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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.04.1999
Aktenzeichen: 4 StR 3/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 154 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 2 und 4 StPO
StGB § 263
StGB § 177 Abs. 2

§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verlangt, daß der Täter selbst die "Vergewaltigung" ausführt.

BGH, Urteil vom 22. April 1999 - 4 StR 3/99 - Landgericht Stendal


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 StR 3/99

vom

22. April 1999

in der Strafsache

gegen

wegen

Vergewaltigung u. a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Meyer-Goßner,

die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, Athing, Dr. Ernemann als beisitzende Richter,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Rechtsanwältin als Nebenklägervertreterin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 13. Oktober 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlicher Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung" zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision hat Erfolg.

Nach den Feststellungen führte der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 14. Mai 1998 im Billardzimmer einer Gaststätte mit der Geschädigten Bärbel L. den Geschlechtsverkehr durch, nachdem Frau L. dort zuvor von den gesondert verfolgten Rene Lü. und Hartmut Sch. vergewaltigt worden war.

1. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte der gemeinschaftlichen Vergewaltigung gemäß den §§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht, weil er in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit Lü. und Sch. den Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten erzwungen habe.

2. Diese rechtliche Würdigung wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

a) Allerdings hat das Landgericht zu Recht eine gemeinschaftliche Vergewaltigung nicht mit der Erwägung begründet, der Angeklagte habe Lü. und Sch. ermöglicht, mit Bärbel L. den Geschlechtsverkehr auszuüben. In Abkehr von dem bis zum Inkrafttreten des 33. Strafrechtsänderungsgesetzes (33. StrÄndG) vom 1. Juli 1997 (BGBl. I 1607) geltenden Rechtszustand kommt eine mittäterschaftliche Begehung einer Vergewaltigung dann nicht in Betracht, wenn der Täter nicht selbst den Beischlaf oder die ähnliche sexuelle Handlung ausführt. Das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB in der - zur Tatzeit bereits geltenden - Fassung des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) stellt nämlich - ebenso wie zuvor § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB idF des 33. StrÄndG - darauf ab, daß der Täter selbst die erschwerende sexuelle Handlung ausführt. Dies folgt aus Wortlaut, Systematik und der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte der Bestimmung. Für § 177 StGB in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I 1725), der auf den Beischlaf mit dem Täter oder einem Dritten abstellte, genügte es, daß sich das tatbestandsmäßige Verhalten des Allein- oder Mittäters auf eine Nötigungshandlung beschränkte, die einem anderen den Beischlaf ermöglichte (BGHSt 27, 205, 206; BGH NStZ 1985, 71, 72; bei Miebach NStZ 1994, 224; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Mittäter 1). Der Gesetzgeber hat diesen "Drittbezug" jedoch nicht in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB idF des 33. StrÄndG übernommen, sondern ihn im Grundtatbestand des Absatzes 1 berücksichtigt. Diese Differenzierung findet ihre systematische Rechtfertigung in der gesonderten Einführung eines Regelbeispiels für die gemeinschaftliche Tatbegehung in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB idF des 33. StrÄndG; ggf. kommt auch die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles in Betracht, wenn der Nötigungstäter die Duldung oder Vornahme der in Nummer 1 genannten Handlungen mit einem Dritten erzwingt (Horn in SK/StGB 6. Aufl. § 177 Rdn. 25). Daran hat das 6. StrRG, das in dem jetzt geltenden § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB eine Klarstellung vorgenommen hat, insoweit nichts geändert, während es gleichzeitig in § 179 Abs. 2 StGB sexuelle Handlungen mit Dritten ausdrücklich berücksichtigt hat (vgl. BTDrucks. 13/9064 S. 12, 14). Der Umstand, daß in den Materialien zum 33. StrÄndG wiederholt darauf hingewiesen wurde, "der bisherige Tatbestand der Vergewaltigung (bleibe) als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles mit gleichem Strafrahmen wie bisher erhalten" (BTDrucks. 13/2463 S. 6 f.; 13/7324 S. 6), vermag jedenfalls in diesem Punkt das eindeutige Ergebnis der Gesetzesauslegung nicht in Frage zu stellen.

