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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.11.2001
Aktenzeichen: 4 StR 392/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO, GVG


Vorschriften:

StGB § 323 c
StPO § 472 Abs. 1
StPO § 395 Abs. 2 Nr. 1
StPO § 472 Abs. 1 Satz 1
GVG § 132 Abs. 3 Satz 3
GVG § 132 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 392/01

vom

20. November 2001

in der Strafsache

gegen

wegen unterlassener Hilfeleistung

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2001 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 3 GVG beschlossen:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Dem Angeklagten sind nach Maßgabe des § 472 Abs. 1 StPO die notwendigen Auslagen des nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO zugelassenen Nebenklägers auch dann aufzuerlegen, wenn er aufgrund desselben Sachverhalts, der zur Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Totschlags führte, stattdessen wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wird.

Der Senat fragt deshalb beim 5. Strafsenat an, ob an der im Urteil vom 12. Juni 1959 - 5 StR 163/59 vertretenen Rechtsauffassung festgehalten wird. Er fragt vorsorglich bei den anderen Strafsenaten an, ob dortige Rechtsprechung entgegensteht.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es angeordnet, daß die Angeklagte die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen hat.

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Angeklagten im wesentlichen und die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang zu verwerfen.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach Auffassung des Senats unbegründet, weil die Kostenentscheidung, auch soweit der Angeklagten die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden sind, den gesetzlichen Vorgaben entspricht:

Die Angeklagte hat nach Auffassung des Senats die der vom Landgericht nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO als Nebenklägerin zugelassenen Mutter des Getöteten im Verfahren vor dem Landgericht erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO zu tragen. Dem steht nicht entgegen, daß sie nicht wegen Totschlags, sondern wegen unterlassener Hilfeleistung und damit wegen einer Straftat verurteilt worden ist, deretwegen die Nebenklage nicht hätte erhoben werden können. Maßgeblich für die Frage, ob die Verurteilung wegen einer Tat erfolgt ist, die den Nebenkläger im Sinne des § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO "betrifft", ist in den Fällen des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO vielmehr, ob die Verurteilung eine strafbare Handlung ahndet, die sich gegen den Getöteten als Träger eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes richtete (BGH NJW 1960, 1311, 1312; BGH GA 1968, 184; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 472 Rdn. 7 m.w.N.). Das ist hier der Fall, weil die Verurteilung aufgrund desselben Sachverhalts erfolgte, der zur Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Totschlags führte, und weil sich die als unterlassene Hilfeleistung geahndete Tat gegen den Getöteten als Träger eines - auch durch die Vorschrift des § 323 c StGB - geschützten Rechtsguts richtete.

An der beabsichtigten Verwerfung der sofortigen Beschwerde sieht sich der Senat jedoch durch das Urteil des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 1959 - 5 StR 163/59 - gehindert. Der darin vetretenen Aufassung, der Angeklagte habe dem Nebenkläger die notwendigen Auslagen bei einer Verurteilung nur wegen unterlassener Hilfeleistung nicht zu erstatten, weil diese Vorschrift allein dem allgemeinen Interesse daran diene, daß bei Unglücksfällen geholfen werde (ebenso OLG Nürnberg AnwBl 1971, 183; Franke KK 4. Aufl. § 472 Rdn. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 472 Rdn. 6; vgl. auch OLG Hamm NJW 1962, 359 zu dem anders gelagerten Fall eines Teilfreispruchs hinsichtlich der die Nebenklage begründenden Tat), vermag der Senat nicht zu folgen. Sie beruht auf einem zu engen Verständnis des Schutzgutes dieser Vorschrift. Ihm liegt die zu § 330 c StGB a.F., der insoweit inhaltsgleichen Vorgängerin des § 323 c StGB vertretene Auffassung zugrunde, Schutzobjekt der unterlassenen Hilfeleistung sei allein die öffentliche Sicherheit, während der gefährdete Einzelne nur als Teil des Publikums, nicht aber als individuell Berechtigter geschützt werde (so Welzel Das Deutsche Strafrecht 11. Aufl. § 68 I [S. 470]; ähnlich zu § 323 c StGB auch Otto Grundkurs Strafrecht. Besonderer Teil 5. Aufl. S. 355; Pawlik GA 1995, 360, 365).

Allerdings ist Strafgrund dieser in den Abschnitt über die gemeingefährlichen Straftaten eingestellten Vorschrift die Verletzung der Hilfspflicht bei Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 323 c Rdn. 1). Von dem Zweck und Rechtsgrund dieser Vorschrift, die Nothilfe strafrechtlich zu sichern (vgl. Spendel LK 11. Aufl. § 323 c Rdn. 26 f. m.w.N.), sind jedoch die durch diese Vorschrift geschützten Rechtsgüter zu unterscheiden (vgl. Rudolphi SK-StGB § 323 c Rdn. 1 a.E.; Spendel aaO Rdn. 26). Dies sind nach nunmehr herrschender Meinung - jedenfalls auch - die bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechtsgüter des in Not Geratenen (OLG Celle NStZ 1988, 568; OLG Düsseldorf NJW 1992, 2370, 2371; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 323 c Rdn. 1; Rudolphi aaO; Spendel aaO Rdn. 29; Tröndle/Fischer aaO, jew. m.w.N.). Durch die Verurteilung der Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung wird mithin eine strafbare Handlung geahndet, die sich gegen den Getöteten als Träger eines durch diese Vorschrift geschützten Rechtsguts richtete. Insofern ist die Rechtslage in Bezug auf die notwendigen Auslagen des Nebenklägers der in den Fällen der Verurteilung wegen Vollrausches vergleichbar (BGHSt 20, 284).

2. Der Senat fragt daher - da eine Billigkeitsentscheidung nach § 472 Abs. 1 Satz 2 StPO unter den hier gegebenen Umständen nicht geboten war - gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beim 5. Strafsenat an, ob an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten wird. Vorsorglich fragt er zugleich bei den anderen Strafsenaten an, ob auch Rechtsprechung dieser Senate entgegensteht und ob gegebenenfalls daran festgehalten wird.

Ende der Entscheidung

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