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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.10.2002
Aktenzeichen: 5 StR 295/02
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 177 Abs. 1
StPO § 52
StPO § 247
StPO § 52 Abs. 3 Satz 1
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 StR 295/02

vom 22. Oktober 2002

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin Harms,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenklägerin und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 19. Dezember 2001 werden verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Die Kosten der Revisionen der Nebenklägerin und des Angeklagten fallen dem jeweiligen Beschwerdeführer zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dreier Fälle des schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und hat deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im übrigen - 41 weitere Taten waren angeklagt - hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen.

Das Urteil wird umfassend angefochten von der Staatsanwaltschaft, deren Revision vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und von der Nebenklägerin; beide Revisionen richten sich mit der Sachrüge zum Nachteil des Angeklagten gegen die Schuldsprüche - insoweit wird insbesondere die Nichtverurteilung wegen tateinheitlicher Vergewaltigung beanstandet - sowie gegen die Freisprüche. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision mit einer Verfahrensrüge und mit der allgemeinen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

1. Die Verurteilung erfaßt drei im Mai 1998 begangene Taten des Angeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin, der damals achtjährigen Enkelin seiner Ehefrau. Das Mädchen lebte zu dieser Zeit während eines Umzugs ihrer Eltern vorübergehend unter der Obhut ihrer Großmutter mütterlicherseits und des "als Großvater akzeptierten" Angeklagten in deren Wohnung. Gegenstand der Verurteilung sind zwei Mißbrauchsfälle in der großelterlichen Wohnung jeweils mit versuchtem Analverkehr und Einführen eines Fingers in den After des Kindes und ein Fall des Mißbrauchs in der Gartenlaube der Eltern des Kindes, bei dem es neben den genannten Sexualhandlungen noch zur Einführung des mit einem Kondom geschützten Gliedes des Angeklagten in den Mund des Kindes gekommen war. Das Landgericht hat die Taten zum Nachteil des insgesamt bestreitenden Angeklagten aufgrund der im Einvernehmen mit einem psychologischen Sachverständigen generell als glaubhaft erachteten Zeugenaussage der Nebenklägerin festgestellt; deren Angaben fanden eine gewisse Bestätigung durch Feststellungen zum konkreten Rahmengeschehen der drei Einzelfälle.

Eine sichere Überzeugung vom Vorliegen einer der weiteren angeklagten 41 Taten zum Nachteil der Nebenklägerin konnte sich das Landgericht trotz der grundsätzlich angenommenen Zuverlässigkeit der - freilich unstrukturiert - von weiteren Serientaten berichtenden kindlichen Zeugin nicht bilden.

2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erweisen sich im Ergebnis als unbegründet.

a) Zur Zeit der Urteilsfindung durch das Landgericht bestanden im vorliegenden Fall ungeachtet der Aussagetüchtigkeit und grundsätzlichen Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin außerordentliche Probleme bei der Wahrheitsfindung, und zwar auch jenseits der in Fällen der vorliegenden Art üblichen Schwierigkeiten bei der Bewertung der Zeugenaussagen von Kindern, wie sie durch mängelbehaftete Erinnerungsfähigkeit und Wiedergabeprobleme und daraus insbesondere auch folgende Brüche in der Aussagekonstanz verursacht werden. Zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung lag ein Zeitraum von nahezu drei Jahren, während dessen das Verfahren nicht maßgeblich gefördert worden war. Die zur Zeit ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung zwölfjährige Zeugin mußte über Vorgänge berichten, die sie im Alter von acht Jahren erlebt hatte. Die kindliche Zeugin war abgesehen von Vernehmungen und Glaubhaftigkeitsuntersuchung immer wieder auch von Privatpersonen zu den Taten befragt worden. Nachdem kurz nach Bekanntwerden des Tatverdachts gegen den Angeklagten die Mutter der Zeugin und eine Freundin der Mutter sich offensichtlich intensiv um Erlangung von Informationen gegenüber dem Kind bemüht hatten (s. UA S. 8 f., 18 ff.), wurde das Mädchen während des letzten Jahres in einer - sicherlich wohlmeinenden - Pflegefamilie "mental auf die bevorstehende Hauptverhandlung" vorbereitet (s. UA S. 9, 21 f.). Erwiesenermaßen hatte das Mädchen schon vor Aufdeckung der hier zu beurteilenden Taten ihren Vater und den Großvater väterlicherseits des sexuellen Mißbrauchs zu ihrem Nachteil beschuldigt (s. UA S. 8, 10 f., 16 f., 21). Diese Beschuldigung, deren Richtigkeit ungeklärt geblieben ist, hatte die Zeugin damals wenig später zurückgenommen. In der Hauptverhandlung hat sie objektiv wahrheitswidrig mit Bestimmtheit in Abrede gestellt, jemals eine solche Beschuldigung erhoben zu haben.

