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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: 4 StR 520/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB-DDR


Vorschriften:

StPO § 154
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StGB-DDR § 64
StGB-DDR § 21 Abs. 1
StGB-DDR § 21 Abs. 3
StGB-DDR § 122 Abs. 3 Nr. 1
StGB-DDR § 121 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 520/01

vom

29. Januar 2002

in der Strafsache

gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Januar 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 28. Juni 2001 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren und inneren Tatgeschehen aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen versuchter Vergewaltigung in zwei schweren Fällen gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten als Hauptstrafe nach § 64 StGB-DDR verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Verfahrensrügen entsprechen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind daher unzulässig.

Die Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung in zwei schweren Fällen gemäß § 121 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4; § 21 Abs. 1, Abs. 3 StGB-DDR hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch in beiden Fällen mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.

Nach den Feststellungen preßte die 15-jährige Geschädigte, nachdem sie sich auf Aufforderung des Angeklagten entkleidet hatte, in beiden Fällen die Beine zusammen, um zu verhindern, daß der Angeklagte mit seinem Glied in ihre Scheide eindringen konnte. Als er einsah, daß es ihm trotz "druckvollen Einsatzes seiner Hände" nicht gelingen würde, ihre Beine auseinander zu pressen, um mit ihr den Geschlechtsverkehr durchführen zu können, drückte er sie im Fall II. 1 gegen die Zimmerwand, im Fall II. 2 gegen sein Fahrzeug, schob sein Glied zwischen ihre Oberschenkel und vollzog dort geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen, im Fall II. 2 bis zum Samenerguß.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Vergewaltigungsversuch keinen Bestand haben. Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts ist maßgeblich, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (vgl. BGHSt 39, 221, 227f.; 35, 90, 93). Auf einen - fest umrissenen oder nur in groben Zügen gefaßten - Tatplan kommt es dabei entgegen der früheren Rechtsprechung nicht an. Der freiwillige Verzicht auf eine ohne weitere Zäsur als noch möglich erkannte Tatbestandsverwirklichung, auch wenn sie über den ursprünglichen Tatplan hinausgeht, reicht zum strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten - dann nicht etwa fehlgeschlagenen - Versuch aus (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 259 m.w.N.). Ein fehlgeschlagener Versuch liegt dann nicht vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln ohne zeitliche Zäsur noch vollenden kann (BGHSt - GS - 39, 221, 228; BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00).

Weder hat das Landgericht festgestellt noch kann dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden, daß der dem Mädchen körperlich überlegene Angeklagte aus objektiven oder subjektiven Gründen zur Anwendung stärkerer Gewalt außerstande gewesen wäre. Der Senat schließt aus, daß solches noch festzustellen ist, so daß dem Angeklagten ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch der Vergewaltigung zuzubilligen ist (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 259). Für die Beurteilung der Rücktrittsfrage ist es unerheblich, daß der Angeklagte seine geschlechtliche Befriedigung dann durch andere erzwungene sexuelle Handlungen zu erlangen suchte (BGH NStZ 1997, 385).

Da der Angeklagte die Geschädigte jedoch im Rahmen der Tatgeschehen gewaltsam zur Duldung sexueller Handlungen veranlaßte, kommt jeweils eine Verurteilung wegen einer vollendeten sexuellen Nötigung nach dem StGB oder wegen Nötigung zu sexuellen Handlungen im schweren Fall nach § 122 Abs. 3 Nr. 1 StGB-DDR in Betracht. Welches Recht als das mildere im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB i. V. m. Art. 315 EGStGB i. d. F. des Einigungsvertrages hier anzuwenden ist, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben. Der Senat kann deshalb, obwohl die vom Landgericht insoweit zum inneren und äußeren Tatgeschehen getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei sind und bestehen bleiben können, nicht selbst die erforderliche Schuldspruchänderung vornehmen. Die weiteren vom Landgericht in diesem Zusammenhang erörterten Tatbestände sind zwischenzeitlich verjährt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hindert die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Verfahrensbeschränkung auf die "Sachverhalte der Anklage" gemäß § 154 StPO eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung bzw. wegen Nötigung zu sexuellen Handlungen im schweren Fall nicht. Die Einstellung des Verfahrens betrifft lediglich die Verfolgung anderer - nicht angeklagter - Taten. Die vom Angeklagten erzwungenen sexuellen Handlungen, die von ihm eingesetzte Gewalt und ihre Begleitumstände werden aber schon im Anklagesatz dargestellt.

Darüber hinaus halten die Erwägungen des Landgerichts, die zur Anwendung von DDR-Recht geführt haben, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Da die Tatzeiten der in der ehemaligen DDR begangenen Delikte vor dem 3. Oktober 1990 liegen, ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 315 EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrages in einem Gesamtvergleich zu prüfen, ob bei konkreter Betrachtungsweise die Vorschriften des Strafrechts der DDR oder die Vorschriften des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland die dem Angeklagten günstigere Beurteilung zulassen (vgl. BGHSt 37, 320, 322).

Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob die Annahme minder schwerer Fälle nach dem StGB in Betracht kommt. In diesem Fall wäre das StGB wegen des günstigeren Strafrahmens gegenüber dem StGB-DDR das mildere Recht. Wie die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne aufgeführten Strafmilderungsgründe - lange zurückliegende Tatzeiten, fehlende Vorstrafen, geringes Maß der Gewalt - zeigen, liegen minder schwere Fälle hier nicht so fern, daß auf eine Erörterung dieser Frage unter konkreter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verzichtet werden konnte.

Der neue Tatrichter wird deshalb auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren und inneren Tatgeschehen im Rahmen einer konkreten Betrachtungsweise der besonderen Umstände des Einzelfalls einen Gesamtvergleich des Strafrechts der DDR und des zum Tatzeitpunkt und jetzt geltenden Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen und zu prüfen haben, welche Strafvorschriften zu der für den Angeklagten mildesten Verurteilung führen.

Ende der Entscheidung

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