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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.06.1999
Aktenzeichen: 4 StR 271/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2 u. 4
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5
StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 3
StGB § 316
StGB § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 271/99

vom

29. Juni 1999

in der Strafsache

gegen

wegen räuberischer Erpressung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Juni 1999 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 12. November 1998 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall II 8 der Urteilsgründe "wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in Tateinheit mit Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit und in Tat-einheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis" verurteilt worden ist, sowie

b) in den diesen Angeklagten betreffenden Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Maßregel.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in Tateinheit mit Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit und in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung in 2 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen gemeinschaftlichen versuchten Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung in 3 Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; ferner hat es "die Straßenverkehrsbehörde" angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr und sechs Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner zulässig auf die Verurteilung in den Fällen II 1 b (räuberische Erpressung zum Nachteil W. ) und 8 (u.a. versuchter Totschlag zum Nachteil R. ) der Urteilsgründe beschränkten Revision. Das auf die unausgeführte Verfahrensbeschwerde und die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Rechtsmittel hat hinsichtlich der Verurteilung im Fall II 8 der Urteilsgründe sowie zum Gesamtstrafen- und Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. Juni 1999 näher ausgeführt hat - im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht im Fall II 1 b der Urteilsgründe wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt hat. Die schriftlichen Urteilsgründe geben dem Senat allerdings Anlaß zu dem Hinweis, daß die äußerst knappen Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten - wie auch der früheren Mitangeklagten - nicht ohne weiteres den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Begründung gerecht werden (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 8 bis 10, 12, 17, 18). Jedenfalls bei Straftaten von - wie hier - einigem Gewicht und bei noch jungen Straftätern kann regelmäßig auf eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Vorleben, der allgemeinen und beruflichen Entwicklung sowie den Familienverhältnissen (vgl. Kroschel/Meyer-Goßner, Die Urteile in Strafsachen, 26. Aufl. S. 86) nicht verzichtet werden. In gleicher Weise genügt es im Regelfall nicht, im Rahmen der Beweiswürdigung im wesentlichen pauschal darauf zu verweisen, daß die vernommenen, namentlich aufgeführten Zeugen "das Geschehen, soweit sie es nach ihren Bekundungen miterlebt und wahrgenommen haben, so geschildert haben, wie es in den getroffenen Feststellungen seinen Niederschlag gefunden hat" (UA 15/16). Insbesondere wenn - wie hier - der Angeklagte - ebenso wie die früheren Mitangeklagten - sich zu wesentlichen Teilen des Tatgeschehens nicht geständig eingelassen und sich auf fehlende Erinnerung berufen haben, ist grundsätzlich eine Würdigung und Bewertung der für die Urteilsfindung maßgebenden Zeugenaussagen erforderlich (vgl. Kroschel/Meyer-Goßner aaO S. 121 f. m.w.N.). Diese Mängel gefährden im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hier den Bestand des Urteils im Fall II 1 b im Ergebnis jedoch nicht.

2. Dagegen kann die Verurteilung des Angeklagten im Fall II 8 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben, weil der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags rechtlicher Prüfung nicht stand hält. Die Annahme, der Angeklagte habe, als er mit dem Pkw Trabant "geradewegs und gezielt auf den Zeugen R. zu(fuhr)", "dabei billigend in Kauf (genommen), hierdurch den Tod des Zeugen herbeizuführen" (UA 14), ist weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Weder im Rahmen der Beweiswürdigung noch bei der rechtlichen Würdigung setzt sich das Landgericht mit dieser Frage auseinander. Dazu hätte aber schon deshalb Anlaß bestanden, weil der Angeklagte sich eingelassen hat, er wisse nur noch, "daß er mit dem Trabant gefahren ist und daß er einen Unfall, Zusammenstoß mit dem Wagen des Wachschutzes hatte" (UA 18). Zwar hat das Landgericht diese Einlassung - für sich genommen rechtsfehlerfrei - als "Schutzbehauptung" gewertet. Doch enthob dies das Schwurgericht nicht einer näheren Begründung, daß der Angeklagte bei seinen "Versuche(n), den Zeugen anzufahren und zu überfahren" (UA 19), mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte.

Zwar kann es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen naheliegen, daß der Täter auch mit der Möglichkeit, daß das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet und einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß der Täter jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N.). Die dazu in der Rechtsprechung geforderte Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGHSt 36, 1, 10) war hier nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Geschädigte "durch den Anprall auf die Motorhaube geschleudert" wurde (UA 14). Für die Beurteilung, ob dadurch der Geschädigte in Lebensgefahr geriet, hätte es näherer Feststellungen dazu bedurft, aus welcher Entfernung der Angeklagte auf ihn zufuhr und mit welcher Geschwindigkeit er ihn erfaßte (vgl. BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 2). Tatsächlich erlitt der Geschädigte auch (nur) "ein Hämatom am Oberschenkel und eine Hautabschürfung an der linken Hand" (UA 14). Aber auch aus einer - objektiven - Lebensgefahr ließe sich nicht ohne weiteres herleiten, daß der Angeklagte auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, der Geschädigte könne zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezogen hat. Dies zeigt schon die Unterscheidung des Gesetzes zwischen vorsätzlicher Tötung und vorsätzlicher Körperverletzung mittels einer "das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41). Ein nachvollziehbarer Grund, weshalb der Angeklagte den Geschädigten hätte töten wollen, ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus der vorangehenden tätlichen Auseinandersetzung, die der Angeklagte "vom Zaun gebrochen" hatte. Abgesehen davon mußte das Landgericht auch angesichts seiner erheblichen Alkoholisierung (Tatzeit-Blutalkoholkonzentration 2,65 Promille) in Erwägung ziehen, ob der Angeklagte sich in der konkreten Situation bewußt war, sein Vorgehen könne zum Tode des Geschädigten führen.

Der den Schuldspruch wegen versuchten Totschlags betreffende Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils im Fall II 8 der Urteilsgründe insgesamt, auch soweit der Angeklagte der tateinheitlich verwirklichten Straßenverkehrsgefährdung, der gefährlichen Körperverletzung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis für schuldig befunden worden ist (BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Im übrigen wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben zu prüfen, ob nach den in der Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis entwickelten Grundsätzen anstelle der vom Landgericht angenommenen Straßenverkehrsgefährdung hier eine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) in Betracht kommt (vgl. BGH VRS 65, 359; BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Konkurrenzen 1; Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. StGB § 315 b Rdn. 22 m.w.N.).

3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II 8 der Urteilsgründe führt zum Wegfall der Einsatzstrafe von vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

Auch die gemäß § 69 a StGB angeordnete isolierte Sperrfrist kann wegen des inneren Zusammenhangs mit der Verurteilung im Fall II 8 nicht bestehen bleiben. Im übrigen besteht ein durchgreifender Rechtsfehler insoweit auch darin, daß jegliche Begründung des Maßregelausspruchs im schriftlichen Urteil fehlt (vgl. Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 337 Rdn. 28 m.N.).

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