b) Vor dem Hintergrund all dieser Erschwernisse für die Wahrheitsermittlung nimmt der Senat die überaus vorsichtige Beweiswürdigung des Tatgerichts hin, das zu einem Schuldspruch lediglich bei drei nach Tatort, Tatzeit und Begehungsweise klar feststellbaren und abgrenzbaren Taten einer darüber hinaus nicht für näher konkretisierbar gehaltenen Mißbrauchsserie gelangt ist. Durchgreifende Bedenken wegen Widersprüchlichkeit oder Lückenhaftigkeit der den Teilfreisprüchen zugrundeliegenden Beurteilung liegen nicht vor; die darauf abzielenden Einzelangriffe der Revisionen bleiben erfolglos.

aa) Nach den Schilderungen der kindlichen Zeugin mag die Annahme wenigstens einmal wiederholter Mißbrauchshandlungen in sämtlichen drei bezeichneten Räumen der großelterlichen Wohnung näherliegend erscheinen. Die Aburteilung von nur zwei allein nach dem Vorgeschehen differenzierten Taten ist indes - namentlich vor dem Hintergrund besonderer zeitbedingter Erinnerungsschwierigkeiten, zudem verbunden mit gewissen Übertragungs- und Suggestionsgefahren - im Rahmen der grundsätzlich dem Tatgericht übertragenen Verantwortung für die Beweiswürdigung vom Revisionsgericht nicht zu beanstanden.

bb) Daß das Landgericht zu einem von der Nebenklägerin geschilderten, bereits im Vorschulalter erlebten Initialfall und zu einem von ihr bekundeten Fall in der Gartenlaube der Großeltern keine näheren Feststellungen getroffen und mangels Anklage in beiden Fällen keine Grundlage für eine Verurteilung gesehen hat, ist wegen massiver zeitlicher Differenz im ersten und gravierender Unterschiedlichkeit in der Begehungsweise beim zweiten Fall nicht zu beanstanden. Immerhin hat auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft insoweit in der Hauptverhandlung eine Nachtragsanklage erhoben, deren Einbeziehung der Angeklagte nicht zugestimmt hat.

c) Konkrete, indes im einzelnen nicht einmal aufklärbare Anhaltspunkte für Bedrohungen durch den Angeklagten wurden von der Nebenklägerin lediglich bezogen auf die Durchsetzung ihres Schweigens, nicht unmittelbar bezogen auf Mißbrauchshandlungen geäußert (vgl. dazu UA S. 7, 13, 17 f.). Weder hiernach noch wegen im Zusammenhang mit dem ersten Fall festgestellter Bewegungsabläufe (UA S. 6) war das Landgericht sachlichrechtlich unbedingt gehalten, hinsichtlich der abgeurteilten Taten eine Erfüllung der objektiven und - eher fernliegenden - subjektiven Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 StGB ausdrücklich zu prüfen.

Auch sonst enthalten die Schuldsprüche keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten.

d) Für ein Übersehen notwendig bestimmender strafschärfender Zumessungskriterien ist nichts ersichtlich. Die milden Einzelstrafen, die Gesamtstrafe und die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung zugunsten des kranken und unbestraften Angeklagten sind zumal vor dem Hintergrund der zeitlichen Besonderheiten noch nicht rechtsfehlerhaft.

3. Schließlich bleibt auch die Revision des Angeklagten erfolglos.

a) Die Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 52 StPO ist mangels hinreichenden Sachvortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) bereits unzulässig, jedenfalls offensichtlich unbegründet. Anlaß einer freibeweislichen Anhörung der Nebenklägerin vor ihrer eigentlichen Zeugenvernehmung, vor welcher sie nach Auffassung der Revision bereits über ihr Zeugnisverweigerungsrecht hätte belehrt werden müssen, war ausweislich des Protokolls ein - im Ergebnis erfolgloser - Antrag der Nebenklägervertreterin auf Entfernung des Angeklagten von der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin gemäß § 247 StPO, um deren vollständige Zeugenaussage zu gewährleisten; über ihre Angst vor dem Angeklagten wurde die Nebenklägerin informatorisch gehört. Zum Verständnis und zur Beurteilung der Rügen wäre die Vermittlung einer genauen Kenntnis dieser Verfahrensvorgänge notwendig gewesen. Jedenfalls ist aber offensichtlich, daß das Urteil auf den gerügten Verstößen gegen Belehrungspflichten aus § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht beruht. Die Nebenklägerin ist vor ihrer eigentlichen, für die Urteilsfindung allein maßgeblichen Zeugenaussage belehrt worden. Ihre schon frühzeitig auf die Zuerkennung von Schmerzensgeld bedachten (UA S. 9) Eltern erstrebten aufgrund ihrer Beratung durch die rechtskundige Nebenklägervertreterin als ihren anwaltlichen Beistand, die sie über die Verfahrensrechtslage zudem naheliegend informiert hatte, eine möglichst eingehende Zeugenvernehmung ihrer Tochter (vgl. insoweit zum Beruhen nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 52 Rdn. 32, 34 mit Rechtsprechungsnachweisen).

b) Die Sachrüge deckt zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Den zeitlichen Besonderheiten ist zu seinen Gunsten durch die gerade bei fehlendem Geständnis ungewöhnlich milde Rechtsfolge im Ergebnis ersichtlich ausreichend Genüge getan.

Ende der Entscheidung

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