b) Die Annahme einer gemeinschaftlichen Vergewaltigung gemäß den §§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2, 25 Abs. 2 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Das Nötigungsmittel der Gewalt braucht allerdings nicht eigenhändig verwirklicht zu werden. Handeln mehrere, so reicht es aus, daß einer der Handelnden eigenhändig zum Mittel der Gewalt greift. Mittäter kann auch sein, wer nicht selbst Gewalt anwendet, sondern einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet, wenn dies auf der Grundlage gemeinsamen Wollens geschieht. Eine solche gemeinschaftlich begangene Tat liegt vor, wenn der einzelne Mittäter bei der Ausführung in Übereinstimmung mit dem oder den anderen im Sinne eines Plans handelt und ihn dadurch zu einem gemeinsamen macht (BGH NJW 1985, 1035; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1987 - 4 StR 614/87). Der Vorsatz des Mittäters muß somit alle Merkmale des objektiven Tatbestands umfassen (Cramer in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 25 Rdn. 94 f.; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 25 Rdn. 10).

Dafür fehlt es an ausreichenden Feststellungen: Der Angeklagte verfolgte nämlich, als er Lü. half, Bärbel L. gewaltsam in den Billardraum zu verbringen, nicht das Ziel, selbst mit ihr geschlechtlich zu verkehren; erst danach erkannte er, daß die Geschädigte dort mit Gewalt zum Beischlaf gezwungen werden sollte. Auf die Bemerkung von Lü. , "dann seien die anderen an der Reihe", ging er nicht ein. Sein Wunsch, mit ihr ebenfalls den Geschlechtsverkehr auszuüben, entstand vielmehr erst nach den sexuellen Übergriffen der anderen. Mit diesen Feststellungen ist die Annahme der Strafkammer nicht vereinbar, der Angeklagte habe in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit Lü. und Sch. die von ersterem ausgeübte Gewalt als eigene gewollt und als Nötigungsmittel angesehen, das auch - "später" - die von ihm beabsichtigten sexuellen Handlungen ermöglichen sollte; er sei in der Gaststätte geblieben, bis er "dran" gewesen sei; "nur so" sei sein weiteres Verbleiben am Tatort "über Stunden hinweg" zu erklären. Als Lü. gewaltsam auf Frau L. einwirkte, hatte der Angeklagte jedoch noch nicht den Entschluß gefaßt, selbst mit ihr zu verkehren. Der Angeklagte, zu dem Frau L. Vertrauen gefaßt hatte, "nutzte" damit die erneuten Angriffe entgegen den Ausführungen der Strafkammer nicht aus (vgl. dazu BGH NStZ 1985, 71). Er faßte den Entschluß zum Geschlechtsverkehr vielmehr erst, nachdem sie einverständlich vorgaben, "so zu tun, als ob sie es miteinander täten" und der Angeklagte hierdurch ("nun") sexuell erregt wurde.

Nach seinem Entschluß, den Beischlaf auszuführen, hat der Angeklagte die Wirkung der früheren Gewalt weder verbal noch durch konkludente Handlungen aufrechterhalten (vgl. BGH NStZ 1995, 244, 245; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2); eine bloße Ausnutzung der hierdurch geschaffenen Lage rechtfertigt die Annahme einer mittäterschaftlichen Begehung nicht (BGH NStZ 1985, 70; bei Dallinger MDR 1975, 365 f.). Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, daß er eine fortbestehende Freiheitsberaubung als Mittel der Gewalt zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs eingesetzt oder wenigstens den Umstand, daß das Opfer an der Flucht gehindert war, erkannt und sich zunutze gemacht hätte (vgl. BGHR § 177 Abs. 1 Gewalt 2, 7, 10; BGH, Urteil vom 21. Januar 1987 - 2 StR 656/86; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 177 Rdn. 4 m.w.N.).

