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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.09.1998
Aktenzeichen: 4 StR 263/98
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2 u. 4
StGB § 78c Abs. 1 Nr. 1
StGB § 174
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 4
StGB § 176 bis 179
StGB § 78b Abs. 1 Nr. 1
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 3
StGB § 177 Abs. 1
StGB § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
StGB § 2 Abs. 3
StGB § 177 Abs. 3 Satz 1
StGB § 177 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 263/98

vom

22. September 1998

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. September 1998 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 3. Dezember 1997

1. aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen 8, 9, 13, 15, 16 und 19 der Anklage jeweils wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen verurteilt worden ist; insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt;

2. im Schuldspruch dahin geändert und neu gefaßt, daß der Angeklagte der Vergewaltigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen, der versuchten Vergewaltigung, des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen und der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist;

3. im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in acht Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung; Vergewaltigung, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung; Vergewaltigung, wegen sexueller Nötigung; Vergewaltigung und wegen versuchter sexueller Nötigung; Vergewaltigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in den Fällen 8, 9, 13, 15, 16 und 19 der Anklage hat keinen Bestand:

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift zutreffend darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der Taten in den Fällen 8, 9, 13, 15 und 16 möglicherweise Verjährung eingetreten ist, da sie jeweils "an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag" in der Zeit von Anfang 1991 bis 1992 oder 1993 begangen worden sind, so daß nicht auszuschließen ist, daß der Angeklagte diese Taten bereits Anfang 1991 begangen hat. Dies gilt aber auch für den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen im Fall 19 der Anklage.

Die erste als Unterbrechungshandlung nach § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht kommende Beschuldigtenvernehmung fand am 16. März 1996 statt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die für Vergehen nach § 174 StGB fünf Jahre betragende Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) hinsichtlich der vor dem 17. März 1991 begangenen Taten bereits abgelaufen. Hiervon ist zu Gunsten des Angeklagten hinsichtlich der genannten sechs Fälle des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes auszugehen, da für die Frage der Verjährung jeweils auf die dem Angeklagten günstigste mögliche Tatzeit abzustellen ist (BGHSt 18, 274; BGHR StGB § 78 Abs. 3 Fristablauf 1). Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil auf, soweit der Angeklagte in diesen Fällen verurteilt worden ist, und stellt das Verfahren insoweit ein (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 206 a Rdn. 6 und § 354 Rdn. 6). Die zu den verjährten Taten getroffenen Feststellungen werden von dem Aufhebungsgrund nicht berührt und können daher bestehen bleiben (vgl. BGHSt 41, 305; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn.13).

2. Der Schuldspruch im Fall 3 der Anklage hat keinen Bestand, soweit der Angeklagte wegen eines "im Jahre 1984" (UA 10) tateinheitlich mit der rechtsfehlerfrei angenommenen Vergewaltigung begangenen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) verurteilt worden ist. Zwar ruht die Verjährung bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179 StGB gemäß § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB, der am 30. Juni 1994 in Kraft trat, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers. Diese Regelung gilt aber nur für solche Taten, die vor dem 30. Juni 1994 noch nicht verjährt waren (Art. 2 des 30. StrÄndG vom 23. Juni 1994, BGBl. I 1310; BGHR StGB § 78 b Abs.1 Ruhen 5; BGH, Beschluß vom 2. September 1998 - 1 StR 385/98). Der Angeklagte hat diese Tat nach dem achten Geburtstag des am 4. April 1976 geborenen Opfers, möglicherweise aber vor dem 30. Juni 1984 begangen. Zu seinen Gunsten ist deshalb davon auszugehen, daß die für Vergehen nach § 176 StGB zehn Jahre betragende Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) bereits vor dem Inkrafttreten des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB abgelaufen war. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend.

