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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.06.2006
Aktenzeichen: 4 StR 67/06
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 1
GVG § 74 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 67/06

vom 13. Juni 2006

in der Strafsache

gegen

wegen versuchten Mordes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Juni 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. November 2005

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Mordes entfällt,

b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Der aus Vietnam stammende Angeklagte war davon überzeugt, er sei der leibliche Vater der im Februar 2003 geborenen Nina, deren Mutter Prapkak K. zum Zeitpunkt der Geburt mit einem anderen Mann verheiratet war. Dieser erhob, nachdem er von der Beziehung seiner Frau zu dem Angeklagten Kenntnis erlangt hatte, eine Vaterschaftsanfechtungsklage beim Amtsgericht Essen. Anfang April 2005 traf der Angeklagte, der Nina besuchen wollte, in der Wohnung Prapkak K. 's auf deren neuen Freund Rolf R. , der ihm erklärte, er werde Prapkak K. heiraten. Der Angeklagte könne Nina nicht immer besuchen und solle aufhören, Prapkak K. zu belästigen. "Um sich Genugtuung zu verschaffen", entschloss sich der Angeklagte, Rolf R. "eine Lektion" zu erteilen. Der Angeklagte, der vom Amtsgericht Essen in der Kindschaftssache auf den 2. Mai 2005 als Zeuge geladen war, ging davon aus, er werde Rolf R. an diesem Tage im Gebäude des Amts- und Landgerichts Essen antreffen. Da er wusste, dass Besucher des Gerichts mit einem Metalldetektor darauf untersucht werden, ob sie metallische Gegenstände bei sich tragen, spitzte er zwei Paar Essstäbchen aus Bambus mit einem Messer an.

Am Tattag steckte der Angeklagte ein Paar dieser Essstäbchen in seine rechte Hosentasche. Damit wollte er Rolf R. in den Bauch stechen, wobei er mit der Möglichkeit rechnete, dass ein solcher Stich tödlich sein könnte. Dies nahm er billigend in Kauf. Das andere Paar Essstäbchen steckte er in die linke Hosentasche. Diese Stäbchen wollte er "nur einsetzen, um sich zu wehren, falls R. ihn nach der Tat seinerseits angreifen würde". In dem Gerichtsgebäude ging er auf Rolf R. und Prapkak K. zu, die vor dem Verhandlungssaal auf einer Bank saßen. Nach einem kurzen Gespräch mit Prapkak K. , die sich danach entfernte, griff der Angeklagte in die rechte Hosentasche, legte sich die Essstäbchen so in der Hand zu recht, dass die Handinnenfläche als Widerlager eine optimale Kraftübertragung gewährleistete, ging auf Rolf R. zu und versuchte, ihm die Stäbchen in den Bauch zu stoßen. Rolf R. nahm an, der Angeklagte wolle ihm die Hand geben, und hob seine linke Hand. Eines der Stäbchen glitt von einem Knochen der linken Hand ab, drang in das Unterhautfettgewebe ein, trat nach 2,5 cm wieder aus der Hand aus und blieb im Handrücken stecken. Das andere Stäbchen wurde durch die Handbewegung abgelenkt, rutschte vom Bauch des Tatopfers ab und fiel zu Boden.

Zu dem weiteren Tatgeschehen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:

"Die Wut des Angeklagten war noch nicht erloschen. Er versetzte dem immer noch vor ihm sitzenden R. mit dem Knie einen Stoß gegen den Kopf und schlug mit den Fäusten auf ihn ein, bis ihn nach wenigen Sekunden Andreas T. wegzog, der - wie zahlreiche andere Personen - wegen eines anderen Verfahrens auf dem Flur wartete und durch den Lärm auf das Geschehen aufmerksam geworden war. Die Spannung fiel von dem Angeklagten ab. Er sah, dass das Stäbchen in R. s Hand steckte; das reichte ihm als Lektion aus. Er wollte noch einmal auf R. zugehen, um ihm - so seine unwiderlegte Einlassung - sein Handeln zu erklären, wurde jedoch von T. zurückgehalten".

II.

Soweit das Landgericht den Angeklagten der - mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB) - begangenen gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen hat, weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf. Der Beschwerdeführer erhebt insoweit auch keine Einwendungen. Dagegen kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht den Angeklagten auch wegen tateinheitlich verwirklichten versuchten Mordes verurteilt hat.

1. Allerdings begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Stich mit den Essstäbchen gegen den Bauch des Tatopfers mit bedingtem Tötungsvorsatz geführt, entgegen der Auffassung der Revision keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen.

2. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Mord beanstandet die Revision jedoch zu Recht.

a) Das Landgericht meint, der Mordversuch sei, als der Zeuge T. eingegriffen habe, entweder fehlgeschlagen gewesen oder der Rücktritt des Angeklagten sei auf Grund der damit geschaffenen Zwangslage nicht mehr freiwillig erfolgt. Die Einlassung des Angeklagten, er habe, weil er erkannt habe, dass Rolf R. verletzt gewesen sei, davon abgesehen, mit den Stäbchen aus der linken Hosentasche ein weiteres Mal zuzustechen, obwohl er die Hände frei gehabt und Rolf R. immer noch vor ihm gesessen habe, sei widerlegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Angeklagte die Stäbchen in seiner linken Hosentasche nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg einsetzen können, weil das Herausziehen und Zurechtlegen der Stäbchen mehrere Sekunden gedauert hätte, der Zeuge T. durch die Kampfgeräusche auf das Geschehen aufmerksam geworden sei und den Angeklagten daher - allein oder mit weiteren Personen - daran gehindert hätte, die Stäbchen einzusetzen. Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken:

Das Landgericht hat zwar nicht verkannt, dass auch derjenige vom unbeendeten Tötungsversuch strafbefreiend zurücktreten kann, der von ihm möglichen weiteren Tötungshandlungen allein deshalb absieht, weil er sein außertatbestandliches Ziel bereits erreicht hat oder erreicht zu haben glaubt (BGHSt 39, 221, 231/232), so dass hier ein strafbefreiender Rücktritt nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Angeklagte sein Ziel, dem Tatopfer, eine Stichverletzung zuzufügen, um ihm eine "Lektion" zu erteilen, bereits erreicht hatte. Entgegen der Auffassung des Landgerichts reicht es aber für Annahme eines fehlgeschlagen Versuchs auch nicht aus, dass es dem Angeklagten objektiv nicht möglich war, den Tötungsversuch unter Verwendung des anderen Stäbchenpaares fortzusetzen. Für die Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, der nach der Rechtsprechung einen Rücktritt ausschließt (vgl. BGHSt 34, 53, 58; 39, 221, 228), sind vielmehr die Vorstellungen des Täters zum Zeitpunkt des Scheiterns seines Versuchs, das Opfer durch Verwendung des zunächst eingesetzten Tatmittels zu töten, maßgeblich (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGHSt 39, 221, 227/228). Gelangt der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden, liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor (vgl. BGHSt aaO S. 331), sondern ein unbeendeter Versuch, von dem er, wenn er sich freiwillig dazu entschließt, sein Opfer nur noch körperlich zu verletzen, durch bloßes Aufgeben des Tötungsvorsatzes zurücktreten kann (vgl. BGHSt 34, 53, 58; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 4 StR 25/03).

Zu der danach unter Beachtung des Zweifelssatzes zu beantwortenden Frage, ob der Angeklagte, was nach den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen eher fern liegt, den Tötungsversuch entgegen seiner Einlassung als endgültig gescheitert angesehen hatte, als er dem Opfer unmittelbar nach dem Stich mit den Stäbchen mit dem Knie einen Stoß gegen den Kopf versetzte und auf das Opfer einschlug, hat das Landgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Zudem ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte wäre gegebenenfalls von dem Zeugen T. oder anderen Personen daran gehindert worden, den Tötungsversuch mit dem anderen Stäbchenpaar fortzusetzen, mit den zum weiteren Geschehensablauf getroffenen Feststellungen nicht zu vereinbaren. Der Zeuge T. ist erst durch die - von den weiteren Köperverletzungshandlungen verursachten - "Kampfgeräusche" auf das Geschehen aufmerksam geworden und hätte demgemäß auch dann, wenn der Angeklagte das Tatopfer nicht geschlagen sondern den Tötungsversuch sogleich mit den anderen Stäbchen fortgesetzt hätte, erst nach der Fortsetzung des Tötungsversuchs eingreifen können. Die Verurteilung wegen tateinheitlich versuchten Mordes kann deshalb keinen Bestand haben.

b) Nach der bestehenden Beweislage erscheint es ausgeschlossen, dass sich aufgrund neuer Hauptverhandlung weiter gehende Feststellungen treffen lassen, die mit der erforderlichen Sicherheit die Ablehnung eines freiwilligen Rücktritts vom versuchten Mord tragen könnten. Der Senat kann deshalb gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entscheiden und den Schuldspruch dahin ändern, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Mordes entfällt.

3. Die Schuldspruchänderung hat wegen des geänderten Schuldumfanges die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge.

4. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, weil das Verfahren nicht mehr einen in § 74 Abs. 2 GVG bezeichneten Straftatbestand betrifft (vgl. BGH NJW 1994, 3304, 3305 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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