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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.12.2001
Aktenzeichen: 4 StR 435/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StGB § 225 Abs. 2 a.F.
StGB § 51 Abs. 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 435/01

vom

4. Dezember 2001

in der Strafsache

gegen

wegen Totschlags u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 11. Juni 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und besonders schwerer Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; einer Erörterung der Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.

Das Urteil hält insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verurteilung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen hat, beruht in beiden Fällen auf einer unzureichenden Beweisgrundlage.

1. Soweit der Angeklagte wegen besonders schwerer Körperverletzung im Sinne des § 225 Abs. 2 StGB a.F. verurteilt worden ist, beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, daß es sich bei den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen lediglich um Vermutungen handelt, auf die der Schuldspruch nicht gestützt werden kann (vgl. BGHR StPO § 261 Vermutung 4 m.w.N.).

Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Angeklagte Marianne B. in deren Wohnung mittels eines Messers erhebliche Schnitt- und Stichverletzungen beigebracht hat. Die weiteren zum äußeren Tathergang getroffenen Feststellungen, nämlich daß der Angriff mit dem Messer nach Beendigung eines vorangegangenen heftigen Streits zu einem Zeitpunkt erfolgte, als Marianne B. im Bett lag und schlief, werden aber durch das in den Urteilsgründen mitgeteilte Ergebnis der Beweisaufnahme nicht belegt. Das Landgericht stützt die Feststellungen zum Hergang der Tat auf die früheren Angaben des später getöteten Tatopfers gegenüber den in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und auf die Angaben der Marianne B. bei ihrer polizeilichen Vernehmung. Dem mitgeteilten Inhalt der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung und den Aussagen der Zeugen läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß Marianne B. - wie vom Landgericht festgestellt - bei Beginn des Angriffs schlief. Die Zeugin P. hat vielmehr bekundet, Marianne B. habe ihr mitgeteilt, "der Angeklagte sei plötzlich durchgedreht und habe auf sie eingestochen. Sie sei hierbei klar bei Bewußtsein gewesen" (UA 16). Hat sich Marianne B. gegen den Angriff des Angeklagten jedoch von Beginn an gewehrt, so versteht es sich nicht von selbst, daß der Angeklagte die dem Opfer zugefügten entstellenden Gesichtsverletzungen absichtlich oder wissentlich verursacht hat. In Frage kommen vielmehr auch eine fahrlässige (§ 224 Abs. 1 StGB a.F. i. V. m. § 18 StGB) oder leichtfertige Verursachung (§ 225 Abs. 1 StGB a.F.).

2. Auch die Verurteilung wegen Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat - wovon auch die Revision ausgeht - mit insoweit rechtsfehlerfreien Erwägungen angenommen, daß Marianne B. in dem Zeitraum zwischen dem 16. und dem 19. Oktober 1997 in der Wohnung des Angeklagten getötet worden ist (UA 22/23) und eine natürliche Todesursache ausgeschlossen (UA 23 bis 26). Als Täter kommen nach den bisherigen Feststellungen nur der Angeklagte und/oder sein Bruder Pajtim F. in Betracht (UA 26/27). Soweit das Landgericht es als erwiesen ansieht, daß der Angeklagte die Tat als Alleintäter begangen hat, lassen die Urteilsausführungen jedoch besorgen, daß es sich seine Überzeugung allein aufgrund der den Angeklagten belastenden Indizien gebildet hat, ohne die gebotene Gesamtschau (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 261 StPO Rdn. 25 m.w.N.) unter Einbeziehung auch der den Angeklagten entlastenden und der seinen Bruder Pajtim belastenden Indizien vorzunehmen. Die Beweiswürdigung ist insoweit lückenhaft.

Dies gilt insbesondere für die Erwägungen des Landgerichts zu dem unterschiedlichen Nachtatverhalten des Angeklagten und seines Bruders. Entgegen der Auffassung des Landgerichts läßt dieses nicht ohne weiteres den Schluß zu, eine Täterschaft des Bruders des Angeklagten scheide aus, weil das Verhalten des Angeklagten als "Flucht", das seines Bruders dagegen als "normales" Verhalten zu werten sei (UA 28). Nach den bisherigen Feststellungen kommt nämlich in Betracht, daß Marianne B. bereits am 16. Oktober 1997 getötet wurde. Dann hätte der Angeklagte Deutschland aber nicht fluchtartig, sondern erst zwei oder drei Tage nach der Tat verlassen, denn nach den bisherigen Feststellungen suchte er "am 18. oder 19. Oktober 1997 noch einmal" Frau K. auf (UA 26). Sein Bruder Pajtim tauchte aber bereits am 17. Oktober 1997 unter, um sich gefälschte Papiere zu besorgen (UA 23), und verließ danach Deutschland für immer. Der Angeklagte kehrte dagegen nach den Feststellungen im November 1997 noch einmal für kurze Zeit nach Essen zurück und suchte seine Wohnung auf (UA 12).

Zwar hatte der Angeklagte ein nachvollziehbares Motiv für die Tötung von Marianne B. , da er auf diese Weise die Hauptbelastungszeugin für die bevorstehende Hauptverhandlung wegen der ihm angelasteten Messerstiche beseitigt hätte. In diesem Zusammenhang hätte aber auch der Erörterung bedurft, daß Marianne B. nach den Feststellungen wegen ihrer den Angeklagten belastenden Aussagen "Angst vor möglichen Repressalien durch den Angeklagten und seine Brüder" hatte, daß sich der Bruder des Angeklagten "möglicherweise" am Abend des 16. Oktober 1997 in der Wohnung des Angeklagten aufhielt, als das Tatopfer die Wohnung betrat, daß er sich von seiner Lebensgefährtin mit der Erklärung verabschiedet hatte, "er müsse etwas erledigen" (UA 10), und daß der Angeklagte in einem Telefongespräch mit der Zeugin K. erklärt hat, sein Bruder habe "das mit der Frau gemacht" (UA 13, 26). In Betracht kam daher auch, daß der Bruder die Belastungszeugin im Interesse des Angeklagten, aber ohne dessen ausdrücklichen Auftrag tötete. Die Annahme des Landgerichts, Pajtim F. habe die Wohnung des Angeklagten verlassen, noch bevor Marianne B. getötet worden sei (UA 12), stellt eine bloße Vermutung dar.

Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Der neue Tatrichter wird bei einer Verurteilung des Angeklagten gegebenenfalls gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB zu bestimmen haben, nach welchem Maßstab die in Frankreich erlittene Auslieferungshaft anzurechnen ist (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 20. April 1999 - 4 StR 698/98).



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