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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.04.2000
Aktenzeichen: 5 StR 169/00
Rechtsgebiete: UStG, UStDV


Vorschriften:

UStG § 18 Abs. 8 Nr. 1
UStG § 4 Nr. 20 lit. a
UStG § 4 Nr. 20
UStDV §§ 51 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 169/00

vom

5. April 2000

in der Strafsache

gegen

wegen Steuerhinterziehung

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2000 beschlossen:

Tenor:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden nach Art. 234 Abs. 3 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1) dahin auszulegen, daß der dort verwendete Begriff der "anderen ... anerkannten Einrichtung" auch einen Solisten erfaßt, der kulturelle Dienstleistungen erbringt?

2. Falls Frage 1 bejaht wird:

Ergeben sich Einschränkungen aus der in Art. 13 Teil A gewählten Überschrift "... dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten", etwa wenn die Solisteneinsätze vorrangig Vermarktungszwecken dienen?

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 22. Dezember 1998 wegen Steuerhinterziehung in 58 Fällen sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen.

Aus dem Gesamtverfahren hat der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage das vorliegende Verfahren abgetrennt. Es umfaßt den Vorwurf, der Angeklagte habe in 19 Fällen Umsatzsteuern dadurch verkürzt, daß er entgegen seinen Verpflichtungen gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG, §§ 51 ff. UStDV als Leistungsempfänger für steuerpflichtige Umsätze, die im Ausland ansässige Unternehmer ihm gegenüber erbracht haben, keinen Steuerabzug vorgenommen hat (Fälle III.D.4 Nr. 3 bis 6 und 8 bis 22 der Urteilsgründe).

1. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeklagte betrieb seit 1971 ein Konzertbüro für Popmusik- und später auch Klassikkonzerte. Anfang der neunziger Jahre wurde er zu einem der bedeutendsten Konzertveranstalter Deutschlands. Seine Geschäfte wickelte er über vier Unternehmen ab, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er im Tatzeitraum war. In den Jahren 1992 bis 1997 trat der Angeklagte im wesentlichen als Veranstalter klassischer Konzerte auf. Bei diesen wurden vor allem Lieder und Opernarien dargeboten, bei denen jeweils der Einzelvortrag der auftretenden Sänger im Vordergrund stand. In den Jahren 1996/1997 organisierte er die Welttournee der drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras. Für sämtliche Veranstaltungen hatten die zuständigen Kulturbehörden dem Angeklagten Bescheinigungen darüber ausgestellt, daß die "Veranstaltungsumsätze" solchen nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG "gleichwertig" seien.

Der Angeklagte zog allerdings in erheblichem Umfang von den in den Jahren 1993 bis 1997 an ausländische Künstler gezahlten Gagen keine Einkommensteuern und Umsatzsteuern ab, meldete diese bei den Finanzbehörden nicht an und führte sie auch nicht ab. Ihm war hierbei bekannt, daß er als Geschäftsführer der als Konzertveranstalter auftretenden vier Unternehmen gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG, §§ 51 ff. UStDV grundsätzlich zum Abzug, zur Anmeldung und zur Abführung der anfallenden Umsatzsteuern verpflichtet war. Zur Verdeckung der Zahlung von Leistungsentgelten (Gagen) an die ausländischen Künstler ergriff der Angeklagte umfangreiche Maßnahmen:

So wurden ab Beginn des Jahres 1993 im Ausland ansässige Konzertveranstalter zum Schein in die Vertragsabwicklung eingeschaltet, um die Verpflichtung zum Steuerabzug im Inland zu verschleiern.

In einigen Fällen teilte der Angeklagte die an ausländische Künstler gezahlten Gagen in mehrere Teile auf, um jeweils nur ein Drittel dem Steuerabzug zu unterwerfen. Die restlichen Zahlungen wurden als Gegenleistung für die Planung und die Vorbereitung der Auftritte, das Studium des Repertoires oder Beratungsleistungen bezeichnet.

Für die in den Jahren 1996 und 1997 vom Angeklagten veranstaltete weltweite Konzerttournee der drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras verwendete der Angeklagte schließlich eine schwer zu durchschauende Konstruktion von Verträgen und Geldflüssen zwischen einer Mehrzahl von in- und ausländischen Firmen, um die wahren Leistungsbeziehungen zwischen den von ihm geleiteten Firmen und den drei Tenören zu verschleiern und um sich seinen steuerlichen Verpflichtungen zu einem erheblichen Teil zu entziehen.

Von Beginn an war geplant, daß jeder der drei Tenöre bei der Kon-zertreihe von insgesamt zwölf Konzerten pro Auftritt eine Festgage von netto 1,5 Millionen US-Dollar erhalten sollte. Dem Tenor Placido Domingo sollte darüber hinaus jeweils noch eine Zusatzvergütung von 500.000 US-Dollar pro Auftritt bezahlt werden. Von den zwölf Konzerten der drei Tenöre fanden zwei in Deutschland statt, nämlich am 3. August 1996 in Düsseldorf und am 24. August 1996 in München. Zur Verschleierung der Höhe dieser Gagen und zur Vermeidung insbesondere der "Künstlereinkommensteuer" in Form eines Steuerabzugs von den Gagen für inländische Konzerte wurden die Leistungsentgelte zu einem erheblichen Teil als angebliche Lizenzzahlungen für das Logo "The-3-Tenors" bezeichnet.

