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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.04.1999
Aktenzeichen: 4 StR 44/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 357
StPO § 460
StGB § 2 Abs. 3
StGB § 223 a
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 21
StGB § 250 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 44/99

vom

29. April 1999

in der Strafsache

gegen

1.

2.

wegen schweren Raubes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 29. April 1999 gemäß §§ 349 Abs. 4, 357 StPO beschlossen:

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 5. März 1998, auch soweit es den Angeklagten R. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte S. wegen "gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung" zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Den Angeklagten Ri. hat es - ebenso wie den zur Tatzeit 20 Jahre alten früheren Mitangeklagten R. - "des gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung" schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe "aus dem Strafbefehl" des Amtsgerichts Bitterfeld vom 11. August 1997 unter Aufrechterhaltung der darin angeordneten Sperrfrist zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.

Die Sachbeschwerden der Angeklagten führen zur Aufhebung des Urteils, die gemäß § 357 StPO auch auf die Verurteilung des früheren Mitangeklagten R. zu erstrecken ist.

1. Nach den Feststellungen schuldete Wolfgang T. der Angeklagten S. etwa 60 DM. Die Angeklagte und ihr Lebensgefährte B. entschlossen sich am 12. Januar 1996, diesen Betrag "einzutreiben". Sie hatten zuvor mehrfach vergebens versucht, Simone Th. und deren Lebensgefährten Bodo Sch. , in deren Wohnung in Ahrensdorf Wolfgang T. zeitweise gewohnt hatte, zur Zahlung des von diesem geschuldeten Betrages zu veranlassen. Die Angeklagte S. und B. baten die Angeklagten R. und Ri. , sie nach Ahrensburg zu begleiten, und boten ihnen hierfür Geld an, ohne eine konkrete Summe zu nennen. Die Angeklagten und B. fuhren mit dem Auto der Angeklagten S. nach Ahrensburg, um "das Geld 'zu holen'. Die Männer sollten bedrohlich wirken. Es sollte Druck ausgeübt werden" (UA 10). Dabei "war allen Beteiligten klar, daß die vermeintlichen Schulden gewaltsam eingetrieben werden sollten" (UA 13).

Der Angeklagte R. und B. drangen in die Wohnung von Simone Th. und Bodo Sch. ein, indem sie die Scheibe der Haustür einschlugen. Der Angeklagte Ri. folgte ihnen. Simone Th. flüchtete aus der Wohnung, um die Polizei zu verständigen. Im Eßzimmer, in dem sich Bodo Sch. , seine drei Kinder sowie Jana und Nick D. aufhielten, schlug der Angeklagte R. mit einem "kräftigen Stiel" (UA 14/15: "Knüppel") auf den Tisch, so daß dieser zerbrach. Er versetzte Nick D. mit dem Stiel einen Schlag auf die Schulter und schlug dann auf Bodo Sch. ein. B. rief: "Wo bleibt das Geld ?" Jana und Nick D. und die Kinder "durften" das Eßzimmer verlassen.

"Die Angeklagte S. achtete im Nebenzimmer auf die Kinder. Sie sollten nicht mitbekommen, daß Bodo Sch. geschlagen wurde. Die Angeklagte S. hörte in dieser Zeit jemanden schreien, ohne darauf zu reagieren. Sie nahm wahr, daß im Nebenzimmer eine Auseinandersetzung stattfand. Es war ihr jedoch egal, was da passierte. Sie wollte auf jeden Fall ihr Geld haben, egal von wem" (UA 11).

Bodo Sch. erlitt erhebliche Verletzungen, u. a. eine Nasenbeinfraktur. Der Angeklagte Ri. und B. forderten den Angeklagten R. schließlich auf, "mit dem Schlagen aufzuhören." B. "wandte sich sodann dem in der Wohnung befindlichen Fernsehgerät zu, rief den Angeklagten Ri. und übergab ihm dieses Gerät mit der Aufforderung, es hinauszutragen." Der Angeklagte Ri. trug das Fernsehgerät zu dem Auto der Angeklagten S. und stellte es in den Kofferraum. B. bemerkte dazu: "Jetzt habe ich einen Teil der Schuld eingetrieben".

