
StPO § 347 Abs. 2
StPO § 348
StPO § 355
StGB § 174
StGB § 176
GVG § 24 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 227/99

vom

17. Juni 1999

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. Juni 1999 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 16. Juli 1998, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts - als Berufungsgericht - zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - hat den Angeklagten als Jugendschutzgericht mit Urteil vom 27.Oktober 1997 vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen in drei Fällen freigesprochen. Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin hat das Landgericht - Jugendkammer - das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen "sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat sich das Saarländische Oberlandesgericht mit Beschluß vom 30. März 1999 zur Verhandlung und Entscheidung über die Revision als nicht zuständig erklärt und als zuständiges Revisionsgericht den Bundesgerichtshof bezeichnet.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufen, da der Beschluß des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. März 1999 gemäß § 348 Abs. 2 StPO das als zuständig bezeichnete Revisionsgericht bindet (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Auflage § 348 Rdn. 3 m.w.N.). Ob dies auch in Fällen sog. "objektiver Willkür" gilt, bedarf hier keiner Entscheidung, da der Beschluß zwar sachlich (grob) unrichtig ist, hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen von Willkür jedoch nicht erkennbar sind.

2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

a) Das Urteil kann im Umfang der Verurteilung des Angeklagten keinen Bestand haben, weil es - wie die Revision zu Recht rügt - keine in sich geschlossene Darstellung eines in der Hauptverhandlung festgestellten Tatgeschehens zu den einzelnen, dem Angeklagten angelasteten Fällen enthält (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 2 und 3 jeweils m.w.N.). Eine geschlossene Darstellung des Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Prüfung erforderlich. Sie muß erkennen lassen, durch welche bestimmten Tatsachen die einzelnen gesetzlichen Merkmale des äußeren und inneren Tatbestandes erfüllt werden. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGH a.a.O.). So verhält es sich hier: Der Sachverhalt, den das Landgericht wiedergibt, erschöpft sich im wesentlichen in einer weitschweifigen Wiedergabe von Randgeschehnissen und in einer Schilderung von Beweisanzeichen. Hinreichend konkrete Feststellungen zum äußeren und inneren Tatbestand der §§ 174,176 StGB können auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden. Die getroffenen Feststellungen lassen schon nicht erkennen, welche konkreten strafrechtlich relevanten Handlungen dem Angeklagten angelastet werden. Die bloße Tatsache, daß bei dem zur Tatzeit drei bzw. vier Jahre alten Tatopfer bei ärztlichen Untersuchungen Verletzungen im Genital- und Analbereich festgestellt wurden, die nach Überzeugung des Landgerichts vom Angeklagten verursacht worden sind (UA 9,12), genügt hierfür nicht; sie trägt für sich gesehen nicht einmal die Annahme einer sexuellen Handlung.

b) Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Der Senat verweist die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts als Berufungsgericht zurück, weil der die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs begründende Beschluß (§ 348 Abs. 2 StPO) des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. März 1999 fehlerhaft ist und das Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Revision des Angeklagten zuständig war.

aa) Das Oberlandesgericht hat seine Unzuständigkeit damit begründet, daß das Berufungsgericht "erkennbar" als Gericht erster Instanz entschieden habe. Auf die Bedenken, die gegen die Möglichkeit der Überleitung eines Berufungs- in ein erstinstanzliches Verfahren erhoben werden (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 328 Rdn. 11), braucht hier nicht eingegangen werden. Denn für die Auffassung des Oberlandesgerichts fehlt es vorliegend an einer tragfähigen Grundlage: Weder dem vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft angeregten gerichtlichen Hinweis, "daß von ihm möglicherweise eine höhere Freiheitsstrafe als eine solche von 4 Jahren, wie in erster Instanz beantragt, beantragt werden könnte" (Hervorhebungen durch den Senat), noch dem Umstand, daß der Vorsitzende statt des (freisprechenden) erstinstanzlichen Urteils den Anklagesatz verlesen hat, kann entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts insoweit eine maßgebliche Indizwirkung zukommen. Vielmehr machen sowohl die Tenorierung des landgerichtlichen Urteils (Aufhebung des Ersturteils "auf die Berufungen ...") als auch die Urteilsgründe selbst, in denen wiederholt von "der Berufungsverhandlung" (UA 22, 25) bzw. von der "II. Instanz" (UA 26) die Rede ist, deutlich, daß das Landgericht als Berufungsgericht entschieden hat, zumal es - anders als in der Senatsentscheidung BGHR StPO § 328 Abs. 1 Überleitung 2 - die für das Berufungsgericht geltende Rechtsfolgenkompetenz des § 24 Abs. 2 GVG eingehalten hat. Demzufolge hat auch die Staatsanwaltschaft die Akten gemäß § 347 Abs. 2 StPO dem Oberlandesgericht als dem zuständigen Revisionsgericht vorgelegt.

bb) Zwar ist der Senat in diesem Revisionsverfahren nach § 348 Abs. 2 StPO an den rechtsfehlerhaften Beschluß des Oberlandesgerichts gebunden. Hieraus folgt jedoch nicht, daß eine nach § 348 StPO begründete Zuständigkeit, wenn sie sachlich nicht gerechtfertigt ist, auch für das Verfahren nach der Entscheidung des Revisionsgerichts Bindungswirkung entfaltet und bei Aufhebung und Zurückverweisung den weiteren Instanzenzug bestimmt. Zweck der Regelung des § 348 Abs. 2 StPO ist es nämlich, Kompetenzstreitigkeiten im Revisionsverfahren durch Rück- oder Weiterverweisungen zu vermeiden (vgl. hierzu Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 348 Rdn. 1), nicht aber einen einmal begangenen Rechtsfehler fortwirken zu lassen. Daher ist die Sache entsprechend § 355 StPO an den Spruchkörper zurückzuverweisen, dessen Zuständigkeit bei Entscheidung durch das tatsächlich zuständige Revisionsgericht begründet gewesen wäre, hier somit an eine Jugendkammer des Landgerichts als Berufungsgericht.

Ende der Entscheidung

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