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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.07.2003
Aktenzeichen: 4 StR 230/03
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 230/03

vom 24. Juli 2003

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Juli 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 9. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und (mit) Mord zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Mordes verurteilt hat, leidet die hierfür maßgebliche Beweiswürdigung in einem entscheidenden Punkt an einem durchgreifenden Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Urteils führt.

Nach den Feststellungen vollzog der Angeklagte im Wohnzimmer seiner Wohnung mit der 14jährigen, stark angetrunkenen Romy H. (BAK 2,07 Promille) nach einer ca. zehnminütigen körperlichen Auseinandersetzung gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr. Jedenfalls eine oder mehrere der festgestellten Verletzungen (Bruch des Unterkiefers durch einen Faustschlag, eine 14,2 cm lange, mittels eines Butterflymessers zugefügte Schnittverletzung im Halsbereich und Würgemale am Hals) hatte der Angeklagte dem Mädchen zur Überwindung ihres Widerstands im Laufe dieser (ersten) tätlichen Auseinandersetzung beigebracht. Nach Durchführung des gewaltsam erzwungenen Geschlechtsverkehrs entschloß sich der Angeklagte, Romy H. zu töten, da er befürchtete, das Mädchen werde wegen des Vorgefallenen Strafanzeige gegen ihn erstatten. Romy H. und der Angeklagte gelangten auf den Balkon der Wohnung, wo zwischen beiden erneut eine tätliche, ca. zehn Minuten dauernde Auseinandersetzung stattfand. In deren Verlauf stießen "der Angeklagte und/oder Romy H. " mehrfach gegen die ca. 1,05 m hohe Balkonbrüstung. Dem Angeklagten gelang es, das Mädchen zu überwältigen, es über die Balkonbrüstung zu heben und aus der 6. Etage, aus ca. 18 m Höhe, in die Tiefe zu stürzen. Daß Romy H. hierdurch zu Tode kommen würde, wußte und wollte der Angeklagte. Das Mädchen verstarb an den durch den Aufprall erlittenen Verletzungen.

Die Feststellung, der Angeklagte habe Romy H. über die Balkonbrüstung gehoben und sie bewußt und gewollt zu Tode gestürzt, beruht auf einer lückenhaften und deshalb rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.

Die Strafkammer hat bei ihrer Annahme, Romy H. sei vom Angeklagten über die Balkonbrüstung gehoben worden, die - wenngleich nicht besonders naheliegende, jedoch nicht auszuschließende - Möglichkeit, daß es sich bei dem Sturz des Mädchens vom Balkon um einen Unfall im Rahmen des Kampfes mit dem Angeklagten gehandelt haben könnte, unerörtert und möglicherweise unberücksichtigt gelassen.

Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist jedenfalls zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, daß er Romy H. auf dem Balkon mehrfach gegen die Balkonbrüstung stieß. Blutantragungen des Mädchens wurden sowohl an einem Brett der Balkonbrüstung als auch an der Balkongeländeraußenkante sichergestellt. Nachbarn haben geschildert, der vom Balkon des Angeklagten ausgehende Lärm habe sich so angehört, "als wenn Möbel auf den Balkon und gegen die Balkonbrüstung geworfen würden". Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß der Angeklagte das 14jährige Mädchen zwar mit großer Heftigkeit, jedoch möglicherweise ohne Tötungsvorsatz, so gegen das Balkongeländer stieß, daß Romy H. mitbedingt durch ihre starke Alkoholisierung ohne weiteres Zutun des Angeklagten über das Balkongeländer in die Tiefe stürzte. Weder die vom Landgericht festgestellte Körpergröße von Romy H. noch deren Hilfeschreie sprechen gegen die Möglichkeit eines solchen Geschehensablaufs. Die Hilfeschreie können nach den bisherigen Feststellungen nämlich auch auf die Zufügung der oben beschriebenen Verletzungen zurückzuführen sein, die der Angeklagte dem Mädchen jedenfalls nicht ausschließbar teilweise erst im Verlauf der Auseinandersetzung auf dem Balkon beibrachte.

Der neue Tatrichter wird deshalb hinsichtlich des Vorwurfs der Begehung eines Tötungsdelikts unter Hinzuziehung eines Sachverständigen die Möglichkeit eines Unfallgeschehens zu erörtern haben.Obwohl der Rechtsfehler nur die Verurteilung wegen Mordes betrifft und die Feststellungen zur Vergewaltigung rechtsfehlerfrei getroffen wurden, unterliegt das Urteil insgesamt - auch wegen der tateinheitlich zum Mord begangenen Straftaten - der Aufhebung (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 12 m.w.N.).



Ende der Entscheidung

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