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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 4 StR 309/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 63
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 309/06

vom 21. September 2006

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. September 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 21. März 2006 im Ausspruch über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch wendet.

Dagegen begegnet die Anordnung der Maßregel in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

1. Dem Urteil kann bereits die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderliche eindeutige Bewertung eines länger dauernden, auf einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB beruhenden Zustands nicht entnommen werden (vgl. BGH MDR 1987, 93; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 63 Rdn. 6 und 14).

Zwar ist das Landgericht davon ausgegangen, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei bei Begehung der Tat zum Nachteil seiner Lebensgefährtin auf Grund einer schweren Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich vermindert gewesen (UA 25). Jedoch wird diese Bewertung nicht durch das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, dessen Ausführungen sich das Landgericht ohne weiter gehende Begründung zu Eigen gemacht hat, gedeckt. Der Sachverständige hat eine eindeutige diagnostische Zuordnung der Auffälligkeiten des Angeklagten gerade nicht vorzunehmen vermocht. Nach seinen Ausführungen leidet der Angeklagte zwar "auf jeden Fall" unter einer psychischen Krankheit bzw. Störung (UA 20). Es komme dabei sowohl das Vorliegen einer hirnorganischen Erkrankung, also eine krankhafte seelische Störung, als auch - näher liegend - eine schwere Persönlichkeitsstörung als Folge der vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen und emotionalen Belastungen des Angeklagten in den vergangenen Jahren in Betracht, wobei "zeitweise" auch die Grenze zur Psychose überschritten gewesen sei. Eine "schleichende Psychose", die noch anlässlich einer Begutachtung des Angeklagten in einem anderen Zusammenhang im Oktober 2005 von einem anderen Gutachter diagnostiziert worden war (UA 21), hat der Sachverständige nunmehr ausdrücklich ausgeschlossen.

In Anbetracht dieser offenen diagnostischen Bewertung der psycho-pathologischen Auffälligkeiten des Angeklagten durch den Sachverständigen hätte das Landgericht eingehend begründen müssen, weshalb es seiner Schuldfähigkeitsbeurteilung das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung des Angeklagten zu Grunde gelegt hat. Hieran fehlt es.

2. Von diesem Erörterungsmangel abgesehen belegen die Urteilsgründe auch nicht, dass beim Angeklagten bei Begehung der Tat eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit vorgelegen hat.

Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB, sondern kann immer auch als Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein. Für einen so schwerwiegenden Eingriff, wie ihn die Anordnung der zeitlich nicht befristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, kann die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung stets nur unter engen Voraussetzungen und nur dann genügen, wenn feststeht, dass der Täter auf Grund dieser Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGHSt 42, 385, 388). Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGHR StGB § 21, seelische Abartigkeit 35). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Schuldfähigkeit ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (vgl. BGHSt 49, 45). Diesen an die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu stellenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Das Landgericht hat die Schwere der Persönlichkeitsstörung damit begründet, dass die sozialen Kompetenzen des Angeklagten in den letzten fünf Jahren kontinuierlich abgenommen hätten, was sich eindrucksvoll an seinem beruflichen Abstieg, der zu einer Häufung von Konflikten und zum Scheitern seiner Ehe geführt habe, gezeigt habe. Indes belegen die Urteilsgründe nicht, dass der berufliche Abstieg des Angeklagten Ausdruck oder Folge einer bei ihm bestehenden Persönlichkeitsstörung war. Nach den bisherigen Feststellungen führten vielmehr allein äußere Umstände, nämlich die Aufnahme eines hohen Kredits zur Erhaltung des ererbten elterlichen Hauses im Jahre 1996 zu massiven finanziellen Schwierigkeiten des Angeklagten, der bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich, zuletzt selbständig, als Arzt tätig war. Als Folge dieser finanziellen Probleme stellten sich nach und nach auch berufliche Schwierigkeiten beim Angeklagten ein, da sie u.a. zu der Kündigung seiner Praxisräumlichkeiten im Jahre 2001 wegen Zahlungsverzugs führten. Dass der Angeklagte die Rechtsstreitigkeiten mit seinem Vermieter zum Anlass nahm, diesen zu bedrohen und diesem gehörende Gegenstände zu zerstören, vermag den für die Maßregelanordnung nach § 63 StGB vorausgesetzten Schweregrad der Persönlichkeitsstörung ebenfalls nicht zu belegen. Vielmehr kann es sich bei diesen Verhaltensweisen noch um "normal-psychologisch" erklärbare Reaktionen auf eine vom Angeklagten erlebte existenzielle Belastungssituation gehandelt haben, die sich noch innerhalb der Bandbreite "normalen" straflosen Verhaltens bewegte und nicht Ausdruck einer beginnenden oder bereits vorliegenden (schweren) Persönlichkeitsstörung war. Dazu, wie sich die "in den letzten Jahren zunehmend reduzierten sozialen Kompetenzen" des Angeklagten (UA 26), der immerhin bis Anfang 2004 als niedergelassener Kassenarzt und auch danach noch beruflich tätig war und - wenngleich geringe - Einkünfte durch die Behandlung von Privatpatienten und durch Anfertigung ärztlicher Berichte und Gutachten für eine Rentenberaterin erzielte (UA 7), im Alltag auswirkten, verhält sich das Landgericht nicht. Es ist deshalb anhand der bisherigen Urteilsgründe nicht nachzuvollziehen, weshalb der Angeklagte als Folge einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung nicht mehr in der Lage ist, die "durchschnittlichen Anforderungen einer Lebensführung zu bewältigen" (UA 21).

3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf deshalb insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.

Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Der Schuldspruch kann deshalb bestehen bleiben. Dies gilt auch für den Strafausspruch, da der Angeklagte durch die Annahme des § 21 StGB bei der Strafzumessung nicht beschwert ist.

Ende der Entscheidung

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