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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.11.2000
Aktenzeichen: 5 StR 387/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 55
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 387/00

vom

8. November 2000

in der Strafsache

gegen

1.

2.

wegen versuchten Totschlags u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. November 2000 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten Y wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. März 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.

2. Die Revision der Angeklagten Z gegen das vorgenannte Urteil wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Die Angeklagte Z hat die Kosten ihrer Revision zu tragen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Y wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladewaffe mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und die Angeklagte Z wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Während die Revision der Angeklagten Z im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet ist, hat das Rechtsmittel des Angeklagten Y mit einer Verfahrensrüge Erfolg, die die Ablehnung des Hilfsbeweisantrages auf Vernehmung der Zeugen , und K betrifft. Eines Eingehens auf die weitere Verfahrensrüge und auf die Sachrüge bedarf es daher nicht.

Für den Fall, daß die Strafkammer nicht von einer Notwehrlage des Angeklagten ausgehen sollte, hatte der Angeklagte beantragt, die oben genannten Zeugen zum Beweis dafür zu vernehmen, daß der Zeuge K den Angeklagten in den zur Wohnung des Zeugen H führenden Hof gelockt habe, damit der Angeklagte dort entsprechend dem Vorhaben des H erschossen werden könne. Damit sollte bewiesen werden, daß Mitglieder der Familie H das Feuer auf den Angeklagten eröffnet hätten, dieser sich nur verteidigt habe und daß bei diesem Schußwechsel der Zeuge K versehentlich getroffen worden sei. Die Strafkammer hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung ohne Bedeutung seien. Sie hat hierzu ausgeführt, daß die Zeugen die Beweisbehauptungen voraussichtlich nicht bestätigen würden, weil dies einer Selbstbezichtigung gleichkäme, zumal sich die Zeugen auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen könnten. Sollten sie wider Erwarten doch im Sinne des Beweisantrages aussagen, so werde das Gericht ihnen nicht folgen, weil die Behauptungen mit dem bisherigen Beweisergebnis, wonach der Angeklagte nicht in eine Falle gelockt worden sei, er als erster, und zwar gezielt, auf K geschossen habe, nicht vereinbar seien.

Mit dieser Begründung durfte der Antrag nicht abgelehnt werden. In solchem Vorgehen liegt eine unzulässige Beweisantizipation (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 - Bedeutungslosigkeit 23 m.w.N.). Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als bedeutungslos ansehen, wenn sie selbst für den Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zuläßt und das Gericht in freier Beweiswürdigung den möglichen Schluß nicht ziehen will, weil es ihn im Hinblick auf die gesamte Beweislage für falsch hält; bei dieser Prüfung darf das Gericht weder die Wahrheit der Beweistatsache noch den Wert des angebotenen Beweismittels in Frage stellen (BGHR § 244 Abs. 3 Satz 2 - Bedeutungslosigkeit 2 m.w.N.). Die Beurteilung der Zeugenqualität muß dem Gebrauch des Beweismittels in der Hauptverhandlung - also der Befragung des Zeugen - vorbehalten bleiben (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 - Bedeutungslosigkeit 23). Bei der hier gegebenen Beweislage kommt auch eine Umdeutung des Ablehnungsgrundes nicht in Betracht. Namentlich liegt kein besonders gelagerter Fall vor, in dem die benannten Zeugen wegen ihrer eigenen Verstrickung, auch mit Rücksicht auf ihre Möglichkeit zur Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO, eindeutig - zudem ohne entsprechende tatrichterliche Wertung - als völlig ungeeignete Beweismittel angesehen werden könnten (vgl. Herdegen in KK-StPO 4. Aufl. § 244 Rdn. 78 m.w.N.).

Die Tatsache, daß alle Verfahrensbeteiligten, also auch der Angeklagte, zunächst auf die Vernehmung der fraglichen Zeugen verzichtet hatten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn nach dem Verzicht ist eine veränderte Beweislage dadurch eingetreten, daß bis dahin unbekannte Protokolle aus einer in anderer Sache, aber in dem hier fraglichen Zeitraum durchgeführten Telefonüberwachung des Zeugen H in die Hauptverhandlung eingeführt worden waren. Danach hat sich der Zeuge H als Oberhaupt der Familie in mehreren Gesprächen so deutlich für ein massives Vorgehen gegen den Angeklagten ausgesprochen, daß die Beweisbehauptungen des Angeklagten jedenfalls nicht ganz fernliegend sind. Wegen der geänderten Beweislage würde im übrigen auch die Verfahrensrüge hinsichtlich der Ablehnung einer nochmaligen Vernehmung des Zeugen H durchgreifen, weil der Zeuge zu diesen Protokollen bei der ersten Vernehmung noch nicht gehört werden konnte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 - Beweisantrag 32).

Ende der Entscheidung

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