3. Zutreffend hat das Landgericht die Strafe in den Fällen 3 und 5 der Anklage dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I 1607) entnommen. Da das Landgericht in diesen Fällen trotz Vorliegens einer Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG einen besonders schweren Fall verneint und den Regelstrafrahmen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe angewendet hat, ist die angewendete Vorschrift bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise gegenüber § 177 Abs.1 StGB a.F. das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB. In den Fällen 20 und 21 der Anklage hat das Landgericht zwar jeweils einen besonders schweren Fall angenommen und die Strafen dem - im Fall 20 der Anklage nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten - Strafrahmen des § 177 Abs. 3 Satz 1 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG ( jetzt § 177 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. des 6. StrRG vom 26. Januar 1998, BGBl. I 164) entnommen. Hierdurch ist der Angeklagte aber nicht beschwert, da § 177 Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung und § 177 Abs. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG keinen milderen Strafrahmen vorsehen.

Der Senat ändert jedoch, soweit das Landgericht zur rechtlichen Bezeichnung der Taten die vollständige gesetzliche Überschrift des § 177 StGB i.d.F. des 33. StrÄndG ("Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung") verwendet hat, den Schuldspruch dahin, daß der Angeklagte in den Fällen 3, 5, 21 der Anklage (mit Gewalt erzwungener Geschlechtsverkehr) jeweils der Vergewaltigung und im Falle 20, in dem die weitere Ausführung der geplanten Vergewaltigung vor der Vornahme einer sexuellen Handlung scheiterte, der versuchten Vergewaltigung schuldig ist (vgl. BGH, Beschluß vom 27. Mai 1998 - 3 StR 204/98); er faßt den Schuldspruch zur Klarstellung insgesamt neu.

4. Die im Fall 3 der Anklage wegen der Verjährung der Verfolgung des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes gebotene Schuldspruchänderung hat auf die für diesen Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr neun Monate keinen Einfluß. Auch verjährte Taten dürfen, wenn auch nicht mit demselben Gewicht wie nicht verjährte Taten, strafschärfend berücksichtigt werden ( vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 24; BGH, Beschluß vom 5. Mai 1998 - 4 StR 151/98). Angesichts der maßvollen Rechtsfolgenbemessung in diesem Fall, kann insbesondere im Hinblick darauf, daß das Landgericht "erheblich strafmildernd" berücksichtigt hat,"daß die Tat schon sehr lange her ist"(UA 63), ausgeschlossen werden, daß sich die Berücksichtigung der Verwirklichung auch des Tatbestands des § 176 Abs.1 StGB zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.

5. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe kann jedoch nicht bestehen bleiben. Durch die Aufhebung der Verurteilung und die Einstellung des Verfahrens in den Fällen 8, 9, 13, 15, 16 und 19 der Anklage entfallen die für diese Taten verhängten Einzelfreiheitsstrafen (Fälle 8, 9, 19:jeweils elf Monate; Fälle 13, 15, 16: jeweils ein Jahr). Zwar dürfen, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, auch diese rechtsfehlerfrei festgestellten verjährten Taten, wenn auch nicht mit ihrem vollen Gewicht ( vgl. BGH aaO), bei der Bemessung der Gesamtstrafe berücksichtigt werden. Der Senat kann aber insoweit gleichwohl nicht ausschließen, daß die Gesamtfreiheitsstrafe bei Annahme einer Strafbarkeit allein wegen der nach der Teileinstellung verbliebenen acht Taten milder ausgefallen wäre, da das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts durch den Wegfall der sechs verjährten Taten eine nicht unerhebliche Verminderung erfahren hat.

6. Die Darstellung der Gründe des angefochtenen Urteils, in das Ablichtungen von 14 Seiten aus dem Tagebuch des Opfers eingefügt worden sind, gibt Anlaß, auf folgendes hizuweisen:

Die gebotene geschlossene Sachverhaltsdarstellung kann nicht dadurch ersetzt werden, daß in die Urteilsurkunde Ablichtungen von Schriftstücken aufgenommen werden, aus denen sich der festgestellte Sachverhalt ergibt (BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 669/97). Die Aufnahme der Ablichtungen von handschriftlichen Aufzeichnungen, die der Intimsphäre des Opfers angehören, ist zudem im Hinblick auf den - ungeachtet der Verwertbarkeit dieser Aufzeichnungen (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 56 a) - gebotenen Persönlichkeitsschutz bedenklich.

Ende der Entscheidung

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