bb) Auch ein Fall sukzessiver Mittäterschaft ist hiernach nicht belegt. Diese ist nur gegeben, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnenen Handelns in das tatbestandsmäßige Geschehen als Mittäter eingreift und er sich - auch stillschweigend - mit dem anderen vor Beendigung der Tat zu gemeinschaftlicher weiterer Ausführung verbindet (BGHSt 2, 344, 345; 6, 248, 251; BGH GA 1977, 144; NJW 1986, 77; NStZ 1985, 70,71; 1997, 272; 1998, 565; StV 1998, 127, 128). Nach den Feststellungen kann von einer Billigung der gegen die Geschädigte angewendeten Gewalt nicht ausgegangen werden: Der Angeklagte eilte auf ihren Hilferuf zu Beginn des Tatgeschehens in den Billardraum und forderte Lü. - wie auch im weiteren Verlauf der Tat - vergeblich auf aufzuhören; mit diesem Begehren wandte er sich ferner frühzeitig an Hartmut Sch. , der als Wirt das Hausrecht innehatte. Er wurde wiederholt von Lü. massiv bedroht. Bevor der Angeklagte sexuelle Erregung verspürte, hatte er Bärbel L. angeboten, sexuelle Handlungen vorzutäuschen, um dem Drängen von Lü. scheinbar Genüge zu tun.

c) Da auch im übrigen eine Beteiligung des Angeklagten an den von Lü. und Sch. vorgenommenen sexuellen Übergriffen im Sinne des § 177 Abs. 1 oder 2 StGB (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 49) jedenfalls aus subjektiven Gründen ausscheidet - dies gilt mit Blick auf die Äußerung des Angeklagten, daß auch "einmal Schluß sein müsse", namentlich für die dem von ihm vollzogenen Beischlaf nachfolgenden sexuellen Handlungen - , ist die Verurteilung wegen "gemeinschaftlicher Vergewaltigung" aufzuheben.

3. Damit hat zugleich der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu entfallen. Im übrigen vermögen die Feststellungen des Landgerichts seine Annahme, der Angeklagte habe sich an der Nötigung der Geschädigten beteiligt, abschließend vor dem Tresen nackt zu tanzen (vgl. § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB), ohnehin weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht zu tragen, weil Lü. zunächst die Zahlung der 50,-- DM forderte, bevor er sich - gleichzeitig mit dem Einsammeln des Geldes - an die Geschädigte wandte.

4. a) Die neu erkennende Strafkammer wird neben der erneuten Prüfung der Mittäterschaft auch zu erwägen haben, ob sich der Angeklagte dadurch, daß er mit der durch die zuvor erlittene sexuelle Gewalt erschöpften und verängstigten Frau den Geschlechtsverkehr ausführte, als Alleintäter gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat (vgl. BGH NJW 1999, 369 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt; BGH NStZ 1999, 30; BGH StV 1999, 208, 209). Allerdings stünde das Einverständnis des Opfers (vgl. BGHSt 23, 1, 3; 26, 70, 72; BGH NStZ 1991, 431; Laufhütte in LK 11. Aufl. § 177 Rdn. 14; Lenckner aaO Rdn. 6) bzw. ein entsprechender Irrtum des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1982, 26; 1993, 340, 341; BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 1985 - 4 StR 792/84 und vom 2. Dezember 1997 - 4 StR 557/97; Hirsch in LK 11. Aufl. vor § 32 Rdn. 103) auch der Annahme einer Vergewaltigung durch Ausnutzung einer schutzlosen Lage entgegen; von der Unwiderlegbarkeit vorsatzausschließender innerer Tatsachen darf indes in der Regel erst dann ausgegangen werden, wenn der äußere Tathergang erschöpfend - unter den hier gegebenen Umständen naheliegend auch durch Vernehmung des Tatopfers - aufgeklärt worden ist (BGH NJW 1991, 2094).

b) Sollte eine Verurteilung wegen in Allein- oder Mittäterschaft begangener Vergewaltigung nicht in Betracht kommen, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte bereits durch seine Beteiligung an dem erstmaligen Verbringen der Geschädigten in den Billardraum der (gemeinschaftlichen) Nötigung schuldig gemacht hat. In diesem Fall wäre auch eine Strafbarkeit gemäß § 323 c StGB zu erörtern.

Der nach § 230 StGB für eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) - statt wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 StGB - erforderliche Strafantrag läge in der am 22. Juli 1998 bei Gericht eingegangenen Anschlußerklärung "wegen Vergewaltigung und Körperverletzung" (vgl. BGHSt 33, 114, 116).

5. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Magdeburg zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück.

Ende der Entscheidung

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