2. Das Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten das Fernsehgerät "gemeinschaftlich handelnd mit Gewalt (...) in der Absicht weggenommen, sich dasselbe rechtswidrig zuzueignen", und sich dadurch jeweils des schweren Raubes schuldig gemacht, rechtlicher Nachprüfung nicht stand hält:

a) Der Tatbestand des Raubes erfordert, daß die Gewalt als Mittel eingesetzt wird, um die Wegnahme zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ - RR 1997, 298; BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 7 m.w.N.). Hier erfolgte die Gewaltanwendung, auf die das Landgericht auch hinsichtlich der Wegnahme des Fernsehgerätes abgestellt hat, aber allein zu dem Zweck, eine Geldzahlung zu erzwingen. Als der Lebensgefährte der Angeklagten S. den von dem ursprünglichen Tatplan abweichenden Entschluß faßte, das Fernsehgerät wegzunehmen, und den Angeklagten Ri. veranlaßte, das Gerät zu dem Auto zu tragen, hatte der Angeklagte R. - hiervon ist nach den bisherigen Feststellungen auszugehen - bereits aufgehört, auf Bodo Sch. einzuschlagen. Zwar kommt in Betracht, daß die zuvor ausgeübte Gewalt als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fortgewirkt hat (vgl. BGH aaO; BGHSt 41, 123,124). Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe jedoch nicht. Insbesondere weil der Angeklagte Ri. und B. den Angeklagten R. vor der Wegnahme des Fernsehgerätes - auch für die Tatopfer vernehmlich - aufgefordert hatten, "mit dem Schlagen aufzuhören", versteht es sich aber unter den hier gegebenen Umständen nicht von selbst, daß die Tatopfer gleichwohl erneute Gewalt befürchteten, die Angeklagten dies erkannten und bewußt zum Zweck der Wegnahme ausnutzten.

b) Mittäter eines Raubes kann nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des Raubtatbestandes, die als das gegenüber der Neufassung dieser Vorschrift durch das 6. StrRG mildere Gesetz anzuwenden ist (§ 2 Abs. 3 StGB), zudem nur sein, wer selbst Zueignungsabsicht hat; es genügt nicht, daß ein anderer Tatgenosse von dieser Absicht geleitet wird (vgl. BGH NStZ 1998, 158 m. N.). Die Annahme des Landgerichts, daß auch die Angeklagten Ri. und R. selbst Zueignungsabsicht hatten, ist durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt. Zwar liegt Zueignungsabsicht in diesem Sinne auch dann vor, wenn der Täter einen Beutegegenstand sogleich der Verfügungsgewalt eines Mittäters überläßt und dabei einen wirtschaftlichen Vorteil oder Nutzen erstrebt, wobei der Vorteil jedoch unmittelbar oder mittelbar mit der Nutzung der Sache zusammenhängen muß (vgl. BGHSt - GS - 41, 187, 194, 196; BGHR StGB § 249 Abs. 1 Zueignungsabsicht 8). Daß die Angeklagten Ri. und R. einen solchen wirtschaftlichen Vorteil erstrebten, als sie sich an der Wegnahme des Fernsehgerätes beteiligten, läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sie von einer Verwertung der Beute durch die Angeklagte S. und B. ausgingen und eine Beteiligung an dem Erlös erstrebten. Für die Annahme einer durch die Beteiligung an der Wegnahme mittäterschaftlich begangenen schweren räuberischen Erpressung (vgl. dazu BGH NStZ 1998,158) ist ebenfalls kein Raum, da der auch nach diesem Tatbestand erforderliche finale Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und erstrebtem Vermögensvorteil (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1989 - 4 StR 480/89) nicht belegt ist. Nach den bisherigen Feststellungen kommt danach insoweit eine Verurteilung der Angeklagten Ri. und R. lediglich wegen Beihilfe zum Diebstahl in Betracht.

c) Eine Verurteilung der Angeklagten S. wegen einer mittäterschaftlichen Beteiligung an der von dem ursprünglichen Tatplan nicht umfaßten Wegnahme des Fernsehgerätes setzt zudem voraus, daß die Angeklagte auch insoweit mit B. bewußt und gewollt zusammengewirkt hat. Eine einseitige nachträgliche Billigung der in Abwesenheit der Angeklagten S. von dem Angeklagten B. begangenen Tat reicht hierfür nicht aus. Vielmehr müßte eine vor Beendigung der Tat hergestellte Willensübereinstimmung vorliegen, die allerdings auch durch schlüssiges Handeln hergestellt werden kann (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 1; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 25 Rn. 9 m. w. N.). Auch dies ist durch die bisherigen Feststellungen aber nicht hinreichend belegt. Insbesondere wird zur Kenntnis der Angeklagten S. von der Wegnahme im Rahmen der rechtlichen Würdigung lediglich mitgeteilt, daß der Angeklagte R. das Gerät "für alle sichtbar" zu dem Auto der Angeklagten S. trug (UA 16). Da sich die Urteilsgründe zu dem genauen Zeitpunkt der Kenntniserlangung und zur Frage der Beendigung der Wegnahme nicht verhalten, kommt nach den bisherigen Feststellungen auch in Betracht, daß die Wegnahme bereits beendet war, als die Angeklagte S. hiervon Kenntnis erlangte, weil die anderen Tatbeteiligten zu diesem Zeitpunkt schon eine hinreichend sichere Verfügungsgewalt über die Beute erlangt hatten (vgl. BGHR StGB § 52 Handlung, dieselbe 31).

