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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.04.2009
Aktenzeichen: AK 6/09
Rechtsgebiete: StGB, Verordnung (EG) Nr. 881/2002


Vorschriften:

StGB § 129a Abs. 5
StGB § 129b Abs. 1
Verordnung (EG) Nr. 881/2002 Art. 2
Verordnung (EG) Nr. 881/2002 Art. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers

am 7. April 2009

gemäß §§ 121, 122 StPO

beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwaige erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.

Gründe:

Der Angeschuldigte ist am 18. September 2008 festgenommen worden und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tage in Untersuchungshaft. Unter dem 19. Februar 2009 hat der Generalbundesanwalt gegen ihn Anklage zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben; dieses hat durch Beschluss vom 9. März 2009 den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1.

Der Angeschuldigte ist der im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs enthaltenen Tatvorwürfe der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung - der Islamische Jihad-Union (im Folgenden: IJU) - sowie zweier Vergehen der Unterstützung dieser Vereinigung jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz dringend verdächtig.

a)

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die IJU wurde im Jahre 2002 als Abspaltung von der Islamischen Bewegung Usbekistans gegründet. Ihre Führung in Pakistan verfügt über Kontakte zur Al Quaida und ist von deren Ideologie beeinflusst. Nachdem die Vereinigung zunächst Ziele in Usbekistan verfolgte und sich erstmals im Jahre 2004 für dort durchgeführte Sprengstoffanschläge verantwortlich erklärte, hat sie ihren Wirkungs- und Interessenkreis mittlerweile im Sinne des globalen Djihad ausgeweitet. Zur Verbreitung ihrer extremistischfundamentalistischen Ideologie nutzt sie insbesondere das Internet und verwendet ein eigenes Banner bzw. Logo. Sie verfügt über Verantwortliche, die sich mit der Anwerbung und Schleusung von Rekruten in Ausbildungslager im pakistanischafghanischen Grenzgebiet oder für Kampfhandlungen in Afghanistan befassen. Zur Teilnahme an den Aktivitäten der IJU bereite Interessenten aus Europa gelangen in der Regel über die Türkei und den Iran nach Pakistan in Ausbildungslager in der Gegend um Mir Ali in Waziristan. Dort vermitteln eigene Ausbilder und Sprengstoffexperten der IJU die erforderlichen Schieß- und Sprengstoffkenntnisse sowie die Fähigkeiten zur Dokumentenfälschung und die Regeln über konspiratives Verhalten.

aa)

Der Angeschuldigte überließ dem gesondert Verfolgten Y. -einem Mitglied der IJU, der nach einem Aufenthalt in einem Ausbildungslager der IJU in Pakistan im Jahre 2006 und seiner anschließenden Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland eigene Anschläge vorbereitete und der IJU-Führung in Pakistan islamische Fundamentalisten zur Ausbildung zuführte -unmittelbar vor einer Reise nach Pakistan, die er am 10. Mai 2007 antrat, seine EC-Karte mit der dazugehörigen Geheimzahl, damit Y. über das auf dem Girokonto des Angeschuldigten bei der Sparkasse in D. befindliche Guthaben für Zwecke der IJU verfügen konnte. Y. hob von dem Konto am 31. Mai 2007 500 EUR ab. Ein Versuch, am 13. Juli 2007 erneut 500 EUR zu erlangen, scheiterte, weil der Kreis O. nach einer entsprechenden Mitteilung der Polizeibehörden die Sozialleistungen an den Angeschuldigten eingestellt hatte und das Konto deshalb keine Deckung aufwies. Am 27. Juli 2007 hob Y. das Restguthaben in Höhe von 5 EUR ab.

bb)

Der Angeschuldigte erwarb vor dem 10. Mai 2007 u. a. zwei Infrarotstrahler, zwei Nachtsichtgeräte, ein Zielfernrohr und einen Laserkollimator mit Zubehör. Diese und weitere erstandene Gegenstände führte er bei seiner Ausreise nach Pakistan im Mai 2007 mit sich; dort übergab er sie den Verantwortlichen der IJU.

cc)

Der Angeschuldigte absolvierte in dem Zeitraum zwischen dem 24. Mai und September 2007 in einem Trainingslager der IJU in Pakistan erfolgreich eine Ausbildung und ist seitdem in die Vereinigung als Mitglied eingebunden. Er kehrte am 2. Oktober 2007 in die Bundesrepublik Deutschland zurück und wartete hier seine weitere Verwendung betreffende Befehle ab.

b)

Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters sowie der Anklageschrift des Generalbundesanwalts aufgeführten Beweismitteln, auf die der Senat Bezug nimmt. Insbesondere die durch Sachverständige, Behördengutachten und Zeugen vermittelten Erkenntnisse über die IJU, die die IJU-Mitgliedschaft des gesondert verfolgten Y. und die Tathandlungen des Angeschuldigten betreffenden Ergebnisse der Telekommunikations- und Observationsmaßnahmen sowie die sichergestellten Gegenstände begründen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeschuldigte die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen hat.

c)

Danach ist der Angeschuldigte folgender Straftaten dringend verdächtig:

aa)

Im Fall 1. a) aa) unterstützte er eine Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen und handelte durch dieselbe Handlung einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften zuwider, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (§ 129 b Abs. 1 i. V. m. § 129 a Abs. 5 StGB; § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 1 Ziffer 1, Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Verordnung (EG) Nr. 853/2005 der Kommission vom 3. Juni 2005 sowie der Verordnung (EG) Nr. 198/2008 der Kommission vom 3. März 2008, § 52 StGB), indem er dem Y. den Zugriff auf sein Konto ermöglichte und damit der IJU indirekt Gelder zur Verfügung stellte bzw. zugute kommen ließ.

Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der IJU, die sich im Inland aufhalten oder tätig werden, liegt seit dem 15. Mai 2007 vor. Die IJU unterfällt der Embargovorschrift des Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 179 vom 24. September 2002, S. 22 473). Diese Verordnung setzt die in dem Gemeinsamen Standpunkt 2002/402/GASP angeordneten restriktiven Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al Quaida und die Taliban, sowie andere Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Organisationen um, die mit ihnen in Verbindung stehen. Sie verbietet - in Art. 1 und 2 - die Bereitstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen an die genannten Empfänger sowie - in Art. 3 - die Lieferung, den Verkauf und die Weitergabe von technischer Beratung, Hilfe oder Ausbildung im Zusammenhang mit militärischen Tätigkeiten, insbesondere Ausbildung oder Hilfe im Zusammenhang mit der Herstellung, Instandhaltung und Verwendung von Waffen sowie anderem damit verbundenem Material. Mit Verordnung (EG) Nr. 853/2005 der Kommission vom 3. Juni 2005 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 106 vom 10. Juni 2005, S. 8697) wurde die IJU unter ihrem Namen "Islamic Jihad Group" in die Liste der Personen, Gruppen und Organisationen aufgenommen, die den Sanktionsmaßnahmen der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 unterfallen. Mit Verordnung (EG) Nr. 198/2008 der Kommission vom 3. März 2008 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 45 vom 20. März 2008, S. 1012) wurde die Listung der IJU aktualisiert, indem auch der derzeitige Namen "Islamic Jihad Union" aufgenommen wurde.

bb)

Im Fall 1. a) bb) unterstützte er erneut eine Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen und handelte durch dieselbe Handlung einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften zuwider, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (§ 129 b Abs. 1 i. V. m. § 129 a Abs. 5 StGB; § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 1 Ziffer 2, Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Verordnung (EG) Nr. 853/2005 der Kommission vom 3. Juni 2005 sowie der Verordnung (EG) Nr. 198/2008 der Kommission vom 3. März 2008, § 52 StGB).

Die von dem Angeschuldigten erworbenen und bei seiner Ausreise nach Pakistan mitgenommenen Gegenstände stellen Vermögenswerte und damit nach Sinn und Zweck der Norm wirtschaftliche Ressourcen im Sinne des Art. 1 Ziffer 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 dar. Demgegenüber hat der Angeschuldigte nicht gegen das in Art. 3 der genannten Verordnung enthaltene Verbot der Lieferung, des Verkaufs oder der Weitergabe von technischer Beratung, Hilfe oder Ausbildung im Zusammenhang mit militärischen Tätigkeiten verstoßen. Diese Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut sprachlich nur schwer verständlich. Aus dem systematischen Zusammenhang mit den Verboten des Art. 2 Abs. 2, 3 der Verordnung ergibt sich indes hinreichend, dass Art. 3 der Verordnung nicht die Lieferung von Waren, sondern das Zurverfügungstellen von "Dienstleistungen" erfasst.

cc)

Im Fall 1. a) cc) beteiligte er sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (§ 129 b Abs. 1 i. V. m. § 129 a Abs. 1 StGB).

2.

Bei dem Angeschuldigten bestehen aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters sowie dem Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2009 zutreffend aufgeführten Gründen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Die zu erwartende Strafe und der Wunsch des Angeschuldigten, am Djihad teilzunehmen, begründen einen erheblichen Fluchtanreiz. Der Angeschuldigte verfügt über familiäre und sonstige Kontakte ins Ausland. Dies und die weiteren, in den genannten Entscheidungen aufgeführten Umstände machen es - auch bei sachgerechter Bewertung seines Vorbringens in dem Haftprüfungstermin vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 9. März 2009 - wahrscheinlich, dass er sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird. Unter diesen Umständen sind weniger einschneidende Maßnahmen i. S. d. § 116 StPO nicht geeignet, die Fluchtgefahr zu beseitigen.

3.

Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten waren durch die Ermittlungsbehörden umfangreiche Beweismittel, darunter Datenträger und fremdsprachige Ergebnisse der Überwachung der Telekommunikation, zu sichten und auszuwerten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 13. März 2009 Bezug genommen. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 19. Februar 2009 Anklage erhoben. Die Anklageschrift benennt u. a. mehr als 100 Zeugen, 15 Sachverständige und zahlreiche Urkunden. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Anklage mit Schreiben vom 3. März 2009 den Verteidigern und dem Angeschuldigten mitgeteilt und eine Frist zur Stellungnahme bis zum 20. April 2009 gesetzt. Über einen Antrag auf mündliche Haftprüfung hat es am 9. März 2009 verhandelt und entschieden. Damit ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

4.

Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwürfen, die teilweise mit einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht sind, nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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