2. Hinsichtlich der auf die Konzertveranstaltungen entfallenden Umsatzsteuern stellte sich der Angeklagte auf den Standpunkt, daß er keine Umsatzsteuern für solche Konzerte einbehalten und abführen müßte, die von den Landesbehörden als "gleichartige Einrichtungen" mit "gleichen kulturellen Aufgaben" im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG anerkannt worden seien und damit wie andere begünstigte Einrichtungen, die von Gesetzes wegen von der Umsatzsteuer befreit seien, hätten behandelt werden müssen.

3. Das Landgericht ist dagegen der Ansicht, daß der Angeklagte gemäß § 18 Abs. 8 UStG, §§ 51 ff. UStDV verpflichtet gewesen sei, von den an die ausländischen Künstler gezahlten Gagen im Wege des Steuerabzugs Umsatzsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Es hält eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG nicht für gegeben, da die betroffenen Künstler als Solisten aufgetreten seien. Auf solche sei die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 20 lit. a UStG nicht anwendbar, da es sich bei Solisten nicht um Einrichtungen im Sinne dieser Vorschrift handele. Bei den Auftritten hätte die jeweilige Einzelpersönlichkeit der Künstler im Vordergrund gestanden und nicht eine Gesamtdarbietung der Künstler; auch sei das musikalische Arrangement auf den Vortrag des einzelnen Künstlers zugeschnitten gewesen. Schließlich seien die Verträge mit den Künstlern als Einzelpersonen abgeschlossen worden, so daß die vertraglich geschuldete Leistung nicht die eines Duos oder Trios gewesen sei. Selbst bei Zugrundelegung der weit gefaßten Umsatzsteuerrichtlinie Nr. 107 Abs. 1 könnten Einrichtungen im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG nur Musik- und Gesangsgruppen sein, die aus zwei oder mehr Mitwirkenden bestehen. Nur sie könnten die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen wie die in § 4 Nr. 20 lit. a UStG genannten Einrichtungen wie z. B. Orchester, Kammermusikensembles oder Chöre.

Einen Verstoß der vorgenannten Auslegung von § 4 Nr. 20 lit. a UStG gegen Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im folgenden: Sechste Richtlinie) sah das Landgericht nicht. Art. 13 Teil A Absatz 2 stelle es in das Ermessen der Mitgliedstaaten, die Steuerbefreiung kultureller Dienstleistungen von weiteren Bedingungen abhängig zu machen. Solche Bedingungen seien zum Beispiel, daß keine systematische Gewinnerzielung erstrebt werden dürfe oder die Leitung und Verwaltung im wesentlichen ehrenhalber erfolgen müsse. Dies zeige, daß die Sechste Richtlinie in erster Linie wirtschaftlich schwache und in besonderem Maße dem Gemeinwohl verpflichtete Einrichtungen als förderungswürdig ansehe. Im übrigen sei es eine Frage des nationalen Rechts, wenn die Mitgliedstaaten die nach der Sechsten Richtlinie zulässigen Ausnahmen von der Regelbesteuerung nicht voll ausschöpften. Außerdem sei diese Steuerbefreiung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ohnehin nicht auf natürliche Personen anwendbar.

4. Mit der Revision gegen seine Verurteilung rügt der Angeklagte im wesentlichen den Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union. Die Versagung der Umsatzsteuerbefreiung für Solisten stelle eine rechtswidrige Diskriminierung dar. Zwar lasse der gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Regelungsrahmen Ausnahmen von der Regelbesteuerung zu, wobei die "Ausfüllungskompetenz" dem nationalen Gesetzgeber obliege. Die nationalstaatliche Umsetzung dürfe jedoch nicht zu Ergebnissen führen, die der gemeinschaftsrechtlichen Zwecksetzung zuwider liefen. Das Abstellen auf die Anzahl der beteiligten Personen (in Abgrenzung vom Solisten) widerspreche dem Zweck der Sechsten Richtlinie, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu sichern und dadurch Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Der Angeklagte verweist hierbei auf die geänderte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu Einrichtungen sozialen Charakters, wonach gegenüber der früheren Rechtsansicht des Gerichtshofs (EuGH, Urt. vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-453/93, Bulthuis-Griffioen, Slg. 1995, I-2341) der Begriff der "Einrichtung" nicht mehr nur auf juristische, sondern auch auf natürliche Personen anwendbar sei (EuGH, Urt. vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-216/97, Gregg).