d) Schon die danach rechtsfehlerhafte Annahme eines mittäterschaftlichen schweren Raubes führt, da die weiteren Strafgesetze hiermit rechtlich zusammentreffen, zur Aufhebung der Verurteilung der Beschwerdeführer wegen der Tat im ganzen (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Sie ist wegen der unter 2 a, b aufgezeigten sachlich - rechtlichen Mängel nach § 357 StPO auf die Verurteilung des früheren Mitangeklagten R. zu erstrecken.

3. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet ferner die Annahme des Landgerichts, daß sich die Angeklagte S. als Mittäterin die Verwendung des "Knüppels" als Tatwaffe zurechnen lassen müsse.

Allerdings ist durch die Feststellungen zu den Folgen des Einsatzes des in den Urteilsgründen nicht näher beschriebenen "Knüppels" entgegen der Auffassung der Revision der Angeklagten S. hinreichend belegt, daß es sich bei dem in der Revisionsbegründung als "Axtstiel" bezeichneten Gegenstand um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 223 a StGB a.F. und damit auch um ein Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. gehandelt hat. Die Revision beanstandet jedoch zu Recht, daß die bisherigen Feststellungen die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe auch für die Verwendung dieses gefährlichen Werkzeugs einzustehen, nicht belegen.

Zwar sollte nach dem gemeinsamen Tatplan "Druck ausgeübt werden" und die Geldforderung "gewaltsam eingetrieben werden". Den Urteilsgründen läßt sich aber nicht entnehmen, daß auch der Einsatz des "Knüppels" zwischen den Beteiligten abgesprochen war oder daß die Angeklagte jedenfalls im Verlauf des Tatgeschehens davon Kenntnis erlangte oder mit der Möglichkeit rechnete, daß der Angeklagte R. einen "Knüppel" mitführte und ihn als Tatwaffe verwenden würde. Letzteres liegt zwar nahe, wenn der Angeklagte R. den "Knüppel" schon im Auto mitführte oder die Angeklagte S. den Beginn der Auseinandersetzung im Eßzimmer miterlebt hat, bevor sie in das Nebenzimmer ging. Auch hierzu verhalten sich die Urteilsgründe jedoch nicht.

4. Rechtsfehlerhaft ist auch die Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sechs Monaten "aus dem Strafbefehl" des Amtsgerichts Bitterfeld vom 11. August 1997 (Tatzeit: 4. März 1995) in die gegen den Angeklagten Ri. verhängte Gesamtfreiheitsstrafe. Der Angeklagte ist am 13. Dezember 1995, also vor Begehung der hier abgeurteilten Tat, durch das Amtsgericht Köthen unter Einbeziehung der Freiheitsstrafen aus dem Urteil dieses Gerichts vom 14. September 1995 zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden. Da die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht erledigten Strafen aus dieser Verurteilung und aus dem Strafbefehl nach § 460 StPO auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen sind, bildet die Verurteilung vom 13. Dezember 1995 eine Zäsur, die der Bildung einer Gesamtstrafe aus der Strafe für die abgeurteilte Tat und der Strafe aus dem Strafbefehl entgegensteht (vgl. BGHSt 32, 190, 193; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Fehler 1 ).

5. Soweit das Landgericht auch bei dem Angeklagten Ri. , dessen Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war (UA 21), eine Strafrahmenmilderung nach § 250 Abs. 2 StGB a. F. abgelehnt hat (UA 20), weist der Senat darauf hin, daß dann, wenn die allgemeinen Milderungsgründe nicht ausreichen, um einen minder schweren Fall zu begründen, der vorliegende gesetzlich vertypte Milderungsgrund bereits bei der Erörterung des für den Angeklagten günstigeren Strafrahmens des minder schweren Falles heranzuziehen ist (zur Prüfungsreihenfolge vgl. BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Strafrahmenwahl 7). Im übrigen wird der neue Tatrichter schon bei der Strafrahmenbestimmung bei allen Angeklagten neben dem weiteren Zeitablauf seit der Tat auch die Dauer des Verfahrens ausdrücklich zu berücksichtigen haben (st. Rspr.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 3, 11 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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