5. Dem widerspricht die Staatsanwaltschaft, nach deren Ansicht es dem nationalen Gesetzgeber freistehe, mit sachgerechten Differenzierungen wettbewerbsregelnde Vorschriften zu erlassen, solange Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vermieden würden. Um eine derartige wettbewerbsregelnde Vorschrift handele es sich bei § 4 Nr. 20 UStG, der auf subventionsrechtliche Aspekte abziele. Es seien die Umsätze staatlicher und kommunaler Einrichtungen freigestellt worden, die bei Erhebung von Umsatzsteuer stärker gefördert hätten werden müssen, da die Öffentlichkeit höhere Preise nicht akzeptiert hätte. Der Gerichtshof habe nicht entschieden, daß es keine steuerbegünstigten oder steuerbefreiten Unternehmer geben dürfe, sondern lediglich, daß Unternehmer nicht wegen ihrer Rechtsform benachteiligt werden dürften. Es komme daher darauf an, ob die Künstler durch die Befreiungsnorm staatlich geförderten Bühnen etc. gleichgestellt werden sollten, denen der deutsche Fiskus Steuerbefreiungen gewähren wollte.

II.

Der Senat hält die Beantwortung der Vorlagefragen für den Erlaß seiner Entscheidung für erforderlich und legt diese deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung vor. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Gerichtshof) hat - soweit ersichtlich - bisher keine Entscheidung zu Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG getroffen. Er hat allerdings in den Rechtssachen C-453/93 und C-216/97 wiederholt zu dem Begriff der Einrichtung im sozialen Bereich (lit. b und g dieses Absatzes der Sechsten Richtlinie) Stellung genommen.

Zunächst hat der Gerichtshof in einer zu Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. g der Sechsten Richtlinie in der Rechtssache C-453/93 ergangenen Entscheidung (EuGH, Urt. vom 11. August 1995, Bulthuis-Griffioen, Slg. 1995, I-2341) ausgesprochen, daß die in Art. 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie genannten Befreiungen nicht von einer natürlichen Person in Anspruch genommen werden könnten, wenn in der jeweiligen Bestimmung ausdrücklich auf den Begriff der "Einrichtung" Bezug genommen werde. Die Befreiungen stellten Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz dar, daß jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringe, der Mehrwertsteuer unterliege. Aus diesem Grund seien die Begriffe, mit denen sie umschrieben seien, eng auszulegen (EuGH aaO).

Dem sind die deutsche Rechtsprechung und Finanzverwaltung gefolgt und haben dementsprechend bei künstlerischen Darbietungen (Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie, § 4 Nr. 20 lit. a UStG) für Solistenauftritte eine Befreiung von der Umsatzsteuer versagt (vgl. z. B. BFH BStBl. II 1996, 386; UStR Nr. 107 Abs. 1) mit der Begründung, daß die Steuerbefreiung nicht von natürlichen Personen in Anspruch genommen werden könne.

Demgegenüber hat der Gerichtshof nunmehr zu lit. b und g abweichend entschieden, daß auch eine natürliche Person "Einrichtung" im Sinne von Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. b und g der Sechsten Richtlinie sein kann (EuGH, Urt. vom 7. September 1999, Gregg, ABl. EG 1999, Nr. C 352 1 - 2 [Leitsatz], einschließlich der wesentlichen Urteilsgründe abgedruckt in: Tätigkeiten des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Nr. 21/99). Der Begriff der "Einrichtung sei grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen zu erfassen" (EuGH aaO Rdn. 17). Zwar lege er die Existenz einer abgegrenzten Einheit nahe, die eine bestimmte Funktion erfülle. Dieses Merkmal treffe aber nicht nur auf juristische Personen zu, sondern auch auf eine oder mehrere natürliche Personen, die ein Unternehmen betrieben (EuGH aaO Rdn. 18).

Es liegt nahe, den Begriff der "anerkannten Einrichtung" innerhalb derselben Vorschrift des Art. 13 der Sechsten Richtlinie einheitlich auszulegen mit der Folge, daß auch die Auftritte von "Solisten" als natürlichen Personen bei Anerkennung der kulturellen Gleichartigkeit durch die Mitgliedstaaten der Steuerbefreiung unterfielen.

Für dieses Ergebnis spricht auch die vom Gerichtshof in der Rechtssache Fischer (EuGH, Urt. vom 11. Juni 1998, EuGHE I 1998, 3369 - 3399) hervorgehobene Neutralität der Umsatzbesteuerung, wonach es der im Mehrwertsteuersystem maßgebliche Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbiete, daß Wirtschaftsteilnehmer, welche gleiche Umsätze bewirkten, bei deren Besteuerung unterschiedlich behandelt würden.

Die Erheblichkeit der vorgelegten Rechtsfragen folgt aus dem Umstand, daß der Angeklagte im Falle einer (nicht im Sinne von Frage 2 eingeschränkten) Bejahung der aufgeworfenen Frage 1 zu Recht keine Umsatzsteuern auf die Gagen der Künstler einbehalten und abgeführt hätte und somit der strafrechtliche Schuldspruch der Umsatzsteuerhinterziehung entfiele.

Ende der Entscheidung

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